Das Wichtigste in Kürze:
|
Rechtsbehelf gegen U-Haft
Der in der Praxis häufigste Rechtsbehelf gegen U-Haft des Beschuldigten ist die mündliche Haftprüfung gem. § 117 Abs. 1 i.V.m. § 118 Abs. 1. „Erfolg“ i.S.e. Haftentlassung wird der Verteidiger aber auch hier nur haben, wenn er den Antrag auf und die mündliche Haftprüfung selbst sorgfältig vorbereitet hat (dazu und zu weit. Einzelh. insbesondere Schlothauer/Nobis u.a., Rn 719 ff.; Herrmann, Rn 1043 ff.; Burhoff/Herrmann, RM, Teil B Rn 839 ff.; Beck-Deckers, S. 241 ff.; Dahs, Rn 355 ff.).
Das „Rechtsmittel“ der mündlichen Haftprüfung muss der Verteidiger immer dann wählen, wenn er neue Umstände, insbesondere gegen die angenommenen Haftgründe, vortragen kann, die dem (Haft-)Richter bei Erlass des HB noch nicht bekannt waren oder wenn er dem Richter einen persönlichen Eindruck vom Mandanten, der häufig für eine positive Haftentscheidung von Bedeutung ist, vermitteln will (Kruse JA 2008, 219). Vorteilhaft ist, dass die mündliche Haftprüfung nicht die ggf. negative präjudizierende Wirkung hat, da über den Antrag der (Haft-)Richter und nicht ein ihm übergeordnetes Gericht entscheidet. Nachteile für das weitere Verfahren können sich bei einer negativen Entscheidung allerdings aus der Ausschlussfrist des § 118 Abs. 3 ergeben (Teil M Rdn 3232, 3237).
Geht es hingegen um Rechtsfragen oder erscheint es dem Verteidiger ausreichend, anhand des Aktenmaterials zu argumentieren, wird er mit der Haftbeschwerde gegen den HB vorgehen (zu allem Schlothauer/Nobis u.a., Rn 781; Herrmann, Rn 772 ff.). |
Zwei-Monatsfrist / Zeitpunkt
Hinsichtlich des Zeitpunkts der Antragstellung auf mündliche Haftprüfung muss der Verteidiger allgemein berücksichtigen, dass
- er die mündliche Haftprüfung § 117 Abs. 1 grds. jederzeit beantragen kann (LR-Lind, § 118 Rn 2),
Der Mandant hat einen Anspruch auf mündliche Haftprüfung nach § 118 Abs. 3 jedoch nur, wenn die U-Haft mindestens drei Monate und sie seit der letzten mündlichen Verhandlung mindestens zwei Monate gedauert hat (zur Fristberechnung während laufender HV OLG Celle NStZ-RR 1996, 171; zur sog. Sperrfrist SSW-StPO/Herrmann, § 118 Rn 7 ff.). Die Zwei-Monatsfrist des § 118 Abs. 3 wird auch durch die Verkündung eines abgeänderten HB in einer mündlichen Haftprüfung in Gang gesetzt (OLG Köln NStZ 2007, 608). Das Gericht hat aber das Recht, jederzeit eine mündliche Haftprüfung zu terminieren (Schröder NStZ 1998, 69 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 118 Rn 2). Die Rechte des Beschuldigten (§ 118 Abs. 3) müssen dann allerdings dadurch gewahrt werden, dass eine ohne Antrag durchgeführte Haftprüfung nicht gem. § 118 Abs. 3 zur Zurückweisung eines später vom Beschuldigten gestellten Haftprüfungsantrags führen darf (Schröder, a.a.O.; SSW-StPO/Herrmann, § 118 Rn 9). |
- der HB vollzogen werden muss, wobei allerdings der Vollzug von Strafhaft bei Notierung von U-Haft als Überhaft der Zulässigkeit des Haftprüfungsantrages dann nicht entgegensteht, wenn das Ende der Strafhaft nahe bevorsteht (OLG Schleswig SchlHA 2010, 282 [Dö/Dr] m.w.N.),
- es i.d.R. nichts bringt, einen Antrag auf mündliche Haftprüfung unmittelbar nach der Eröffnung des HB zu stellen. Denn was sollte den (Haft-)Richter, der gerade den HB verkündet und ggf. den Mandanten gehört hat, zu diesem Zeitpunkt dazu bringen, den HB wieder aufzuheben, zudem tritt ggf. die zeitliche Sperre des § 118 Abs. 3 ein,
- der Verteidiger auf das Ergebnis wichtiger Ermittlungshandlungen warten sollte, die den Mandanten ggf. entlasten können (wie z.B. Gutachten über Fingerabdrücke),
- Eigene Ermittlungen des Verteidigers abgeschlossen sein sollten.
