Karneval, Fastnacht und Fasching stehen vor der Türe, gleich mit der Klassikerfrage „Wolle mer se reinlosse“? [Wollen wir sie reinlassen?]. Ich sehe schon das Augenrollen der Karnevals-Muffel. Schon gut. Jeder Jeck is´ anders.
Närrische Lehren
Es geht hier auch gar nicht um den Karneval, Fasching oder die Fastnacht als solche/n. Sondern darum, ins Narrenkostüm zu schlüpfen, die Narrenfibel zu öffnen und das in den Alltag hereinzulassen, was im Narren* steckt: Die unnachahmliche Fähigkeit, gekleidet in ein Lächeln adhoc einen Rollenwechsel zu vollziehen und statt Scherzhaftem auch Schmerzhaftes wirkungsvoll zu äußern – und dafür auch noch Applaus zu ernten.
Die Parallelen drängen sich auf. Anwalt* muss oft genug in verschiede Rollen schlüpfen, heute Arbeitgeber*, morgen Verfahrensbeteiligter*, übermorgen Ratgeber*, stets zum Urteil Aufgerufener*. Ernstes wirksam vermitteln ist uns so überlebenswichtig wie dem Narren, egal ob Kritik, eine schlechte Botschaft oder das Eingeständnis eines Fehlers.
Der Narr ist frei, genießt seine Freiheit und bleibt sogar außerhalb der Scherzerklärung straffrei. Wohldosiert, bringt sein Humor zum Lächeln und zum Denken, ohne sich oder sein Publikum lächerlich zu machen.
Wir wollen Ernstes auch „frei“ vermitteln, also offen, keine „Scherzerklärung“ abgeben, unsere ernste Botschaft angenommen wissen, dabei aber „straffrei“ bleiben und die jeweiligen Empfänger* nicht vergrätzen. Immer, ganz besonders aber beim eigenen Fehler, wollen wir nicht lächerlich gemacht werden.
Wie geht das, bitte?
Grund genug zu fragen, wie das beim Narren funktioniert. Warum kommt er mit Botschaften durch, die vom selben Menschen mit den gleichen Worten im Alltag nicht oder nicht „ungestraft“ hingenommen würden?
Es ist nicht das Umfeld aus Karneval, Sitzung, Bütt und „roter-Nasen-Symbolik“, keine umgekehrte Trierer Weinversteigerung aufgrund Scherzerklärungs-Erwartungshaltung, die das auslöst. Unsere Robe allein macht uns ja auch nicht seriös.
Das Erfolgsrezept des Narren ist ein anderes: Es ist das Augenzwinkern, das Lächeln. Der Narr ist nicht lächerlich, er ist ein höchst erfolgreiches Lächel-Ich. Es ist nämlich deutlich schwieriger, die von einem Lächel-Ich wohldurchdacht und gut geübt vorgebrachte Kritik auszublenden, als eine juristisch-wertende mit pädagogischem Zeigefinger. Der reflexhafte Verdrängungsmechanismus (etwa „Der/die war nur schlecht drauf“) will bei Närrinnen und Narrhalesen einfach nicht funktionieren und der angeborene Verletzungs-Widerspruch schläft auch friedlich weiter, statt sich zu regen. Es gibt nun Mal keine Verteidigung gegen Lächeln, nur ein konsensuales „Tata-Tsching-Bumm“ mit Applaus.
Aber das ist es nicht einmal allein: Das Lächeln paart der Narr seit Jahrhunderten höchst effektiv mit dem, was heute mediativer Ich-Effekt genannt wird, also etwas auf sich zu beziehen, um ihm die anklagende Schärfe zu nehmen. Achten Sie mal drauf: „Ich war ja neulich …“ etc. sind wiederkehrende Pointen-Einleitungen, unterbrochen von der nur gelegentlichen Einbeziehung des Publikums mit einem „Wir …“. Der Narr war ein lächelnder Psychologe, lange bevor es ernstzunehmende gab.
Lächeln wir den Ernst weg?!
Vollziehen wir also getrost den Rollenwechsel und schlüpfen ins Narrenkostüm. Keine Sorge, wir lächeln den Ernst der Worte (oder der Lage) damit nicht weg. Gelächeltes trifft. Nur eben den Punkt, statt das Herz.
Versprochen, es sind wirklich nur ausgewählte Misanthropen*, die auf eine in diesem Sinne närrisch vorgetragene Botschaft nicht anspringen und den Sender/die Senderin zum lächerlichen Egoisten stempeln, weil sie das Ich-Prinzip partout falsch verstehen (wollen). Leider ist das dazu passende Karnevalslied „Mer bruche keiner“ von den Bläck Föös nur tanzbar, aber nicht zitierfähig. Kurz gefasst meint es: Denen ist nicht mehr zu helfen, außer mit einem Lächeln.
Trauen Sie sich! Der Rest unseres Publikums freut sich an unserer neuesten Rolle und nimmt uns ernst, gerade weil wir es anlächeln. Wie der Narr, sind auch wir ernstzunehmende Gegner, gerade weil wir lächeln. Und im aller-allerschlimmsten Fall darf das Lächeln auch mal sardonisch oder teuflisch werden. Der Rollenwechsel ist dem Narren schließlich immanent. Wirklich lächerlich macht sich nur der, der nicht augenzwinkernd über sich selbst lächeln kann, wenn er im Dienste des ernsthaften Gesprächsziels ins Lächel-Ich-Narren-Kostüm schlüpft.
Ich mache mich jedenfalls bis Aschermittwoch – und vermutlich auch darüber hinaus, zum närrischen Lächel-Ich und äußere meine Kritik künftig entsprechend.