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„Kaum ein Rechtsbereich, in dem keine Inhouse-Juristen arbeiten“

Die Lufthansa Group ist ein weltweit operierender Luftverkehrskonzern mit rund 110.000 Mitarbeiter:innen. Während Laien meist nur an die Flieger mit dem Kranich-Logo denken, setzt sich das Unternehmen aus vielen Sparten zusammen. Rechtsanwalt Henning Großmann sitzt mit im juristischen Cockpit. Im Gespräch erklärt er, wie Juristen als Bindeglied zwischen den Unternehmensbereichen arbeiten. Denn von denen kommt keiner ohne juristische Expertise aus.

Henning Großmann studierte Jura in Bonn, Köln und Salamanca/Spanien, seine Schwerpunkte waren Völker- und Europarecht. Seit 2013 ist er als Rechtsanwalt zugelassen. Bei der Lufthansa durchlief Großmann bereits das Referendariat und arbeitet heute in der Konzernrechtsabteilung und im Luftrecht, wobei es vor allem um Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Luftverkehrsinfrastruktur geht. Die Lufthansa Group setzt sich aus den Geschäftsfeldern Network Airlines, Eurowings sowie Aviation Services zusammen. Zu den letzteren wiederum zählen die Sparten Logistik, Technik, Catering sowie die weiteren Gesellschaften und Konzernfunktionen.

Warum zieht es einen Juristen zur Luftfahrt?

Während meines Studiums besuchte ich eine Vorlesung beim traditionsreichen Kölner Institut für Luftrecht, Weltraumrecht und Cyberrecht. Ein Schlüsselerlebnis für mich, ich habe mich schon immer für Luftfahrt begeistert und hatte als Kind immer vom Pilotenberuf geträumt. Nun konnte ich mein Faible mit meiner juristischen Ausbildung verknüpfen, und diese Richtungsentscheidung hat mein Berufsleben seither bestimmt.

Dann das „Onboarding“ bei Lufthansa

Wie schon erwähnt hatte ich immer großes Interesse an der Luftfahrt und dem Luftrecht. So führte mich mein Weg zunächst zur Delvag-Versicherungs AG, dem Versicherer der Lufthansa Group. Dort verbrachte ich ein Teil meines Referendariats und mit der zweiten Staatsprüfung wechselte ich in die dortige Rechtsabteilung. Heute arbeite ich in der Konzernrechtsabteilung und im Luftrecht, wo ich vor allem Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Luftverkehrsinfrastruktur behandle.

Was heißt das genau?

Dazu gehören beispielsweise Flughäfen, Bodenabfertigungsdienste oder die Flugsicherung. Hier gilt es etwa sicherzustellen, dass die gesetzlichen Anforderungen an die Festsetzung von Flughafenentgelten eingehalten werden, die wir als Nutzer entrichten. Dabei habe ich es nicht nur mit vielfältigen Akteuren zu tun, sondern auch mit einer spannenden Mischung aus Zivil- und öffentlichem Recht, weil hier auch die staatliche Regulierung eine Rolle spielt.

Spricht man von Luftfahrtunternehmen, denken Laien meist nur an Flugzeuge und den internationalen Reiseverkehr.

Das stimmt und genau das macht für mich gerade den Reiz aus, in der Rechtsabteilung zu arbeiten: dass die rechtlichen Fragestellungen so vielfältig wie die Geschäftsfelder der Gruppe sind, was man als Außenstehender oft nicht vermutet. Es gibt kaum einen Rechtsbereich, der nicht durch Inhouse-Juristen vertreten wäre. Für das Arbeits- oder Gesellschaftsrecht liegt das auf der Hand, aber wir haben beispielsweise auch Spezialisten für das IT-Recht, Kapitalmarktrecht oder – womit man bei einer Fluggesellschaft vermutlich nicht rechnet – auch für das Baurecht. Denn wir sind auch Bauherr von Gebäuden und Mieter von Flächen, beispielsweise eben bei Flughäfen.

Wie wird das organisatorisch bewältigt?

Einige Rechtsgebiete werden in der Konzernrechtsabteilung zentral abgedeckt, andere werden bei den einzelnen Konzerngesellschaften betreut. Aber zwischen allen besteht ein intensiver Austausch und durch die vielen juristischen Tätigkeitsfelder gibt es hier auch viele Entwicklungsmöglichkeiten.

Wenn es nirgendwo ohne Paragrafenjongleure geht: Wie arbeitet das Team im Verbund?

