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„Man muss intensiv netzwerken und internationale Konventionen kennen“

Seit 2012 ist die Juristin Franziska Vilmar als Fachreferentin für Asylrecht und Politik bei Amnesty International tätig. Erfahrungen sammelte sie früh: Während des Studiums war Vilmar im Arbeitskreis Juristinnen für bedrohte Richterinnen und Anwältinnen aktiv, arbeitete schon in den Neunzigerjahren ehrenamtlich bei Amnesty. Was macht eine Juristin dort? Ein Gespräch über die Analyse von Gerichtsentscheidungen, Lobbyarbeit im Bundestag und warum ein großer Teil des Jobs Netzwerkarbeit ist.

Wie ist das juristische Team bei Amnesty aufgestellt?

Wir haben zwei hauptamtliche Stellen im asylrechtlichen Bereich. Meine davon zielt auf Presse- und Lobbyarbeit, aber auch auf die Analyse von Gesetzesvorschlägen ab. Meine Kollegin kümmert sich um Asyleinzelfälle. Die Einzelfallarbeit mit Schutzsuchenden ist vorbeugende Menschenrechtsarbeit und wird von ehrenamtlichen Asylgruppen deutschlandweit unterstützt. Dorthin können sich Menschen wenden, die sich im Asylverfahren befinden oder von Abschiebung bedroht sind. Die Gruppen können sich an die Kollegin für Asyleinzelfälle wenden und klären, ob zum Beispiel in diesem oder jenen Fall die Ablehnung eines Asylgesuchs fehlerhaft war oder ob die Behörde korrekt gearbeitet hat.

Politische Arbeit war Ihnen bei Ihrem Einstieg vertraut

Ich war lange im Bundestag tätig und habe mich mit Gesetzgebungsverfahren in der Innen- und Rechtspolitik beschäftigt. Schon vorher habe ich mich aktiv in der Asylverfahrensberatung von Amnesty engagiert. Zur ehrenamtlichen Gruppenarbeit von Amnesty gehört es, Briefe an ausländische Regierungen zu verfassen, Spenden zu sammeln und Veranstaltungen zu organisieren oder bei Kampagnen mitzumachen. Im Jahr 2002 habe ich ein deutsch-simbabwisches Austauschseminar mitorganisiert, ein Treffen zwischen jungen deutschen Jurist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen aus dem südlichen Afrika. Dadurch stand ich schon früh mit engagierten Jurist*innen in Kontakt, die sich dafür interessiert haben, welche Aufgaben beispielsweise die Welthandelsorganisation oder der EGMR, also der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, haben.

Der Austausch mit menschenrechtlichen Organisationen ist dabei besonders zeitintensiv?

Das ist richtig, insgesamt verbringe ich viel Zeit mit der strategischen Planung und Abstimmung von gemeinsamen Lobbyvorgängen, es sind Veranstaltungen zu organisieren sowie inhaltliche Redebeiträge bei flüchtlingspolitischen Panels vorzubereiten. Das geht sehr in die Breite und betrifft beispielsweise Fragen, wie wir uns zur Bundestagswahl auf ein Thema einlassen oder was wir auf der Innenministerkonferenz thematisieren wollen. Oder auch: Was soll beim Treffen mit dem Auswärtigen Amt vorgebracht werden oder wie sollten die einzelnen Bundesländer agieren?

Ein Blick auf die Weltkarte und die EU offenbart dabei jede Menge Konfliktherde

Es gab zuletzt einige Problemfelder: der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, die Entscheidung des Verfassungsgerichts in Polen, die dramatische Situation an der europäischen Außengrenze zu Belarus. Insgesamt also viel Netzwerkarbeit, Austausch und sorgfältige Vorbereitung – sowohl mit unserem Internationalen Sekretariat und anderen europäischen Amnesty-Sektionen als auch mit der aktiven Zivilgesellschaft in Deutschland.

Wie aufwendig ist die Detailarbeit, gerichtliche Entscheidungen in Menschenrechts- und Asylfragen zu analysieren?