Verfassungsrechtliches Verwertungsverbot / Kombinierter Antrag
Von besonderer Bedeutung für den Zeitpunkt der Antragstellung ist, dass der Verteidiger vor der Antragstellung AE genommen haben muss. Im Fall der Beschränkung/Verweigerung der AE ist auf jeden Fall auf die Regelung in § 147 Abs. 2 S. 2 und die Rspr. der EGMR (NJW 2002, 2013, 2015, 2018; StV 2008, 475; 2010, 490; StRR 2009, 433 m. Anm. Herrmann; HRRS 2004, 398), sowie auf die Rspr. des BVerfG hinzuweisen (Dahs, Rn 356; StrafPrax-Deckers, § 5 Rn 57 ff. [kombinierter Antrag: AE-Antrag an StA, Haftprüfungsantrag an das Gericht, um so die StA in die Frist des § 118 Abs. 5 einzubinden]); s. unten stehendes Muster eines Antrags auf mündliche Haftprüfung).
Nach § 147 Abs. 2 S. 2, der Rspr. des EGMR (a.a.O.) und der des BVerfG (NJW 1994, 3219; 2004, 2443; 2006, 1048; StV 2008, 57) darf der HB nicht auf Tatsachen/Umstände gestützt werden, die dem Verteidiger/dem Beschuldigten nicht bekannt sind (so ausdrücklich auch BT-Drucks 16/11644, S. 34). Insoweit besteht ein verfassungsrechtliches Verwertungsverbot (so schon Schlothauer StV 2001 195 f.; OLG Hamm StV 2002, 318 [für Haftprüfung nach § 121]; OLG Brandenburg NStZ-RR 1997, 107 zur früheren Rechtslage; s. aber auch OLG Hamm NStZ-RR 2001, 254). Das bedeutet bei einem „kombinierten Antrag“: Die Ermittlungsbehörden müssen entweder dem Verteidiger AE, zumindest Teil-AE, gewähren oder der HB ist ggf. aufzuheben, weil er nicht (mehr) auf dem Verteidiger nicht bekannte Umstände gestützt werden darf (s. wohl EGMR StV 2008, 475; BVerfG StV 2008, 57; OLG Hamm StV 2002, 318; auch noch BVerfG NJW 2006, 1048, für Arrestentscheidung). Das ist ggf. mit der Haftbeschwerde geltend zu machen. Ausreichende AE bedeutet nicht nur, dass dem Verteidiger die Akten ganz oder teilweise zur Verfügung gestellt werden. Er muss vielmehr auch genügend Zeit haben/bekommen, um sich mit dem Akteninhalt vertraut zu machen. Wird ihm die nicht gewährt, ist so zu verfahren, als habe er keine AE gehabt (AG Halberstadt StV 2004, 549; AG Halle StV 2018, 168 m. Anm. Hillenbrand StRR 1/2018, 23; AG Frankfurt am Main StV 1993, 33 [Ls.]; AG Kamen StV 1995, 476; ähnlich StV 2002, 315; AG Magdeburg StraFo 2014, 73; anders AG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 24.3.2014 – 45 Gs 48/14). |
Inhaltlich kann die mündliche Haftprüfung vom Verteidiger in zwei Richtungen angegangen werden. Das Ziel kann entweder sein, den dringenden Tatverdacht auszuräumen oder es kann darum gehen, sich gegen den Haftgrund, vor allem die Fluchtgefahr, zu verteidigen und wenigstens eine Außervollzugsetzung des HB nach § 116 zu erreichen. Vorbereitung und Inhalt des Haftprüfungsantrags richten sich nach dem mit der Haftprüfung verfolgten Ziel.
