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„Anwälte müssen Fristen auch selten bearbeiteter Rechtsgebiete kennen“

Häufig stützen Anwälte einen Antrag auf Wiedereinsetzung darauf, dass die Rechtsmittelbelehrung des Gerichts falsch war. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 24.01.2018 (Az. XII ZB 534/17) betont, dass die Belehrung dann jedoch „offenkundig falsch“ gewesen sein muss. Aber wann ist sie das? Vor allem in Familienrechtsmandaten stoßen fachfremde Anwälte schnell auf „ungewöhnliche“ Regelungen. Ein Anruf in Berlin bei Rechtsanwältin Eva Becker, die sich damit auskennt und weiß: Gerichtliche Belehrungen brauchen ein wachsames Auge.

Die BGH-Entscheidung aus 2018 bezog sich auf eine familienrechtliche Angelegenheit. Einfach liegt die Sache für den Anwalt nie: Auf eine Rechtsmittelbelehrung vertrauen ja, aber das Verfahrensrecht und Rechtsmittelsystem, das sein Mandat betrifft, muss er schon kennen. Bleibt die Frage: Wie „falsch“ muss eine Belehrung sein, damit das Gericht einen Anwaltsfehler als nachvollziehbar werten kann?


MUSS EIN ANWALT BEI JEDER RECHTSMITTELBELEHRUNG DAMIT RECHNEN, DASS SIE FALSCH IST?

Natürlich hat man als Anwalt Grundkenntnisse zu beherrschen und zweitens gilt der Grundsatz: Traue niemals einer Rechtsmittelbelehrung des Gerichts. Mit meinen beiden Kollegen betreibe ich die Familienrechtskanzlei, ich bearbeite jährlich circa 250 Familienrechtsmandate. Wir würden nie einfach so auf eine Rechtsmittelbelehrung des Gerichts vertrauen. Und natürlich haben wir den Blick dafür. Meine Mitarbeiterin, die seit über zehn Jahren hier arbeitet, erkennt dann auch selbst mögliche Fehler. Ich kann mich an keinen Fall erinnern, in dem mir vor ihr ein Fehler in einer Belehrung aufgefallen ist.


STELLT DAS FAMILIENRECHT HIER EINEN SONDERFALL DAR?

Tatsächlich ist meine Erfahrung, dass die gerichtlichen Rechtsmittelbelehrungen auf diesem Rechtsgebiet durchaus in einem Maße falsch sind, dass man sich schon wundert. Allein schon deshalb prüfen unsere Fachangestellten und ich jede eingehende obligatorisch, eben weil man sich gerade hier nicht darauf verlassen kann, dass die immer korrekt sind.


WELCHE GRÜNDE SEHEN SIE DAFÜR?

Entscheidend war die Verfahrensreform 2009. Mit ihr kam die Unterscheidung der Rechtsmittel, es galt nun das FamFG und man hatte zwischen den Streitsachen und den Nicht-Streitsachen zu unterscheiden. Die einen haben die klassische Begründungsfrist von zwei Monaten nach § 117 Abs. 1 FamFG. Bei den anderen gibt es die nicht.


KAM ES DA NICHT GERADE IN DER ÜBERGANGSZEIT ZU VIELEN FEHLERN?

Ich erinnere mich, dass schon damals, als die Regelung noch neu war, einige Anwälte in diese Falle tappten und nicht richtig unterschieden. Ich habe auch beobachtet, dass in der Anfangszeit zuhauf Beschwerden beim Oberlandesgericht eingelegt worden sind, anstatt zum Amtsgericht, wie es nun gesetzlich geregelt war. Hat man dann noch mit dem Familienrecht wenig zu tun, kann es tatsächlich passieren, dass man eine falsch genannte Frist nicht erkennt oder die Zuständigkeit des Untergerichts übersieht. Diese Konstellation hat zu viel Verwirrung und auch zu einer ordentlichen haftungsrechtlichen Rechtsprechung geführt.


WARUM WURDE DIE ZUSTÄNDIGKEIT ÜBERHAUPT SO GEREGELT?

