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Eigentlich bin ich ganz nett …

Es ist ein komisches Gefühl, das mich den titelgebenden Satz sprechen lässt, als ich der netten Kosmetikerin vor mir meine Visitenkarte überreiche. Sie möchte anrufen oder mailen, wenn in ihrem vollen Terminkalender ein Platz frei wird. Ich überreiche die dienstliche Karte, also die mit dem unverkennbaren Paragrafen-Logo meiner Kanzlei darauf. Ich habe erst gar keine private, identifiziere mich mit dem, was ich bin: Anwältin.

Erfahrungswerte?!

Die nette Dame mir gegenüber lacht auch nur laut über meinen Satz. „Das hab’ ich ja noch nie gehört!“ prustet sie. Ich bin überrascht. Liege ich mit meinem dummen Gefühl, etwas Klarstellen, einen Verdacht zurückweisen zu müssen, falsch?

Naja, es verlieren schon etliche, insbesondere nette, kund*innenorientierte Dienstleister*innen, beim Anblick meiner Karte ihren freundlichen Gesichtsausdruck und die offene Körperhaltung und das Lächeln wechseln von „echt“ zu „professionell“. Bloß nichts Falsches sagen. Da steht eine Anwältin.

Wir alle werden wohl auch mit Geschichten von den (angeblichen) Kolleg*innen konfrontiert, die schon bei der Terminbuchung auf die nach Paragraf soundso gegebene Unverbindlichkeit hinweisen, danach den Hinweis auf die erbetene Absage bei Verhinderung mit einem überheblichen „Und was wollen Sie sonst machen?“ quittieren und die schon im Voraus wissen, dass sie nicht zufrieden sein werden. Was sie, notfalls schriftlich und auf einem schicken Briefbogen, auch äußern werden.

Ausnahmeerscheinungen

Natürlich sind diese Leute Ausnahmeerscheinungen und meist sind sie nicht einmal vom Fach. Aber sie fallen eben leider besonders auf, passen ins Bild, bleiben im Kopf. Genauso, wie schlecht geschriebene Serienanwälte, Internetgroß- und Gerichtslautsprecher.

Wenn ich mich bisher ganz unbewusst beim Karteüberreichen für sie schämte, dann halte das Publikum mir zu Gute, das ich das ganz offen mit der Dienstkarte tat. Keine fünfzig Silberlinge und auch kein unbeschwerter Kosmetiktermin ließen mich verleugnen: Ich gehöre dazu. Also, zu dem Beruf. Ok, manchmal auch zu den schlecht Schreibenden und gelegentlich auch zu den Besserwissern.

Auswirkungen

Gerne darf kommentiert und diskutiert werden, ob ich nicht zu wenig Selbstbewusstsein habe und mich halt einfach nicht für andere schämen sollte. Ist doch gut, wenn Kolleg*innen vehement auftreten, dem Beruf damit ein gewisses Maß an Achtung vor dem Berufsträger verschaffen. Eine Art „Die kannst Du nicht über den Tisch ziehen“-Wissen vermitteln, das vorsichtig(-er) macht.

Tja, nur: Die Kehrseite, nun namens Klischee, wirkt – das macht es aus – genauso gegen mich.

Vor allem der hässliche Gebührengeier macht mir ganz schön zu schaffen. Er springt, von den als unverschämt und gierig empfundenen Zeitgenossen geschaffen, auf meinem Kanzleitisch, wetzt seinen scharfen Schnabel und erschwert mir die Durchsetzung meiner Honorarforderungen. Das Auftreten der Einen schürt den Verdacht gegenüber den Anderen. Der Erklärungsaufwand vergrößert sich, das Vereinbaren eines Gebühren- oder Stundensatzes wird zum Begründungs- und Rechtfertigungsparcours.

Manchmal fühle ich mich fast verpflichtet, ein ganzes Berufsbild geradezurücken, und wenn ich dabei nicht höllisch aufpasse, ergeht es mir wie seinerzeit Loriot. Das Bild hängt schief, ich rücke es in bester Absicht gerade – und am Schluss ist der Raum verwüstet. Das zu verhindern, kostet: Zeit und viel positive Energie.

Fazit

Gegen die Negativausreißer, die in den Köpfen bleiben, ist kein Kraut gewachsen. Manchmal kommen Dinge auch einfach nur falsch an. Oder Menschen sind, wie ich, Sensibelchen im Bereich Mitschämen.

Aber ich bin modebewusst: Ich handele jetzt „proaktiv“! Ich reiche die Karte und überspitze den titelgebenden Satz ins Ironische. Das nachfolgende, gemeinsame Lachen bricht jedes Klischee. Dann füge ich betont schein-seriös hinzu: „Aber ich kann auch Anwalt.“

Wissen Sie, was dann passiert?

Die Menschen im Umfeld rücken entrüstet mein scheinbar doch so schiefes Berufs-Bild gerade. „Also ich hatte ja einen total lieben Anwalt/eine reizende Anwältin als …“ Ich lege den Kopf schräg und grinse. „Sehen Sie“, entgegne ich, „Eigentlich sind wir ganz nett.“

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