Es wird i.d.R. für den Mandanten günstig sein, wenn der Verteidiger vorab Kontakt mit dem sachbearbeitenden StA aufnimmt, um ggf. dessen Sicht der U-Haft-Frage zu erfahren (zu den informellen Gesprächen Herrmann, Rn 1003 ff.). Die ein oder andere Frage, z.B. die der Haftverschonung im Fall eines Geständnisses oder einer Kaution/Sicherheitsleistung, kann dann vielleicht schon in einem frühen Zeitpunkt geklärt werden. |
Verteidigung gegen den dringenden Tatverdacht / Beweisantrag
Will sich der Mandant gegen den dringenden Tatverdacht wenden, wird er damit i.d.R. nur dann Erfolg haben, wenn gegenüber dem Sachstand zum Zeitpunkt des Erlasses des HB neue Tatsachen und Beweismittel zur Verfügung stehen (wegen der Einzelh. Schlothauer/Nobisa., Rn 724). Dazu muss der Verteidiger sich ggf. vorab mit neuen Zeugen in Verbindung setzen und diese befragen. Ist danach eine Vernehmung dieser Zeugen im Haftprüfungstermin für den Mandanten Erfolg versprechend, muss der Verteidiger die Vernehmung der Zeugen beantragen und zugleich auch, wenn die Zeugen nicht bereit sind, freiwillig zu erscheinen, deren gerichtliche Ladung.
Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, solchen Anträgen vor dem Haftprüfungstermin zu entsprechen. Kommt es einem (überzeugend begründeten) Antrag des Verteidigers auf gerichtliche Ladung nicht nach, muss der Verteidiger im Haftprüfungstermin nach § 166 Abs. 1 vorgehen und einen entsprechenden Beweisantrag stellen. Diesem muss, wenn er den dringenden Tatverdacht oder die Haftgründe betrifft, dann nachgegangen werden (s.a. Schlothauer/Nobis u.a., Rn 758 m.w.N. sowie vertiefend Schlothauer StV 1995, 158). Nach Auffassung des OLG Hamm gilt § 166 aber nur während des EV, nicht auch noch nach Erlass eines Urteils (OLG Hamm StV 2002, 209; a.A. mit beachtlichen Argumenten Nobis StraFo 2002, 101 in der Anm. zu OLG Hamm, a.a.O.). Ob dem Beschuldigten gegen die die Vernehmung eines Zeugen ablehnende Entscheidung das Rechtsmittel der Beschwerde zusteht, ist umstr. (zuletzt verneint von LG Zweibrücken VRS 113, 236).
Es empfiehlt sich, im Haftprüfungsantrag auch zu beantragen, über die vom Gericht für die mündliche Haftprüfung geplanten Beweiserhebungen vorab informiert zu werden, um ggf. rechtzeitig reagieren zu können. |
Angriffe gegen Haftgründe
Mehr Erfolg als die Verteidigung gegen den dringenden Tatverdacht haben in der Praxis häufig Angriffe gegen die Haftgründe. Dazu muss der Verteidiger alles ermitteln und vortragen, was z.B. gegen die im HB angenommene Fluchtgefahr spricht. Er muss sich dafür auch rechtzeitig vor dem Termin die entsprechenden Unterlagen/Bescheinigungen über Miet-/Arbeitsverträge u.a. besorgen (lassen). Will der Verteidiger im Termin eine Kaution/Sicherheitsleistung anbieten, sollte deren Stellung vorab mit dem Mandanten oder Dritten, die zur Leistung bereit und in der Lage sind (!), abgeklärt werden (zum Vortrag des Verteidigers insbesondere beim Haftgrund der „Fluchtgefahr“ Burhoff StraFo 2000, 111 f.).
Schriftlicher Antrag
Für die i.d.R. schriftliche Antragstellung ist auf Folgendes hinzuweisen:
- Zuständig für die mündliche Haftprüfung ist nach § 126 Abs. 1 S. 1 bis zur Erhebung der Anklage das Gericht zuständig, dass den HB erlassen hat (sog. Ermittlungsrichter; wegen der Einzelh. Meyer-Goßner/Schmitt, § 126 Rn 1 ff. m.w.N.), danach nach § 126 Abs. 2 S. 1 das mit der Sache befasste Gericht.