Der Zuschnitt der eigenen Tätigkeit hängt für uns Juristen stark vom Rechtsgebiet ab. Grundsätzlich erbringen wir sowohl den sogenannten First Level Support, also die Beratung der Fachbereiche zu alltäglichen Geschäftsvorfällen, als auch den Second Level Support, bei dem Kenntnisse in Spezialrechtsgebieten wie dem Luftrecht gefragt sind. Dabei gilt für uns das OneLegal-Prinzip: für Mandanten soll die Rechtsberatung aus einer Hand erfolgen, und es ist Aufgabe des zuständigen Juristen, die erforderlichen Abstimmungen innerhalb der Rechtsabteilung herbeizuführen. Genau das setzt ein hohes Maß an Problembewusstsein auch außerhalb der eigenen Spezialisierung voraus. Die konkreten Aufgaben sind so vielfältig wie das Unternehmen selbst.

Das müssen Sie erklären

Unsere Arbeitsrechtler:innen begleiten beispielsweise Tarifverhandlungen, die Datenschützer:innen beraten und überwachen die Fachabteilungen in Bezug auf  den Datenaustausch mit Dienstleistern oder staatlichen Stellen im In- und Ausland, wie z.B. bei der Übermittlung von Passagierdaten. Im Luftrecht prüfen wir Ansprüche, die von Passagieren geltend gemacht werden, oder begleiten Vertragsverhandlungen mit Bodenabfertigungsdienstleistern.

Greift das nicht oft auch über die juristische Beratung hinaus?

Neben der eigentlichen Rechtsberatung werden auch Aufgaben wie die Auswahl und Steuerung externer Rechtsanwält:innen und die kontinuierliche Fortbildung wahrgenommen. Für mich persönlich gehört dazu die regelmäßige Lektüre der Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht und der Besuch von Veranstaltungen zum Luftrecht, bei denen wir zum Teil auch als Referenten auftreten. Es gibt außerdem das Legal-Forum des Internationalen Airline-Verbands IATA, auf dem wir regelmäßig vertreten sind. Die Luftfahrt ist naturgemäß ein internationales Geschäft, da ist es wichtig, dass wir uns über aktuelle Rechtsentwicklungen auch im Ausland auf dem Laufenden halten.

Was unterscheidet Ihren Job von der Arbeit in einer klassischen Kanzlei?

Zunächst einmal: Wir legen Wert darauf, dass unsere Mandanten eine Rechtsberatung von einer Güte erhalten, wie sie auch von externen Kanzleien erwartet wird. Wir verstehen uns dabei als Dienstleister innerhalb der Lufthansa Group. In der täglichen Arbeit gibt es aber auch einige Unterschiede. Als Syndikusanwält:innen dürfen wir bekanntlich unseren Arbeitgeber in Verfahren, in denen Anwaltszwang herrscht, nicht vertreten. Außerdem ist es oftmals auch aus Gründen des Risikomanagements erforderlich, eine externe Rechtsberatung einzuholen, wenn etwa Kenntnisse in Rechtsgebieten gefragt sind, in denen wir nicht standardmäßig beraten.

Und Sie müssen komplexe Sachverhalte darstellen

Wir sind hier oftmals und anders als in Kanzleien das Bindeglied zwischen den Fachbereichen und den extern mandatierten Kolleg:innen. Die Aufgabe der Rechtsvermittlung für Unternehmensanwälte ist hier sehr bedeutend. Während Anwält:innen in Kanzleien – jedenfalls in wirtschaftsrechtlich orientierten Kanzleien – meistens mit Jurist:innen kommunizieren, erfüllen wir zusätzlich die Aufgabe, komplexe rechtliche Zusammenhänge und Problemstellungen so darzustellen, dass sie auch von Nicht-Juristen verstanden werden können. Spannend ist, dass wir Unternehmensjuristen in die Projekte und Vorhaben meist schon früh eingebunden sind und auch Einblicke in die dahinterstehenden strategischen wirtschaftlichen Erwägungen erhalten.

Berühren rechtliche Problemstellungen auch den Bereich Flugzeugbau und -lieferung?

Flugzeuge werden bei uns durch einen eigens dafür zuständigen Fachbereich beschafft, und dieser wird natürlich seitens der Rechtsabteilung beraten. Solche Transaktionen zu begleiten erfordert ein hohes Maß an Spezialwissen, Erfahrung sowie ein hohes technisches Verständnis. Grundsätzlich bestehen zu den Flugzeugherstellern langjährige Geschäftsbeziehungen, vieles ist standardisiert. Allerdings gilt auch hier, die spezifischen Bedürfnisse der Airline bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen.

