5.a)aa) Der Einspruch gegen den StB kann nach § 411 Abs. 3 S. 1 bis zur Urteilsverkündung, in 1. Instanz zurückgenommen werden. Etwas anderes gilt für den (praktisch seltenen) Fall, wenn das StB-Verfahren zwischenzeitlich zu einem erstinstanzlichen Verfahren vor dem LG hinzuverbunden wurde (BGH, Urt. v. 14.1.2021 – 4 StR 95/20, NJW 2021, 795). § 302 Abs. 2 dürfte entsprechend gelten (KK/Maur, § 411 Rn 30), was zur Folge hat, dass der Verteidiger einer besonderen Ermächtigung bedarf. Diese muss nicht schriftlich vorliegen, sondern es genügt, wenn der Verteidiger erklärt, er nehme den Einspruch „namens und in Vollmacht des Angeklagten“ zurück (OLG Celle, Beschl. v. 22.4.2022 – 1 Ss 5/22; zur Rücknahme s. auch KG NJW 2009, 1686). Nach Beginn der HV ist die Rücknahme nur mit Zustimmung der StA möglich (§ 411 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 303 S. 1). Für die Wirksamkeit der Einspruchsrücknahme gelten die Ausführungen zur Berufung, Berufungsrücknahme entsprechend.
| Das Zustimmungserfordernis der StA nach Beginn der HV muss die Verteidigung ebenso wie die Befugnis des Gerichts, eine höhere Strafe festzusetzen als im StB vorgesehen, bei der Prüfung der Frage, ob der Einspruch wirklich „durchgezogen“ werden soll, berücksichtigen und mit dem Mandanten erörtern. Insbesondere bei fortgeschrittener, für den Angeklagten ungünstig verlaufender Beweisaufnahme wird die StA nicht selten nicht mehr zu einer Zustimmung bereit sein, sondern womöglich im Gegenteil sogar eine für den Angeklagten nachteiligere Rechtsfolge anstreben. |
bb) Mit der Rücknahme des Einspruchs ist das Verfahren beendet, einem zwischenzeitlich eingebrachten Adhäsionsantrag wird die Grundlage entzogen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.9.2022 – 1 Ws 201/22, Justiz 2022, 307; LG Heilbronn, Beschl. v. 23.11.2020 – 8 Qs 5/20, StraFo 2021, 76). Wendet sich der Angeklagte später erneut gegen seine Bestrafung oder kommt es sonst zum Streit über die Wirksamkeit der Rücknahme, ist dies regelmäßig, ungeachtet der Bezeichnung des Rechtsbehelfs, als Antrag auf Fortsetzung des Strafverfahrens auszulegen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.3.2012 – 2 Ws 21/13). Auf einen solchen Antrag hat das AG durch Beschluss festzustellen, dass der Einspruch wirksam zurückgenommen ist, oder dem Strafverfahren seinen Fortgang zu geben (OLG Jena NStZ 2007, 56).
| Stellt das AG die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung fest, ist gegen diese Entscheidung das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde statthaft (OLG Stuttgart, a.a.O.). |
b) Der Verteidiger kann den Einspruch gem. §§ 410 Abs. 2, 411 Abs. 3 S. 1 auch noch in der HV auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränken. Für die Wirksamkeit gelten ebenfalls dieselben Voraussetzungen wie für eine Berufungsbeschränkung (Meyer-Goßner/Schmitt, § 410 Rn 4 m.w.N.). Eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist daher z.B. nur wirksam, wenn die Feststellungen des StB eine tragfähige Grundlage für eine Rechtsfolgenentscheidung bilden (dazu z.B. BayObLG NJW 2003, 2397; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 113); eine rechtsfehlerhafte Subsumtion und damit eine unzutreffende rechtliche Einordnung des Tatgeschehens steht der Wirksamkeit der Beschränkung aber nicht entgegen (KG, Beschl. v. 31.1.2024 – 1 ORs 1/24 – 161 Ss 3/24). Der Zustimmung eines am Verfahren beteiligten Nebenklägers bedarf es nach §§ 411 Abs. 3 S. 2, 303 S. 2 nicht.