- Ist alsbald mit der Erhebung der Anklage zu rechnen, sollte sich der Verteidiger wegen der dann auf das Erkenntnisgericht übergehenden Zuständigkeit über den Stand des Verfahrens bei der StA informieren. Über unerledigte Haftprüfungsanträge hat nämlich nach Anklageerhebung das dann zuständige Gericht zu entscheiden, mit dem sich der Verteidiger ggf. in Verbindung setzen muss. Im Berufungsverfahren entscheidet das Berufungsgericht (§ 126 Abs. 2 S. 1). Dieses wird mit Vorlage der Akten nach § 321 S. 2 zuständig. Im Revisionsverfahren ist nach § 126 Abs. 2 S. 2 das Gericht zuständig, dessen Urteil angefochten wird.
- Werden die Akten zur Haftprüfung durch das OLG diesem im Verfahren nach den §§ 121, 122 vorgelegt, wird ein Haftprüfungsantrag gegenstandslos. Der „Haftrichter“ hat dann keine Kompetenz mehr zur Entscheidung (Meyer-Goßner/Schmitt, § 122 Rn 6 m.w.N.; Schnarr MDR 1990, 92; a.A. OLG Köln JMBl. NW 1986, 22; Schlothauer/Nobisa., Rn 729 m.w.N.; Haftprüfung durch das OLG, Allgemeines, Teil H Rdn 2625).
- Dem (Haftprüfungs-)Antrag des Verteidigers muss sich gem. § 118 Abs. 1 das angestrebte Ziel, nämlich die mündliche Haftprüfung, entnehmen lassen. Auch muss der Verteidiger das konkrete Ziel des Termins – Aufhebung oder Außervollzugsetzung des HB – angeben (s. Antragsmuster; Beck-Deckers, S. 241).
- Was darüber hinaus zur Begründung vorgetragen wird, entscheidet sich nach dem im Termin angestrebten Ziel und der Angriffsrichtung.
Unverzügliche Durchführung
Die mündliche Haftprüfung muss nach § 118 Abs. 5 unverzüglich durchgeführt werden, auch wenn zwischenzeitlich ein Zuständigkeitswechsel stattgefunden hat (BerlVerfGH StV 2015, 649). Ohne Zustimmung des Beschuldigten darf sie nicht länger als zwei Wochen nach dem Eingang des Haftprüfungsantrags beim Haftrichter hinausgezögert werden.
Der Verteidiger kann die Durchführung der Haftprüfung zumindest dadurch beschleunigen, dass er seinen Haftprüfungsantrag nicht etwa an die StA mit der Bitte um Weiterleitung, sondern direkt an den zuständigen Haftrichter/Gericht richtet (zu einem „kombinierten“ Antrag auf [noch nicht vollständig gewährte] AE und auf Haftprüfung StrafPrax-Deckers, § 5 Rn 57 ff.). |
Bei der Zwei-Wochen-Frist des § 118 Abs. 5 Hs. 2. handelt es sich im Hinblick auf den in Art. 104 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift (dazu BVerfG NJW 2002, 3161; StV 2001, 691; BerlVerfGH StV 2015, 649; OLG Hamm NStZ-RR 2006, 17). Die Einhaltung der Zwei-Wochenfrist kann der Verteidiger aber dennoch nur schwer erzwingen (Schlothauer/Nobis u.a., Rn 745 f.). Dies gilt vor allem deshalb, weil nach der überwiegenden Meinung in Rspr. und Lit. allein die Fristüberschreitung ohne Zustimmung des Beschuldigten nicht automatisch zur Haftentlassung führen (KG, Beschl. v. 20.7.2009 – 4 Ws 72/09; Beschl. v. 14.10.2014 – 1 Ws 83/14 [Überschreitung von drei Tagen wegen Anklageerhebung]; OLG Hamm, a.a.O., OLG Köln StV 2009, 653; Meyer-Goßner/Schmitt, § 118 Rn 4; KK/Graf, § 118 Rn 6; krit. dazu Schlothauer/Nobis u.a., Rn 745 m.w.N.; Herrmann, Rn 1069; SSW-StPO/Herrmann, § 118 Rn 20; Kühne StV 2009, 654 in der Anm. zu OLG Köln, a.a.O.; zw. BerlVerfGH StV 2015, 649 [U-Haft wird rechtwidrig, aber nachträgliche Heilung möglich]; s.a. OLG Oldenburg StV 1995, 87 [außer Kontrolle geratene Akte]; AG Hamburg, Beschl. v. 14.1.2022 – 164 Gs 1489/21 [Aufhebung des HB wegen unterbliebener Verschubung des Beschuldigten zum Haftprüfungstermin); AG Kamen StV 1995, 476 [Aufhebung des HB wegen nicht fristgemäßer Vorlage der Akte]; 2002, 315).
