Selbst wenn ihre Zahl zurückgeht: Immer noch starten viele Jura-Absolventen als Einzelanwälte. Bei vielen Juristen löst diese Existenzform die gleichen Gefühle aus, wie der schlimmste Richter-Rüffel. Grund genug, sich mit ein paar Anwälten zu unterhalten, die den Job als Solo-Jurist wie ihre Robentasche kennen und Prognosen wagen. Diese sind gar nicht schlecht, aber herausfordernd.
Sie pflegen die Monokultur: Noch immer steht auf vielen Kanzleischildern nur ein Name. Allein am Schreibtisch, möglicherweise in der eigenen Wohnung. Aber der Rechtsberatungsmarkt da draußen ist in Bewegung. Die Karten sind im digitalen Zeitalter neu gemischt, aber ziehen Einzelanwälte noch einen Joker, wenn Legal Tech und Spezialisierungsdruck den Markt prägen?
Vier Personen erklären Chancen und Risiken der juristischen Einzelstrategen
Kein Auslaufmodell und neue Chancen, kosteneffizient zu arbeiten
Höhere Belastung und schlechte Perspektiven, mahnen die einen. Bessere Chancen als immer behauptet, meint die andere Seite in Sachen Solo-Anwalt. Was stimmt denn nun? „Der Einzelanwalt ist meiner Meinung nach sicher kein Auslaufmodell“, meint Rechtsanwalt Kai Klebba, der auf Datenschutz- und Medienrecht spezialisiert ist. „Ganz im Gegenteil, für die nächsten Jahre ist ein Rückgang der Anwaltszulassungen prognostiziert. Bei gleichbleibender Nachfrage nach Beratung und jedoch sinkendem Beratungsangebot wird es für Einzelkämpfer zunehmend leichter werden, auch lukrative Mandate bearbeiten zu können.“ Klebba steht mit dieser Meinung nicht allein, die Statistik der Bundesrechtsanwaltskammer zum 01.01.2023 weist 140.713 aktive Anwälte in Einzelzulassung aus. Im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang von 2.109 Zulassungen (-1,48 %).
Begleitend kämen die stetig zunehmenden gesetzlichen Vorgaben und Regulierungen hinzu. Die würden es selbst bei größeren Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung zur Regel werden lassen, dass man spezialisierte Einzelanwälte hinzuzieht, sagt Klebba, für den dabei die Kostenfrage eine wichtige Rolle einnimmt. „Die Digitalisierung bietet Einzelanwälten klare Vorteile. Während große Kanzleien nach wie vor mit enormen Kostenapparaten arbeiten, können Einzelanwälte mit schlanken Kostenquoten kalkulieren. Hierdurch hat diese Juristengruppe einen deutlichen Vorteil im Preiswettbewerb. Das ist völlig anders als noch vor Jahren.“
Netzwerke ersetzen präsente Kollegen nicht. Mandanten verlangen den juristischen Allrounder
Rechtsanwältin Sally Uhlmann ist von Anfang an als Solo-Juristin unterwegs. Auch wenn sie aufgrund ihrer früheren Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten von Beginn an sehr gut wusste, wie eine Kanzlei tickt und funktionieren muss, erklärt sie: „Was mir wirklich fehlt, ist der Austausch. Einfach mal einen Kollegen etwas fragen, wenn man auf dem Schlauch steht oder auch nur gemeinsam eine Pause machen. Ich bin ganz gut lokal vernetzt unter den Kollegen hier, aber der Griff zum Telefon ist etwas anderes als im Büro mal kurz nebenan an die Tür zu klopfen.“ Dieses „Nebenan“ lässt sich eben nicht komplett durch den Austausch in digitalen Netzwerken oder Karriereportalen ersetzen.
Die Kosten seien ein weiteres Problem, vor allem für unerfahrene Kollegen, denn die gesamte Infrastruktur laste auf den eigenen Schultern, hinzu kämen Personal, Technik und Büroeinrichtung, das Marketing werde immer wichtiger. „Allein von der Anwaltschaft zu leben ist schwierig, aber es hängt eben wirklich stark davon ab, welches Rechtsgebiet man bedient.“ Die Mandanten würden immer mehr erwarten, dass man alle Rechtsgebiete abdecken kann.