Man erhoffte sich hiervon eine Vereinfachung, weil viele Beschwerden nicht durchgeführt werden. Also sollte ein OLG erst gar nicht belastet werden mit einer Beschwerde, die möglicherweise gar nicht durchgeführt wird. Diese sollten deshalb nun direkt beim Amtsgericht eingelegt werden. Meiner Meinung nach ein unsinniger Ansatz. Wenn dann noch in der Belehrung vielleicht falsch steht, dass die Beschwerde beim Oberlandesgericht einzulegen ist, kann ein Anwalt, der sonst wenig mit dem Familienrecht zu tun hat, sowas schon einmal übersehen. Denn zivilprozessual wäre es im Zweifel ja zutreffend, nur eben nach dem FamFG nicht.


JETZT SAGT DER BGH ABER, DASS ANWÄLTE DAS Rechtsmittelsystem der jeweiligen Verfahrensart kennen MÜSSEN, WENN SIE EIN MANDAT ÜBERNEHMEN. SIND DAMIT NICHT AUCH ALLE FRISTEN UMFASST?

Die Entscheidung des BGH ist insoweit nicht sehr ergiebig und bleibt sehr allgemein. Sie geht in die Richtung „Anwalt, Du musst halt aufpassen“. Allerdings denke ich, und darauf weist der BGH ja zu Recht hin, dass man nicht erst als Fachanwalt solche Fristen kennen muss. Wenn ich mich rechtlich auf einem Rechtsgebiet tummle, das mir vielleicht nicht täglich geläufig ist, dann muss ich trotzdem die Fristen, die da herrschen könnten, kennen oder sie mir aneignen, und auch Belehrungen des Gerichts hierauf überprüfen. Ansonsten muss ich schlicht die Finger von dem Mandat lassen.


MAN KÖNNTE ARGUMENTIEREN, DASS EIN GERICHT TÄGLICH RECHTSMITTELBELEHRUNGEN VERFASST. WARUM DARF DORT NICHT DIESELBE SACHKUNDE VORAUSGESETZT WERDEN?

Bei Gericht sind Volljuristen am Werk, natürlich sollte man sich grundsätzlich schon darauf verlassen können, dass eine korrekte Rechtsmittelbelehrung verfasst wird. Aber auch in der Justiz wird immer mehr mit Textbausteinen und Vorlagen gearbeitet. Ist dann auch der Arbeitsdruck hoch, fügt die Geschäftsstelle schon mal einen falschen Text ein. Und wenn dann eine Richterin oder ein Richter nicht genau hinschaut, dann passiert das eben. Wenn immer mehr mit Software oder automatisierten Vorlagen gearbeitet oder vieles per Mausklick ausgewählt wird, birgt das einfach ein höheres Fehlerpotential, als wenn man den gesamten Text runterschreibt.


SEHEN SIE ES KRITISCH, WENN GERICHTE NICHT BERÜCKSICHTIGEN, OB DIE KANZLEI SPEZIALISIERT IST ODER NICHT?

Nehmen wir eine klassische Kanzlei, die alles macht, dann haben die auch einen ganz anderen Anspruch an die Mitarbeiter, ein viel anspruchsvolleres Dezernat bezogen auf diese Haftungsthematik. In unserer Kanzlei werden Sie sozusagen zum „Fachidioten“, weil wir eben nichts Anderes machen als Familienrecht. Da gehen bei uns sofort die roten Lampen an, wenn was Fachfremdes reinkommt, weil das so selten ist, dass man haftungstechnisch nicht sofort im sicheren Fahrwasser unterwegs ist.


ALSO SOLLTEN DIE GERICHTE HIER DIFFERENZIEREN?

Ich vertrete die Ansicht, dass die Haftungsrechtsprechung jeweils im Einzelfall durchaus zwischen gemischten und spezialisierten Kanzleien und deren Mitarbeitern unterscheiden sollte. Der BGH hat jedoch in seiner Entscheidung aus 2018 klar gesagt, dass es zu den „verfahrensrechtlichen Grundkenntnissen“ jedenfalls gehört, die Rechtsmittelbegründungsfrist für die Beschwerde im Familienrecht zu kennen. Und „Grundkenntnisse“ muss jeder Anwalt haben. Es spielt also für den BGH keine Rolle, ob ein Anwalt nun selten oder häufig mit dieser Frist konfrontiert wird.

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