In diesem Zusammenhang ist auf die Rspr. des BVerfG hinzuweisen. Dieses hat nämlich in Haftsachen ausdrücklich auf den Wortlaut des Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG hingewiesen und diesen betont. Danach darf die Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und – was häufig übersehen wird – „nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden“ (BVerfG StV 2001, 691; ähnlich die Entscheidung des BVerfG zur Frage von „Gefahr im Verzug“ bei Durchsuchungen in NJW 2001, 1121 und NJW 2002, 3161 für den Richtervorbehalt bei Freiheitsentziehungen). Macht man damit Ernst und sollen also die Fristenregelungen in der StPO nicht zur „bloßen Formalie mutieren“, dann muss allein die verspätete Vorlage der Akten zur mündlichen Haftprüfung zur Aufhebung des HB führen (ähnlich SSW-StPO/Herrmann, § 118 Rn 20; Hagmann StV 2001, 693 in der Anm. zu BVerfG, a.a.O.; Kühne StV 2010, 654 in der Anm. zu OLG Köln StV 2010, 653; s.a. BerlVerfGH StV 2015, 649; a.A. OLG Hamm NStZ-RR 2006, 17; OLG Köln, a.a.O.).
Die verspätete Vorlage kann aber zumindest die Besorgnis der Befangenheit begründen (KK/Graf, § 118 Rn 6, unter Hinw. auf BGH-Beschl. v. 4.12.1976 – 1 BJs 20/75 – AK 67/76; s.a. OLG Hamm, a.a.O., für den Fall der willkürlichen Überschreitung der Frist; OLG Köln, a.a.O.). Zudem wird in der Rspr. eine Untätigkeitsbeschwerde anerkannt (OLG Braunschweig StV 2005, 39 [Überlastung des zuständigen Richters ist ohne Belang]; OLG Hamm, a.a.O. [nur bei Willkür]; OLG Köln, a.a.O. [offenbar ohne Einschränkungen]; s.a. KK/Graf, a.a.O.; a.A. Paeffgen NStZ 20110, 206 Fn 31). |
Wird die mündliche Haftprüfung vom zuständigen Richter überhaupt abgelehnt, kann der Verteidiger für seinen Mandanten dagegen Beschwerde einlegen (KK/Graf, § 115 Rn 18; auch OLG Braunschweig StV 2005, 39).
Für den Haftprüfungstermin gilt (wegen der Einzelh. StrafPrax-Deckers, § 5 Rn 57 ff.; Schlothauer/Nobis u.a., Rn 750 ff.; Ullrich StV 1986, 268 ff.):
Der Verteidiger muss den Termin sorgfältig, im Grunde genommen wie eine (kleine) HV vorbereiten, wenn er mit seinem Antrag Erfolg haben will. Er muss insbesondere darauf achten, dass ihm alle Unterlagen, deren Vorlage er für die mündliche Haftprüfung angekündigt hat, vom Mandanten bzw. dessen Angehörigen zur Verfügung gestellt werden (zur Vorbereitung Schlothauer/Nobis u.a., Rn 745 ff.). |
Teilnahme des Verteidigers / Beteiligte
Am Haftprüfungstermin sind i.d.R. der Beschuldigte, der Verteidiger und die StA zu beteiligen. Nach § 118a Abs. 2 S. 1 ist der Beschuldigte zu der Verhandlung vorzuführen, es sei denn, dass er auf die Anwesenheit in der Verhandlung verzichtet hat oder dass der Vorführung weite Entfernung oder Krankheit des Beschuldigten oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen (dazu SSW-StPO/Herrmann, § 118a Rn 4). Das Gericht ist verpflichtet, mit dem Beginn der Haftprüfung eine angemessene Zeit zu warten, wenn der Verteidiger mitgeteilt hat, dass er teilnehmen wolle, sich aber verspätet (s. BbgVerfG NJW 2003, 2009; VerfG Rheinland-Pfalz StV 2006, 315). Kann der Beschuldigte zu einem Haftprüfungstermin, ggf. wegen Personalmangel oder weil die Verschubung unterblieben ist, nicht vorgeführt werden, wird zumindest die Außervollzugsetzung des Haftbefehls in Betracht kommen (AG Hamburg StV 2005, 395; Beschl. v. 14.1.2022 – 164 Gs 1489/21 [Aufhebung]).
