Effektiv und zeitgemäß mit Mandanten kommunizieren: hier bieten sich Anwälten unterschiedlichste Ansätze. Aber ist das nicht auch ein idealer Tummelplatz für Legal-Tech-Tüftler? Nicht unbedingt, denn die Anbieter kämpfen in einem schwierigen Markt, weiß der Münchner Rechtsanwalt und Legal-Tech-Kenner Simon Ahammer. Im Interview erklärt er, warum Anwälte sich in den Ausdrucksstil nicht gerne hereinreden lassen und warum die deutsche Sprache es Lösungen mittels Künstlicher Intelligenz nicht gerade einfach macht.
Ahammer entwickelte schon zu seinen Studienzeiten Software für Anwaltskanzleien. Von 2006 bis 2017 leitete Ahammer bei der Wirtschaftskanzlei Beiten Burkhardt die interne Softwareentwicklung und war neben der Teamführung in zahlreiche Bereiche eingebunden. Danach war er als Head of Legal Tech beim Fachverlag C. H. Beck und als Projektmanager bei Wolters Kluwer sowie zwei Legal Tech-Startups tätig. Heute berät er als Senior Manager bei der KPMG Law Deutschland vor allem Rechtsabteilungen bei deren Digitalisierungsprojekten.
LEGAL TECH SETZT SICH JETZT SCHON SEIT EINIGEN JAHREN AUF DEM MARKT DURCH. IST ES FÜR DIE ANBIETER NICHT AUCH ATTRAKTIV, DEN ANWÄLTEN TOOLS FÜR SCHREIBSTILE AN DIE HAND ZU GEBEN?
Ehrlich gesagt: Das sehe ich nicht. Ich habe vor Jahren einmal ein Start-up beobachtet, das mit der Idee der Vereinfachung vom Beamtendeutsch eine Software auf den Markt bringen wollte. Ganz einfaches Prinzip: Der Anwalt gibt den Text ein, heraus kommt eine korrekte, nicht sinnentstellende und sprachlich verständlichere Fassung. Von dieser Grundidee habe ich danach nichts mehr gehört. Und ich kenne auch kein einziges Start-up im deutschsprachigen Raum, das sich ernsthaft und speziell mit der Vereinfachung von juristischen oder Anwaltstexten beschäftigt.
WARUM IST DAS SO?
Zum einen macht die Wortwahl Sinn, die Texte sind ja nicht bewusst schwierig geschrieben. Aber Sachverhalte, Argumentationsmuster und das Jurastudium forcieren diesen Stil. Es gibt ja diese Redewendung: Wir machen es nicht absichtlich kompliziert, wir wollen es nur richtig machen. Zum anderen: Die Sprache ist das Unterscheidungskriterium unter Juristen, da sehen Kollegen auf bestimmten Rechtsgebieten untereinander sofort, wer welchen Schriftsatz geschrieben hat. Anwälte sagen auch: Ich habe einen gewissen Stil, den lasse ich mir nicht nehmen, habe immer schon so geschrieben.
IN DEN USA TUT MAN SICH LEICHTER DAMIT?
Das ist so. Ich war vor einigen Jahren in den USA auf der ILTACON, der weltweit führenden Veranstaltung für Legal Tech. Dort habe ich bereits einige Anwendungen zur Vereinfachung des Wortschatzes bei der Erstellung von Verträgen als erste Betaversionen ausprobieren können. Der angelsächsische Rechtsmarkt hat natürlich den Vorteil, dass für die „Anlernphase“ von Applikationen, welche KI, also Künstliche Intelligenz, verwenden, viel mehr juristische Inhalte öffentlich und vielfach kostenlos zur Verfügung stehen. Auch die englische Sprache mit ihrer einfacheren Grammatik im Vergleich zu Deutsch eignet sich derzeit noch grundsätzlich besser für KI-Anwendungen als deutschsprachige Inhalte.
ALSO BESSERE VORAUSSETZUNGEN FÜR DIE ENTWICKLER DRÜBEN
Genau, deswegen hat sich der Markt da auch anders entwickelt als bei uns. Legal Tech ist ein schwieriges Geschäftsmodell, es ist in Deutschland ein hartes Geschäft. Kanzleien und Rechtsabteilungen reden und wünschen viel, zögern aber (noch), nachhaltig in diesem Bereich zu investieren. Und weil es ohnehin schon ein so komplizierter Markt ist, ist es auch für Start-ups hierzulande wenig reizvoll, für ein extremes Nischenprodukt mit hohem Aufwand und Risiko unternehmerisch tätig zu werden.
DA IST PERSPEKTIVISCH ALSO NICHT SO VIEL ZU ERWARTEN?
Was einige Start-ups in Kooperation mit Anwaltskanzleien versuchen, ist: über die Dokumentenerstellung nicht nur Software für eine automatisierte Dokumentenerstellung herzustellen, sondern auch gleichzeitig eine Art „Textpflege“ anzubieten. So nach dem Motto: Wir entwickeln Vorlagen aus Euren bestehenden Vorlagen und wenn ihr wollt, übernehmen wir, bzw. die kooperierende Kanzlei, auch die Pflege der Formulierung, da wir hier auch auf juristisches Know-how zurückgreifen können. Das hat dann aber nichts mit der Technik zu tun, sondern ist eine reine Dienstleistung.
UND SONST TUT SICH GAR NICHTS?
Grundsätzlich glaube ich, dass sich hier allenfalls bei den Formulierungshilfen auf Seiten der Anwälte etwas tun könnte. Vor allem im Bereich der Dokumentenanalyse, also dass intelligente Software bemerkt, wenn sich der Anwalt in einem Text wiederholt, eine Zitierung falsch ist, auf die er sich bezieht, solche Sachen eben. Das könnte schon kommen im Rahmen immer besser werdender KI. Aber es ist bei der deutschen Sprache auch besonders schwer für die Software zu erkennen, was wirklich gemeint ist. Die Extraktion von „Kennzahlen“ aus Verträgen, wie Kündigungsfristen oder kaufmännische Kennzahlen funktioniert derzeit schon ganz „passabel“, aber dieses semantische Erkennen, was der Satz genau meint, bleibt unglaublich anspruchsvoll. Seit Jahren heißt es, dass KI auch bei deutschen Inhalten in diesem Bereich in der Praxis einsetzbar sei. Aber was ich bislang dazu gesehen habe: da ist viel Wüste und wenig Wasser.
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