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„Arzt, heile Dich selbst – Anwalt, reflektiere Dich selbst!“

Resilienz bringe nichts, weil nur das Verhalten im Beruf zu ändern gesucht werde, nicht aber die Verhältnisse selbst, verkündet ein Hochglanzmagazin. Zugleich steigt die Zahl der psychischen Erkrankungen in anwaltlichen Berufen stetig. Was also ändert Resilienz und, vor allem, wie wird „Anwalt“ resilient?

Es antworten Dr. Donya Gilan vom Leibnitz-Institut für Resilienzforschung (LIR) und Sasan Hechmat, Fachanwalt für Familien- und für Arbeitsrecht, beide aus Mainz.

 

Frau Gilan, als Anwältin wünsche ich mir in Mandantengesprächen oft den ausgebildeten Psychologen an die Seite. Resilienz ist aber nicht nur die Fähigkeit, mit Emotionen anderer kontrolliert umzugehen, sondern auch mit den eigenen, oder?

Gilan: Emotionsregulation in Bezug auf eigene Emotionen ist sogar ein zentrales Thema der Resilienz. Die eigenen Emotionen sind nie völlig abgekoppelt von dem, wie andere emotional auf mich reagieren. Durch jede Interaktion erhalten und erzeugen Sie auch Emotionen, entweder gerade heraus oder auch subtil. Diese wirken sich wiederum sehr stark auf die Gedankenwelt des Menschen aus. Habe ich in einer Situation negative Gefühle oder Gedanken, gibt es eine sehr starke Wechselwirkung mit meinem Verhalten.

 

Konstruieren wir hierzu ein Beispiel: Eine Gerichtsverhandlung verläuft gegen mich, setzt mich unter Druck. Meine negative Erwartungshaltung – Ich kann das nicht, letztes Mal hat’s auch nicht geklappt – führt dazu, dass ich die vergleichbare Situation wieder negativ empfinde. Ich vermeide sie künftig. Eine Art „Teufelskreis“.

Gilan: Genau. Das beste Resilienz-Training wäre das Gegenteil: Die reale Herausforderung zu suchen, führt letztlich dazu, dass unsere Widerstandsfähigkeit größer wird. Aufgrund der Vermeidung können Sie nämlich in der Situation selbst keine Lösungskompetenzen entwickeln, werden nicht die Erfahrung machen, dass sie selbstwirksam sind, sprich: an ihrer Situation durch eigens Handeln etwas verändern können. Sie machen auch nicht die Erfahrung, dass Angst oder andere negative Emotionen in ihrer Intensität abnehmen und dadurch Situationen weniger bedrohlich wirken.

Diese Wirkungskette zwischen Gedanken, Emotionen und Verhalten ist zentral für die Stärkung der Resilienz, da Stress größtenteils durch Wahrnehmung und Bewertung in unseren Köpfen entsteht.

 

Herr Hechmat, haben Sie für sich einen Weg gefunden, wie Sie diesen Stress vermeiden?

Hechmat: Berufserfahrung hilft sehr. Als junger Anwalt ist der Umgang mit Stressfaktoren deutlich schwieriger. Mit der Zeit entwickeln sich Strategien. Ich lasse Stress, soweit möglich, gar nicht erst aufkommen. Dazu braucht es zunächst einmal eine gute Work-Life-Balance, d.h. ich muss ein gutes Team haben, eine stressfreie Umgebung, eine positive Atmosphäre, ein gutes Betriebsklima.

Dann folgt der Umgang mit der konkreten Stresssituation, da haben viele eine falsche Rücksichtnahme im Kopf. Ich habe für mich selbst festgestellt, dass es wichtig ist, konfrontativ vorzugehen, also ehrlich zu sagen, wenn einem etwas nicht passt, oder etwas gerade nicht möglich ist. Ein weiteres Beispiel: Der Anwalt soll spontan auf einen neuen Sachverhalt reagieren, wissend, dahinter stehen Schicksale. Ich habe akzeptiert, dass es mir auch als gestandenem Anwalt immer wieder passieren kann, dass ich Fragen gestellt bekomme, auf die ich nicht sofort zu antworten weiß. Das ermöglicht mir eine adäquate Reaktion, etwa ein offenes, freundliches, durchaus konfrontatives: „Es tut mir leid, aber das Thema ist so komplex, dass ich da einfach noch mal vertiefend reinschauen muss.“

 

Das wird in der Regel akzeptiert. Ende des Drucks?

Hechmat: Genau. Außerdem gehe ich selektiv vor, hinterfrage die Erwartungshaltung des Mandanten und spiegele sie realistisch und klar. Das beginnt in der Erstberatung, mit der im Hintergrund ablaufenden Frage, ob ich den Mandanten überhaupt als solchen annehmen möchte, und endet damit, auch mal einem Mandanten zu kündigen. Und schließlich: Abschalten, zu Hause erst mit Abstand über Jura reden, Sport machen.

 

Frau Gilan, Herr Hechmat hat gerade einen Weg aufgezeigt, wie man mit fremden Emotionen und Sachverhalten der Mandanten umgehen kann. Gibt es auch einen Weg, der Emotionen – ausgelöst durch Mandanten, einfach ausblendet?