Zwar ist die Teilnahme des Verteidigers an der mündlichen Haftprüfung nicht zwingend, der Verteidiger muss aber im Interesse des Mandanten auf jeden Fall an der Haftprüfung – zumal, wenn er sie selbst beantragt hat – teilnehmen oder für Vertretung sorgen. |
Die Haftprüfung ist nichtöffentlich. Daher haben Nebenkläger, Mitbeschuldigte und deren Verteidiger kein Teilnahmerecht (OLG Hamm NStZ-RR 2008, 219; OLG Karlsruhe NStZ 1996, 151; OLG Köln, Beschl. v. 10.6.2011 – 2 Ws 313/11, NStZ 2012, 174; Meyer-Goßner/Schmitt, § 118a Rn 1; Schlothauer/Nobis u.a., Rn 753 m.w.N. auch zur a.A.; Herrmann, Rn 1078; SSW-StPO/Herrmann, § 118a Rn 2).
Das Gericht kann nach § 118a Abs. 2 S. 2 anordnen, dass unter den Voraussetzungen des S. 1 die mündliche Verhandlung in der Weise erfolgt, dass sich der Beschuldigte an einem anderen Ort als das Gericht aufhält und die Verhandlung zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Beschuldigte aufhält, und in das Sitzungszimmer übertragen wird („audiovisuelle Haftprüfung“; dazu Schlothauer StV 2014, 55). Der Verteidiger kann dann wählen, ob er im Sitzungszimmer beim Gericht anwesend ist, oder ob er sich beim Beschuldigten aufhält (Meyer-Goßner/Schmitt, § 118a Rn 2). Im Zweifel wird er sich zu seinem Mandanten begeben (müssen) (auch Schlothauer, a.a.O.).
Nach § 118a Abs. 2 S. 3 muss an der mündlichen Haftprüfung ein Verteidiger teilnehmen, wenn der Beschuldigte nicht vorgeführt und nicht nach S. 2 Verfahren wird. Die früher in § 118a Abs. 2 S. 4 a.F. enthaltene Regelung, dass dem Beschuldigten in dem Falle für die mündliche Verhandlung ein Pflichtverteidiger bestellt werden musste, wenn er noch keinen Verteidiger hatte, ist durch das „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung v. 10.12.2019 aufgehoben worden. Diese Regelung konnte nach Einführung des § 141 Abs. 1 Nr. 1 entfallen. |
Rechtliches Gehör / Akteneinsicht
Im Termin ist dem Beschuldigten gem. § 118a Abs. 3 S. 1 rechtliches Gehör zu gewähren, damit er in der Lage ist, die Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen vorzubringen. Auch können ggf. Zeugen und/oder SV gehört werden.
Von besonderer Bedeutung für die (spätere) Entscheidung des Haftrichters ist ggf. der Umstand, dass dem Verteidiger möglicherweise immer noch nicht – trotz Hinweis auf § 147 Abs. 2 – (vollständig) AE in alle den Beschuldigten be- oder entlastenden Ermittlungsvorgänge gewährt worden ist. Die dem Beschuldigten nicht bekannten Vorgänge müssen nach § 147 Abs. 2 S. 2, der Rspr. des EGMR und des BVerfG dann jetzt bei der Prüfung der Frage, ob dringender Tatverdacht vorliegt, außer Betracht bleiben. Der Verteidiger muss daher unter Hinw. auf die gesetzliche Neuregelung und die obergerichtliche Rspr. auf jeden Fall Aufhebung des HB beantragen, wenn nicht oder nicht ausreichend AE gewährt worden ist (dazu a. AG Frankfurt am Main StV 1993, 33 [Ls.]; AG Halle StV 2018, 168 m. Anm. Hillenbrand StRR 1/2018, 23; AG Kamen StV 1995, 476; ähnlich StV 2002, 315; AG Magdeburg StraFo 2014, 73).