Zuletzt plante die Lufthansa auch, sich von Unternehmensbeteiligungen zu trennen. Der Verkauf von Airplus wurde nun zunächst verschoben. Auch hier stellen sich nicht nur rein juristische Fragen

Das ist richtig. Die juristische Beratung im Bereich M&A – also Verkäufe, Käufe oder sonstige Transaktionen im Unternehmensverbund – beschränkt sich nicht allein auf die rein juristische Ausarbeitung und Verhandlung der Verträge. Grundsätzlich wird die Rechtsabteilung schon in einem sehr frühen Stadium einer potenziellen Transaktion eingebunden und bei der grundlegenden Planung und Strukturierung gefordert. Dies macht ein hohes Maß an interdisziplinärer Arbeit und Verständnis sowohl für unterschiedliche juristische Fachthemen als auch für kommerzielle Aspekte der Transaktion notwendig. Hierfür ist ein intensiver und stetiger Austausch zwischen den verschiedenen Fachbereichen und dem Management unerlässlich. Während der eigentlichen Transaktion besteht die wesentliche unternehmensspezifische Herausforderung darin, die unterschiedlichen juristischen bzw. nicht-juristischen Fachbereiche und deren jeweilige Anforderungen zu koordinieren, welche in die vertragliche Dokumentation zu „übersetzen“ und im Sinne des Unternehmens zu verhandeln sind.

Nützt es Neueinsteigern bei Ihnen, wenn sie neben Gesetzen und Rechtsprechung auch technisches Verständnis mitbringen, sich gut mit Ingenieuren austauschen können?

Inwieweit Kenntnisse des Luftverkehrs einschließlich der technischen und flugbetrieblichen Aspekte erforderlich sind, hängt sicher stark von der eigenen Tätigkeit ab. Wenn man wie ich im Luftrecht arbeitet, ist das essenziell. Man muss z.B. die betrieblichen Abläufe auf dem Vorfeld kennen, um einen Bodenabfertigungsvertrag sinnvoll verhandeln zu können. Grundsätzlich ist aber einer der Vorteile der Arbeit in der Unternehmensrechtsabteilung, dass die Kolleg:innen der operativen Bereiche bei Fragen bereitwillig Auskunft geben, weil wir uns alle als Teil der Lufthansa Group verstehen. Es gibt traditionell eine starke Corporate Identity, die sich auch aus der Faszination für die Luftfahrt speist. Man braucht also keine Scheu zu haben, sich die technischen oder operativen Hintergründe erklären zu lassen. Für guten Rechtsrat ist das immer unerlässlich.

Dann stehen Sie auch seltener vor den Maschinen?

Dass wir als Jurist:innen selbst unmittelbar „am Flugzeug“ sind, ist eher die Ausnahme. Dienstreisen, auch in ferne Länder, gehören aber für uns durchaus dazu, und zwar unabhängig davon, wie lange man dabei ist.

Es sei zu früh, sagen zu können, welchen Einfluss die Corona-Mutation Omikron haben werde, meinte der Chef der britischen Easyjet im Handelsblatt im Dezember. Was bedeutet eine Pandemie wie diese für eine Fluggesellschaft?

Die gesamte Luftverkehrswirtschaft wurde von der Pandemie hart getroffen. Durch die zum Teil ohne Vorankündigung erfolgenden Einreisebeschränkungen in vielen Ländern, die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und die allgemeine wirtschaftliche Unsicherheit ist der Luftverkehr im vergangenen Jahr auf eine Weise eingebrochen wie nie zuvor in der Geschichte der zivilen Luftfahrt. Als Rechtsabteilung haben wir dabei geholfen, den Kunden vorübergehend flexiblere Umbuchungsmöglichkeiten anzubieten, um ihnen einen Teil des Risikos abzunehmen.

Wie viel Fliegerei steckt in Ihrem Privatleben?

Meine Begeisterung für die Luftfahrt ist ungebrochen. Ich reise sehr gerne, vor allem in ferne Länder. Für mich ist es jedes Mal ein Erlebnis, eine unserer Maschinen zu betreten, die mich zuverlässig einige Stunden später in einen anderen Erdteil, mit anderer Sprache, Kultur und anderem Klima absetzt. Viele meiner Freunde arbeiten selbst in der Lufthansa Group, zum Teil auch als Piloten oder Flugbegleiter, uns gehen die Gesprächsthemen also nicht aus. Eine Pilotenlizenz habe ich aber bisher nicht erworben. Die Erfüllung dieses Kindheitstraums steht also noch aus.

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