Emotionen können nicht gelöscht oder aussortiert werden. Sie können verdrängt werden, aber auch dann suchen sie sich meist ihr Ventil. Die Schritte, die die Resilienzforschung empfiehlt, sind, insbesondere negative Emotionen anzunehmen, sie zu durchleben, aber auch zu wissen, dass sie wie Wolken sind und damit auch vorübergehen, sich in ihrer Intensität verändern, schwächer werden. So gewinnt man mit der Zeit eine bessere Steuerung seiner Emotionen, ist ihnen nicht ausgeliefert und kann sich auch von ihnen distanzieren. Man entwickelt für sich seinen eigenen Gefühlskompass, der Wege öffnet, die Emotionen zu regulieren.

Das kann etwa sein, sich in positive Stimmung zu bringen, – wie wir gerade von Herrn Hechmat gehört haben – abzuschalten, Distanz zu finden, eine positive Aktivität auszuführen – ganz banal: mit jemandem Essengehen, mit einem Freund telefonieren, soziale Unterstützung beim Kollegen holen. Kann an der Situation nichts geändert werden, muss Akzeptanz folgen – ein schwieriger Prozess, der aber letztendlich dazu führt, dass wieder Energie freigesetzt wird.

 

Haben es Menschen, die von Grund auf optimistisch durchs Leben gehen, beim Thema Resilienz einfacher?

Gilan: Ja, Optimismus ist auf jeden Fall ein Resilienzfaktor, allerdings sprechen wir im Bereich der Resilienzforschung eher vom realistischen Optimismus. Es werden schon wirkliche Herausforderungen, Gefahren oder Bedrohungen einer Situation betrachtet, aber davon ausgegangen, Einfluss auf diese Situation nehmen zu können. Es wird ein positives Ende antizipiert, zumindest jedoch eine zeitliche Begrenzung einer gegenwärtig unangenehmen Situation. Letztendlich ist es eher eine Haltung, dass sich die Dinge in Zukunft in eine positivere Richtung verändern werden. Damit kann ich Stresssituationen aktiver begegnen, weil ich Stress dann nicht als Bedrohung wahrnehme, sondern meinen Handlungsspielraum sehe und keine Hilflosigkeit erfahre. Viele Studien zeigen, dass Menschen, die eine etwas positiv verzerrte Wahrnehmung haben, weniger Stressanzeichen zeigen, weniger Cortisol ausschütten, bei größeren Krisen weniger in der Opferstarre bleiben und schnell wieder ans Handeln kommen. Wir wissen, dass das einen enormen Einfluss darauf hat, wie sie mit einer Krise umgehen.

 

Gerade wird das Thema Intervision und Supervision im Anwaltsbereich stark diskutiert, der DAV stellt gar eine Online-Plattform dafür zur Verfügung. Was halten Sie davon?

Hechmat: Ich habe mich persönlich immer sehr viel mit Freunden und Kollegen ausgetauscht und tue das bis heute, auch im privaten. Für alle, denen das nicht zur Verfügung steht, halte ich das für sehr sinnvoll: Man bekommt ja dann doch immer noch einen Tipp. Ich hinterfrage meine Arbeit, meine Arbeitsweise und mein Kanzleimanagement permanent.

Gilan: Ich denke auch, dass es grundsätzlich eine gute Option ist, eine Plattform zum Austausch zu haben. Wenn natürlich jemand, wie Herr Hechmat, das schon über den Freundeskreis abdeckt, ist der Bedarf für ihn wahrscheinlich nicht so groß.

 

Ich beobachte allerdings, dass Anwälte Intervisionsangebote weniger als emotionalen Austausch, sondern eher als fachwissenorientiertes „Tipp-Tool“ nutzen.

Gilan: Vermutlich passiert dieser emotionale Austausch trotzdem. Der Teil der Selbstreflexion und der Selbstoffenbarung könnte im Anwaltsberuf aber durchaus stärker ausgelebt werden. Stellvertretende Traumatisierung findet dort sehr häufig statt. Psychische Gesundheit und Prävention muss auch bei Anwälten stärker thematisiert, und Einrichtungen dazu angeboten werden. Der Anwaltsberuf bedingt zwar ein anderes Image nach Außen, was sich vermutlich auch auf Gespräche mit Kollegen auswirkt, hilfreich sind Inter- und Supervision aber trotzdem, auch weil sie zur psychischen Gesundheit und zur Entstigmatisierung von psychischen Krankheiten beitragen.

 

Sie sprachen gerade das Image des Anwaltsberufs an. Schaut man sich das öffentliche Bild eines Anwalts an, so entsteht eher das Gefühl, da brüllt der Löwe, aber er weint nicht, um es etwas laps zu formulieren. Herr Hechmann, könne Sie diesen Eindruck bestätigen?

Hechmat: Das kann ich durchaus. Aber ich sehe noch einen anderen Aspekt: Der Anwaltsberuf, das wird unterschätzt, besteht aus Kommunikation, aus vielen psychologischen und pädagogischen Bestandteilen, die wichtig sind in unserem Beruf, nicht nur dem Mandanten, sondern auch mir selbst gegenüber: Wie komme ich an? Wie reflektiere ich? Wie gestresst bin ich? Da braucht man auf jeden Fall einen Coach, der berät. Das haben Anwälte in jeder Größenordnung nötig. Es gehört zum Erfolgsrezept, ein guter Anwalt zu sein UND sich schützen zu können. Dem sollte man sich nicht verschließen.

 

 

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