Der Verteidiger darf sich nicht damit zufrieden geben, dass der Ermittlungsrichter ihn über den wesentlichen Inhalt der Akten mündlich informiert bzw. informieren will. Denn abgesehen davon, dass das nicht „Akteneinsicht“ ist (EGMR NJW 2002, 2013, 2015; StV 2008, 475; 2010, 490; StRR 2009, 433 m. Anm. Herrmann; Kempf StV 2001, 206 in der Anm. zu EGMR NJW 2002, 2013, 2015; so wohl auch BT-Drucks 16/11644, S. 34, für die mündliche Information durch die StA; anders AG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 24.3.2014 – 45 Gs 48/14), ist der Ermittlungsrichter zur Entscheidung über die AE überhaupt nicht befugt. Das ist vielmehr die StA, die zudem ggf. auch noch eine Sperrerklärung abgegeben hat. Der Verteidiger muss, wenn dennoch so verfahren wird, aber auf jeden Fall auf Protokollierung der vom Richter erteilten Informationen bestehen, damit auf diese in der Beschwerdeinstanz zurückgegriffen werden kann. |
Art und Umfang einer ggf. erforderlichen Beweisaufnahme bestimmt nach § 118a Abs. 3 S. 2 das Gericht, das an § 244 Abs. 3 – 4 nicht gebunden ist, jedoch § 166 Abs. 1 beachten muss (Meyer-Goßner/Schmitt, § 166 Rn 2 m.w.N.; SSW-StPO/Herrmann, § 118 Rn 7; Schlothauer/Nobisa., Rn 758; OLG Köln NStZ-RR 2009, 123; Teil M Rdn 3235). Nach Auffassung des OLG Köln (a.a.O.) kommt es für die Erforderlichkeit der Beweisaufnahme darauf an, ob es sich um Umstände handelt, die für sich allein oder zumindest in Verbindung mit dem sich aus der Akte ergebenden übrigen Sachverhalt geeignet sind, die Freilassung des Beschuldigten zu begründen.
Erkennt der Verteidiger im Haftprüfungstermin, dass sein Antrag auf Aufhebung/Außervollzugsetzung des HB keine Erfolgsaussicht hat, muss er sich überlegen, ob er seinen Antrag nicht ggf. zurücknimmt. Damit umgeht er dann die sonst für einen neuen Haftprüfungsantrag geltende zeitliche Sperre des § 118 Abs. 3. |
Entscheidung
Nach § 118a Abs. 4 ist am Schluss der mündlichen Haftprüfung die Entscheidung über die Aufhebung, Außervollzugsetzung oder Aufrechterhaltung des HB zu verkünden. Gegen eine ihn belastende Maßnahme kann der Beschuldigte Haftbeschwerde einlegen.
Wird der HB aufgehoben, muss der Beschuldigte unverzüglich auf freien Fuß gesetzt werden, wenn keine Überhaft notiert ist. Das bedeutet, dass er, auch wenn in der JVA noch Entlassungsformalitäten vorgenommen werden müssen, nicht gegen seinen Willen in die JVA zurückgebracht werden darf (Meyer-Goßner/Schmitt, § 120 Rn 9; Schlothauer/Nobis u.a., Rn 966; Herrmann, Rn 1084). |
Teilnahme des Verteidigers
Nimmt der Verteidiger an einer mündlichen Haftprüfung teil, entsteht die Gebühr nach Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG, wenn in diesem Termin, was die Regel sein wird, zu den Fragen der U-Haft verhandelt worden ist (wegen der Einzelh. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4102 Rn 26 ff.; Burhoff AGS 2022, 241 ff.). Der Verteidiger sollte darauf achten, dass in dem von dem Haftprüfungstermin anzufertigenden Protokoll festgehalten wird, was im Termin geschehen ist, um den Nachweis der „Verhandlung“ führen zu können (zu diesem Begriff Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4102 Rn 32 ff m.w.N. aus der Rspr.).
Muster eines Antrags auf mündliche Haftprüfung
Ein Auszug aus dem Buch Detlef Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Auflage 2024, S. 1075-1082.
Eine weitere kostenlose Leseprobe finden Sie in unserer Onlinebibliothek Anwaltspraxis Wissen