Die Entscheidungen des EGMR sind eigentlich gut zu lesen und oft nicht so umfangreich wie zum Beispiel die des Bundesverfassungsgerichts hier bei uns. Aber natürlich muss man sie gründlich auslegen und zur Kommentierung in Pressemitteilungen oder für unsere Mitglieder verständlich aufbereiten. Warum zum Beispiel ist dies oder das ein illegaler Pushback? Und wogegen verstößt dieser wirklich? Dazu gehört dann auch die Klärung weiterführender Fragen wie: Was ist im Zusatzprotokoll der EMRK, also der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Verbot der Kollektivausweisung geregelt? Um die Entscheidungen präzise einzuordnen, muss man darüber hinaus eine ganze Reihe von Vorschriften und EU- oder internationale Abkommen berücksichtigen.

Welche sind das?

Neben der Europäischen Menschenrechtskonvention zählen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und natürlich die Genfer Flüchtlingskonvention dazu. Besonders maßgeblich im Flüchtlingsbereich ist neben den Entscheidungen des EGMR natürlich die EuGH-Rechtsprechung, die sich mit den vielen Richtlinien und Verordnungen des sogenannten GEAS, des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auseinandersetzt.  Die Genfer Flüchtlingskonvention selbst hat ja keine eigene Spruchkammer, aber wir haben den EGMR, der über die Europäische Menschenrechtskonvention wacht. Dieser legt aus, inwieweit die Artikel der Konvention verletzt sind oder nicht. Insgesamt ist eine gute Kenntnis des menschenrechtlichen Mehrebenensystems notwendig und der einschlägigen internationalen und europäischen Konventionen im Bereich Flucht und Migration, den ich bei Amnesty International abdecke.

Das Aktenstudium als klassische Anwaltsarbeit fällt also weg

Das ist tatsächlich einer der entscheidendsten Unterschiede, insgesamt schreibt oder diktiert man als Jurist*in in meiner Funktion auch weniger, die klassische Schriftsatzarbeit gibt es nicht. Deshalb bin ich froh, wenn ich hin und wieder Fachartikel schreiben kann, die dann in asylrechtlichen Fachmagazinen erscheinen. Ich bilde allerdings auch Referendar*innen und Praktikant*innen aus. Referendar*innen setze ich gerne an Urteilstexte heran, diese lernen dann auch, wie man die Entscheidungen zusammenfasst und Urteile auslegt. Denn es bleibt zeitintensiv, in jedem Jahr Fachtagungen und Konferenzen zu organisieren, die wir oft in Kooperation mit Organisationen wie Pro Asyl und kirchlichen Wohlfahrtsverbänden der Kirche gestalten. Das größte ist das jährliche Symposium zum Flüchtlingsschutz, das rund um den Weltflüchtlingstag am 20. Juni in Berlin stattfindet.

Sie reagieren auch auf aktuelle Gesetzgebung

Neben der Kenntnis des gemeinsamen europäischen Asylrechts habe ich noch einen komplett anderen Aspekt in meinem Arbeitsbereich, der Gesetzgebungsprozesse im Bundestag und die Analyse und Kommentierung von Gesetzgebungsentwürfen betrifft. Das kann beispielsweise den Familiennachzug betreffen, dann verfasse ich in meiner Funktion und aus menschenrechtlicher Perspektive Stellungnahmen dazu, wie die einzelnen Paragrafen geändert werden sollten. Insofern geht es dann um die Kenntnis des nationalen Aufenthalts- und Asylrechts.

Mit welchen Anwälten arbeiten Sie zusammen?

Wir arbeiten häufiger mit den gleichen Anwält*innen zusammen. Diese können wir in Einzelfällen auch finanzieren für ein erstinstanzliches Verfahren, beispielsweise wenn wir feststellen, dass ein ablehnender Asylbescheid nicht korrekt ist. In diesem Zusammenhang pflegen wir enge Kontakte zum Deutschen Anwaltverein und dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein im Bereich Flüchtlingsrecht. Natürlich arbeiten wir auch mit Jurist*innen im Ausland zusammen, wenn wir Hinweise auf mögliche Menschenrechtsverletzungen haben. Wir recherchieren dann in Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen vor Ort, sind außerdem vernetzt mit weiteren internationalen Organisationen wie dem UNHCR oder der Internationalen Organisation für Migration. Das sind auch unsere Quellen, um zu verstehen, wie das lokale politische und gesellschaftliche System funktioniert, wie es aktuell um die Menschenrechte dort steht.

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