Uhlmann entschied daher, sich mit einem zweiten Standbein als Notarin im Markt zu positionieren. Kürzlich bestand sie die notarielle Fachprüfung. „Man ist als Notar kein einseitiger Interessenvertreter, sondern neutral. Es gibt sehr viele freie Stellen mangels Nachwuchs. Die Voraussetzungen sind aber nicht einfach, die Fachprüfung ist wie ein „kleines“ drittes Staatsexamen, das schreckt viele ab. Dann muss man fünf Jahre selbstständig tätig gewesen sein und das an dem Ort, an dem man das Notariat führen will.“
Manche Anwälte wählen ein Coaching. Wer eine Nische sucht, muss darauf achten, dass sie auch rentabel ist
Typische Empfehlungen, die Jungjuristen häufig stürmisch anwehen: Kernkompetenzen bilden, Nische suchen, Marke werden. Dreiklang der Anwaltsmoderne. „Ob Spezialisierung ‚Fluch oder Segen‘ ist, diese Frage wird ja – nicht nur im Anwaltsbereich – immer wieder kontrovers diskutiert“, sagt Christiane Huismans, die seit 2009 auf das Coaching für Anwälte spezialisiert ist. „Nach meiner bisherigen Erfahrung sind – zumindest eine gewisse – Spezialisierung und das Sichtbarwerden mit ihr wichtig. Ob man sich als Berufsanfänger dafür gleich eine ‚Nische‘ suchen sollte, ist natürlich eine Frage des Einzelfalls. Warum nicht, wenn man begeistert von ihr ist. Man sollte aber bei seiner Entscheidung dann weiterhin prüfen, ob die eigenen Rahmenumstände so sind, dass man sich die Tätigkeit in der Nische, zumindest bis zum Durchbruch im Markt, wirtschaftlich leisten kann.“
Glücklicherweise machen sich heute mehr jüngere Absolventen als zuvor Gedanken darüber, wie sie solo in den Anwaltsjob einsteigen. Häufig treibt es aber bereits länger aktive Juristen zu einem Anwaltscoaching oder einer Beratung, weil die Kanzlei eben nicht so läuft wie sie soll, verschiedene Ansätze schiefgegangen sind oder man mit dem Status quo im Anwaltsleben unzufrieden ist. Zudem ist es eine Kostenfrage, nach dem abgeschlossenen Studium direkt Geld für eine externe Beratung oder ein Coaching auf den Tisch zu legen, um den beruflichen Startschuss fokussierter anzugehen.
„Neben Prüfungsbegleitung im Referendariat geht es häufig um Fragen, die mit dem Einstieg in den ‚richtigen‘ Beruf zusammenhängen”, so Huismans. „So schön die vielfältigen Möglichkeiten sind: Man möchte natürlich, dass es möglichst von Anfang an ‚passt‘. Die meisten Klientinnen und Klienten kommen aber im sogenannten mittleren Alter, wo es mehr um Fragen des ‚Weiter so?‘ geht. Sie kommen übrigens nicht nur, wenn sie mit Bordmitteln, also Diskussionen mit sich selbst und Vertrauenspersonen nicht zu Ergebnissen gekommen sind. Sie wünschen sich Impulse aus dem Coaching und den Austausch mit einem außenstehenden Dritten mit Fach- und Branchenkenntnis, mit dem sie offen und vorbehaltsfrei Themen – auch ‚out of the box‘ – erörtern können.“
Fortlaufend die eigene Position im Rechtsmarkt prüfen. Einzelanwälte sind auf dem Rückzug
„Insbesondere junge Kolleginnen und Kollegen sind heute digital wesentlich affiner als ältere Generationen“, sagt Rechtsanwalt Volker Himmen. Sie seien grundsätzlich offener für „unkonventionelle“ Mandatsgewinnung, beispielsweise über Plattformen, und könnten sich auch überregional gut positionieren. „Wichtig ist hierbei sicherlich eine Abgrenzung im Markt, vor allem gegenüber den Legal Tech-Unternehmen, die standardisierte Leistungen erbringen. Da Einzelanwälte und -anwältinnen oft nicht über die Mittel verfügen, eigene Tools zu entwickeln und anzubieten, gilt es hier, sich in den eigenen Rechtsgebieten mit maßgeschneiderten Leistungen aufzustellen und zugleich zu antizipieren, welche Einflüsse die Digitalisierung auf das eigene Marktsegment nehmen kann und wird.“ Aber Himmen sieht einen rückläufigen Trend. In einer von seiner Arbeitsgemeinschaft Kanzleimanagement durchgeführten Umfrage vor einigen Jahren zeigte sich, dass die Bereitschaft junger Jura-Absolventen, sich selbständig zu machen, nicht sehr groß ist.
Heftig haften. Einzelanwälte müssen sich mehr Gedanken machen, um Notfälle abzusichernObwohl zwischenzeitlich umfassende Rechtsprechung hierzu existiert, wird die Haftungsfrage bei Einzelanwälten oft unterschätzt. Wer alleine eine Kanzlei betreibt, muss besser auf Ausnahmesituationen vorbereitet sein. Der BGH schreibt Einzelanwälten vor, dass sie ihr Büro allgemein für unvorhersehbare Ausfälle wappnen müssen (Beschl. v. 16.04.2019, Az. VI ZB 44/18). Notwendigerweise muss eine Kollegin oder ein Kollege gefunden werden, mit dem kooperiert bzw. eine Vertretungsvereinbarung geschlossen wird, um im Krankheitsfall auf der sicheren Seite zu sein. Und wenn Einzelanwälte zudem noch komplett ohne Personal arbeiten, können sie sich selbst delegierfähiger Aufgaben nicht entledigen. Damit sind Solo-Juristen komplett für Fristen, stets einwandfrei laufende Kanzlei-IT und alle organisatorischen Belange dauerhaft im Modus Eigenverantwortung. Allein der elektronische Rechtsverkehr und die beA-Entwicklungen verlangen Aufmerksamkeit, verschlingen Zeit. Das Bild einer Anwaltschaft, die der Digitalisierung nicht besonders aufgeschlossen gegenüberstünde, kommt da noch hinzu. Hinter vorgehaltener Hand gehen einige Juristen davon aus, dass die Korrespondenz in Kanzleien mit Rechtsschutzversicherungen, Prozessgegnern oder sonstigen Dritten, also dort, wo es keine beA-Pflicht gibt, häufig noch auf Papier geführt und vergleichsweise wenig Kanzleien komplett digitalisiert arbeiten würden. |