| Die Beschränkung des Einspruchs gegen einen Strafbefehl ist unwirksam, wenn sie im Rahmen einer Verständigung gem. § 257c erfolgt, bei der der Angeklagte nicht gem. § 257c Abs. 5 belehrt wurde (KG ZInsO 2017, 879). |
Bei einem beschränkten Einspruch findet die Regelung des § 473 Abs. 3 keine Anwendung, weil der Einspruch kein Rechtsmittel i.S.d. Vorschrift ist (LG Ingolstadt StRR 2014, 255). Nach einer Beschränkung des Einspruchs auf die Höhe des Tagessatzes muss die Staatskasse die Kosten tragen, die durch Aufklärung der bis dahin nicht ermittelten persönlichen Verhältnisse des Angeklagten entstanden sind (LG Mosbach StV 1997, 34; LG Neuruppin AGS 2005, 460). Die Kosten fallen der Staatskasse auch dann zur Last, wenn der Angeklagte vor Erlass des StB kein rechtliches Gehör hatte (LG Flensburg NStZ-RR 2005, 96).
6. Nach § 411 Abs. 2 findet hinsichtlich der Verlesbarkeit von Protokollen über eine frühere Vernehmung eines Zeugen, SV oder Mitbeschuldigten sowie hinsichtlich der Verlesbarkeit von Erklärungen von Behörden und schließlich hinsichtlich des Umfangs der Beweisaufnahme die für ein beschleunigtes Verfahren geltende Vorschrift des § 420 entsprechende Anwendung (wegen der Einzelh. s. dort; wegen der Anwendbarkeit von § 420 Abs. 4 auf den Umfang der Beweisaufnahme in der Berufungs-HV des StB-Verfahrens).
| Verstöße gegen die Beweiserhebungsvorschriften können in der Revision nur mit der Aufklärungsrüge geltend gemacht werden (OLG Köln StraFo 2003, 380 m.w.N.). |
7. Kommt es zum Urteil, ist das Gericht nach § 411 Abs. 4 nicht an den im StB enthaltenen Rechtsfolgenausspruch gebunden. Vielmehr kann eine gegenüber dem StB höhere Strafe festgesetzt werden, und zwar auch bei unverändertem Sachverhalt und ohne Hinzutreten neuer strafschärfender Umstände (OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.1.2006 – 1 Ss 5/06). Das Verbot der „reformatio in peius“ gilt also – anders als im Berufungsverfahren nach § 331 – nicht.
| Das ist ein besonderes Risiko des Einspruchs und der sich daraus ergebenden HV, zumal das Gericht im Hinblick auf eine Erhöhung der Strafe keine besondere Hinweispflicht hat und die Gründe für die Strafschärfung überdies auch nicht zwingend im Urteil darlegen muss (Meyer-Goßner/Schmitt, § 411 Rn 11). Lediglich wenn eine im StB noch vorgesehene Strafaussetzung zur Bewährung entfallen soll, gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens ausnahmsweise einen vorherigen Hinweis (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.).
Dennoch weisen die AG i.d.R. darauf hin, wenn sie im Urt. vom Rechtsfolgenausspruch des StB zum Nachteil des Angeklagten abweichen wollen. Dann hat der Angeklagte/Verteidiger, sofern die StA ihre hierfür notwendige Zustimmung erteilt, immer noch die Möglichkeit, den Einspruch zurückzunehmen. Wenn der Angeklagte an der HV nicht teilnimmt, sollte das vorher zwischen ihm und dem Verteidiger auf jeden Fall abgesprochen sein. Der Hinweis auf die Möglichkeit der Strafverschärfung begründet i.Ü. nicht die Besorgnis der Befangenheit des Richters, solange eine vertretbare Strafvorstellung offengelegt wird (OLG Stuttgart, a.a.O.). |
Ein Auszug aus dem Buch Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 11. Auflage, 2024, Teil S Rdn. 3088-3094
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