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Über anwaltliche Formulierungskünste und den Dunning-Kruger-Effekt

Anwälte müssen geschliffen formulieren können. Sei es die rhetorische Verve vor Gericht, die empathischen Worte im Mandantenschreiben oder die brillante Argumentation im Schriftsatz. Wer sich in seinen Texten jedoch in endlosen Bandwurmsätzen verzettelt, stilistisch aufgrund eines begrenzten Wortschätzchens wenig Abwechslung bietet und Komma- und Rechtschreibfehler in unglücklicher Regelmäßigkeit produziert, lenkt damit die Aufmerksamkeit vom Inhalt weg, hin zum Stil. Der Empfänger, im ungünstigsten Fall: der Richter, wird den Schriftsatz mit vorwurfsvoll hochgezogener Augenbraue lesen und sich dann seinen Teil denken. Wie heißt es im Englischen doch so schön: “You never get a second chance to make a first impression.” Doch auch die Gegenseite wird hämische Freude empfinden, wenn sie derart verunglückte Schriftsätze erhält. Eine souverän formulierte Replik ist dann für sie nämlich schon die halbe Miete.

 

Stilistisches Feedback im Berufsleben

Die wenigsten Anwälte sind in sämtlichen Textsorten fit. Wer schlagfertig Schriftsätze formuliert, wird nicht unbedingt auch die Formulierungsgabe für ein ansprechendes Mandantenschreiben oder einen spannenden Blogartikel besitzen. Kein Wunder: Während der langen juristischen Ausbildung wurde man auf Gutachten- und Urteilsstil getrimmt. Es galt, starre, überformalisierte Regeln einzuhalten, wenn man im Examen ein Urteil oder eine Anklageschrift zu verfassen hatte. Damals wurden Stilfragen nur den juristischen Formalien entsprechend ausgelegt, aber immerhin bekam man ein Feedback von erfahrenen Schreibern des Fachs.

Doch je länger Ausbildung, Studium und Referendariat zurückliegen, desto seltener erhalten Juristen von Dritten ein stilistisches Feedback. Die Juristensprache, ihr täglich Brot, verschwurbelt und überkomplex, ist für sie zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Kehrseite: Alles Vereinfachende wird misstrauisch-stirnrunzelnd beäugt und erhält direkt den Stempel des Banalen, zumindest aber des Unpräzisen. Dabei ist es durchaus möglich, juristische Texte verständlicher zu formulieren und dennoch eine hinreichende juristische Präzision beizubehalten. Das ist jedoch eine Kunst für sich, die Zeit und Übung braucht. Allem voran aber die Einsicht ihrer Notwendigkeit! Und da liegt der Hase im Pfeffer.

 

Der Dunning-Kruger-Effekt: Wir Juristen sind alle begnadete Texter

Leider unterliegen nicht wenige Anwälte dem sog. Dunning-Kruger-Effekt, also einer fehlerhaften Eigenwahrnehmung, einer kognitiven Verzerrung zwischen Selbsteinschätzung, objektiv vorhandenen Skills und den Fähigkeiten Dritter.

Der Dunning-Kruger-Effekt beruht auf Studien der Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger aus dem Jahre 1999. Die beiden Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass einige Menschen im Bereich des logischen Denkens, der Grammatik oder sozialer Kompetenzen

  • das Ausmaß ihrer mangelnden Kompetenz falsch einschätzen,
  • sich dabei sogar meist deutlich überschätzen und zudem
  • überlegene Fähigkeiten anderer nicht erkennen.

Viele Anwälte meinen, sich selbst in sämtlichen Formulierungsfragen hinreichend einschätzen zu können. Es würde als Schwäche erachtet, den Kollegen zu fragen, wie er eine bestimmte Formulierung findet oder gar unter Website-Besuchern eine Umfrage zu starten, wie verständlich und interessant die Texte auf der Kanzlei-Website sind. Denn: Die könnten es ja ohnehin nicht beurteilen! – Da ist er, der Dunning-Kruger-Effekt! Ansätze von Hybris. Schließlich ist man nicht qua Juristenausbildung ein brillanter Schreiber. Erst recht nicht in verschiedenen Textarten und bei unterschiedlichen Zielgruppen.

Es braucht also dreierlei, um hin und wieder Dritte um ihr Feedback in Formulierungsfragen zu bitten und deren Kritik auch anzunehmen:

  • kritische Selbstreflexion,
  • Selbstbewusstsein und Kritikfähigkeit sowie
  • die Einsicht, dass Dritte womöglich in mancherlei Hinsicht einfach besser formulieren.

Doch man braucht auch nicht gleich Dritte um Rat zu fragen. Es wäre schon ein Anfang, sich der eigenen Fehlbarkeit in sprachlichen Dingen überhaupt erstmal bewusst zu sein.

 

Fazit: Keep it simple, stupid

Selbstverständlich leiden nicht alle Anwältinnen und Anwälte unter dem Dunning-Kruger-Effekt. Dieser Beitrag dient nichtsdestotrotz der Ermunterung, die verschiedenen Texte, die Sie bei der täglichen Arbeit formulieren, stets einer zweiten, kritischen Würdigung zu unterziehen. Und zwar in stilistischer Hinsicht und mit Blick auf die Zielgruppe, die angesprochen werden soll: Ist das Mandantenschreiben möglicherweise unnötig formell? Richtet sich der Blogartikel oder Social-Media-Beitrag an Kollegen oder juristisch wenig bewanderte Mandanten? Kann man aus diesem langen Satz nicht zwei machen?

 

Beherzigen Sie das KISS-Prinzip: “Keep it short and simple”

Glauben Sie mir: Wenn Sie bewusst versuchen, Ihre Texte einfacher und knackiger zu formulieren, werden Ihnen alle danken: Mandanten verstehen endlich, was Sie meinen, aber auch Kollegen und Richter atmen auf. Das Feedback Dritter wird Ihnen helfen.

 

 

 

 

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