Können Sie sich noch an Ihre allererste Mandantenbesprechung erinnern? Nicht im Referendariat, sondern nach der Vereidigung, so richtig mit voller Verantwortung und allein? Meine ist mir auch nach jetzt mehr als 2 Jahrzehnten unvergessen. Als für den Bereich Arbeitsrecht angestellte Rechtsanwältin und Berufsanfängerin sollte ich kurzfristig einen Termin für einen meiner Chefs übernehmen. Saß aufgeregt im Raum und konnte mit dem mir vorgelegten Bußgeldbescheid spontan so gar nichts anfangen. Aber eine Idee hatte ich trotzdem sofort. Mit der Bemerkung, ich würde das mal kurz kopieren gehen, bin ich blitzschnell zwei Stockwerke tiefer zu meinem immer hilfsbereiten Lieblings-Kollegen geflitzt, habe mich dort meinerseits beraten lassen und bei der Rückkehr in meinen Besprechungsraum abgeklärt verkündet, dass wir nun erstmal die Akte holen und dann weitersehen würden.
Natürlich entwickeln sich im Laufe der Jahre Routinen in den Rechtsgebieten, die wir bearbeiten und es ist ein schöner Teil der Arbeit, der wie an einer Perlenschnur abläuft und funktioniert, weil wir die notwendigen Schritte kennen, wissen worauf es ankommt und was zu tun ist. Aber wie langweilig wäre es ohne die anderen Fälle! Die, bei denen wir ins Grübeln kommen und recherchieren müssen, in denen Konflikte verhärtet sind oder die Rechtsfragen ungewöhnlich und bei denen wir nicht sofort eine Antwort haben. Die gute Nachricht ist: Es ist erlaubt, nicht direkt eine Antwort zu haben. Und unnötig, in diesen Fällen doppelt laute Schriftsätze herauszuhauen, die sich hauptsächlich auf persönliche Vorwürfe oder Nebenschauplätze konzentrieren, weil zur Sache noch nicht so viel gesagt werden kann.
Strategien für sicheres Auftreten in schwierigen Situationen
Rückblickend kann ich sagen, dass meine intuitiv gefundene Lösung für die Sache mit dem Bußgeldbescheid gar nicht schlecht war und zwei Elemente enthielt, die generell in schwierigen Situationen sehr hilfreich sind. Und inzwischen habe ich noch ein paar mehr entdeckt:
Für eine Unterbrechung sorgen
Egal, ob es mitten in der Verhandlung gerade hoch hergeht, Ihnen im Mandantengespräch eine Tüte Unterlagen auf den Tisch gestreut wurde – zusammen mit verwirrenden Schilderungen eines diffusen Problems, oder ob Sie am Telefon gedanklich einfach nicht mehr folgen können, weil Sie vielleicht sogar gerade noch etwas anderes machen müssten und innerlich abschweifen: Für eine Unterbrechung zu sorgen, unterbricht die Spirale und ermöglicht es, mit frischem Blick zu einem späteren Zeitpunkt dann viel schneller weiterzukommen. Bitten Sie um eine kurze Verhandlungspause. Beenden Sie die Besprechung mit einer verlässlichen Ankündigung, wann Sie sich nach einem ersten Überblick mit einer Information dazu melden werden, was sie noch brauchen. Kündigen Sie einen Rückruf für übermorgen an und beenden das Telefonat.
Hilfe in Anspruch nehmen
Natürlich ist es nicht möglich, dauerhaft eine Art verdeckte Doppelberatung zu praktizieren, bei der Sie sich selbst regelmäßig einen Rat zu dem zu lösenden Fall einholen – so wie ich es in meiner ersten Besprechung getan und mir später manchmal gewünscht habe. Ein Austausch in verzwickten Fällen bringt jedoch häufig neuen Schwung in die eigene Lösungsstrategie. Gerade als Einzelanwältin oder Einzelanwalt ist es deshalb wertvoll, bei aller Konkurrenz auch Möglichkeiten für kollegialen Austausch zu schaffen. Dabei macht sich häufig auch Erleichterung auf allen Seiten breit – denn nicht nur Sie selbst sitzen manchmal vor einer Akte und haben keine Ahnung, wie es weitergehen könnte.
Den besonderen Fall als solchen benennen
Hinzu kommt: Die meisten Menschen freuen sich sehr, ein besonderer Fall zu sein. Und nehmen es schon deshalb nicht übel, wenn wir nicht direkt mit einer Standardlösung um die Ecke kommen. Vielmehr nehmen sie es als Zeichen der Wertschätzung wahr, wenn die Sache gründlich geprüft und eine individuelle Lösung gefunden wird.
Tempo herauszunehmen kann die Lösung verbessern
Keine Lösung zu haben, kann den Raum für Kreativität auf allen Seiten vergrößern. Sie gibt unseren Mitmenschen Gelegenheit, auch selbst noch einmal nach Wegen und Möglichkeiten zu schauen und nicht selten kommt dabei noch ein wichtiger Baustein ans Tageslicht, der berücksichtigt werden muss und dann von uns eingebaut werden kann. Nicht immer ist die schnelle Lösung die beste.
Na klar ist es wunderbar, wenn wir ein ausgewogenes Verhältnis haben von solchen Fällen, die wir im Schlaf lösen können und solchen, die uns herausfordern. Und bei jedem von uns wird es ein bisschen unterschiedlich sein, wieviel wir von jeder Sorte gut vertragen und welche Variation von SAaA wir wählen, wenn wir eiskalt erwischt werden. Sicheres Auftreten bei absoluter Ahnungslosigkeit (SAaA) kann manchmal bedeuten, dass wir uns nichts anmerken lassen, ja. Aber oft liegt in einem ehrlichen „Ich weiß es gerade auch nicht“ die größte Souveränität. Und dann ist es auch nicht schlimm, wenn der Kollege im anderen Stockwerk gerade keine Zeit hat.
