Beitrag

Vorläufige Vollstreckbarkeit und Sicherungsvollstreckung

I.

Vorläufige Vollstreckbarkeit

Die in der Praxis am häufigsten vorkommenden Titel sind bekanntlich Vollstreckungsbescheide, da der Gläubiger durch den Mahn- und anschließenden Vollstreckungsbescheid schneller, günstiger und einfacher zu einem Titel kommt.

Macht der Gläubiger seine Ansprüche jedoch im Klageweg geltend und obsiegt, darf er anschließend nicht nur aus rechtskräftigen, sondern auch aus noch nicht rechtskräftigen vorläufig vollstreckbaren Urteilen die Zwangsvollstreckung betreiben.

Der Grund für die vorläufige Vollstreckbarkeit ist einerseits darin zu finden, dass dem Gläubiger nicht unbedingt zumutbar ist, ein sich in die Länge ziehendes Berufungsverfahren abzuwarten. Im Übrigen hat die Praxis schon oft gezeigt, dass Rechtsmittel lediglich aus Gründen der Zeitgewinnung eingelegt werden.

Andererseits müssen aber auch die Schutzinteressen des Schuldners gewahrt werden. Ein Instrument des Schuldnerschutzes ist z.B. die Sicherheitsleistung des Gläubigers oder aber auch des Schuldners zur Ermöglichung oder Verhinderung der Zwangsvollstreckung (§ § 709, 711, 712 ZPO).

Die Vollstreckung ist aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil schon vor der Rechtskraft möglich. Vollstreckt der Gläubiger jedoch vor der Rechtskraft des Urteils, muss ihm klar sein, dass er für Schäden, die durch eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen dem Schuldner entstehen, u.U. haftet (§ 717 Abs. 2 ZPO).

Als sogenannter Schutzfaktor wird zwischen

  • vorläufig vollstreckbaren Urteilen ohne Sicherheitsleistung und

  • vorläufig vollstreckbaren Urteilen gegen Sicherheitsleistung

unterschieden.

Ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar sind gemäß § 708 ZPO

  • Urteile, die aufgrund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen (§ 708 Nr. 1),

  • Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gemäß § 331a ZPO (§ 708 Nr. 2),

  • Urteile, durch die gemäß § 341 ZPO der Einspruch als unzulässig verworfen wird (§ 708 Nr. 3),

  • Urteile im Urkunden-, Wechsel- und Scheckprozess (§ 708 Nr. 4),

  • Urteile, die ein Vorbehaltsurteil im Urkunden-, Wechsel- und Scheckprozess für vorbehaltslos erklären (§ 708 Nr. 5),

  • Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden (§ 708 Nr. 6),

  • Urteile in Mietstreitigkeiten (§ 708 Nr. 7),

  • Urteile in Unterhalts- und Rentenstreitigkeiten (§ 708 Nr. 8),

  • Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten (§ 708 Nr. 10),

  • andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung den Betrag von 1.250,00 EUR nicht übersteigt (§ 708 Nr. 11).

Auf die Praxis bezogen bedeutet das, dass insbesondere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis 1.250,00 oder Anerkenntnis- oder Versäumnisurteile ohne irgendwelche Hürden sofort vollstreckbar sind.

Die Vorschrift des § 709 ZPO beinhaltet, dass alle anderen als die in § 708 ZPO aufgezählten Urteile nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar sind.

Wird wegen einer Geldforderung vollstreckt genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Meistens wird in den Urteilen formuliert:

„Das Urteil ist nur gegen Sicherheitsleistung von 110 % vorläufig vollstreckbar.“

Hierzu ein Beispiel:

Der Beklagte wird verurteilt, 5.000,00 EUR zu bezahlen. Das Urteil ist nur gegen Sicherheitsleistung von 110 % vorläufig vollstreckbar. Hier muss der Gläubiger die Sicherheitsleistung in Höhe von 5.500,00 EUR erbringen, um vollstrecken zu können.

Soll wegen des Beispiel-Urteils jedoch nur wegen eines Teilbetrages von 2.000,00 EUR vollstreckt werden, müssen 2.200,00 EUR als Sicherheitsleistung erbracht werden.

Achtung:

Soll auch wegen Zinsen und Kosten vollstreckt werden, erhöht sich die Sicherheitsleistung entsprechend.

Wie ist die Sicherheitsleistung zu erbringen?

Geregelt werden Art und Höhe der Sicherheitsleistung in § 108 ZPO.

„In den Fällen der Bestellung einer prozessualen Sicherheit kann das Gericht nach freiem Ermessen bestimmen, in welcher Art und Höhe die Sicherheit zu leisten ist. Soweit das Gericht eine Bestimmung nicht getroffen hat und die Parteien ein anderes nicht vereinbart haben, ist die Sicherheitsleistung durch die schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts oder durch Hinterlegung von Geld oder solchen Wertpapieren zu bewirken, die nach § 234 Abs. 1 und 3 BGB zur Sicherheitsleistung geeignet sind.

Die Vorschriften des § 234 Abs. 2 und des § 235 BGB sind entsprechend anzuwenden.“

Hervorzuheben sind dabei die Worte „schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft“. Die Bürgschaft darf also an keine Bedingung oder Einschränkung geknüpft sein.

Größere Unternehmen erbringen die Sicherheitsleistung der Einfachheit halber oft durch eine entsprechende Bankbürgschaft.

Was ist bei Erbringung einer Bürgschaft zu beachten?

Vor oder spätestens mit Beginn der Zwangsvollstreckung muss die Bürgschaft entweder von Anwalt zu Anwalt oder durch den Gerichtsvollzieher im Original oder als öffentlich beglaubigte Urkunde nachgewiesen und eine Abschrift dieser Urkunde bereits zugestellt sein oder gleichzeitig zugestellt werden (§ 751 Abs. 2 ZPO).

Wie erfolgt die Sicherheitsleistung durch Geld?

Die Sicherheitsleistung durch Geld ist durch das am 11.5.2010 in Kraft getretene Hinterlegungsgesetz geregelt. Zur Hinterlegung werden Geld, Wertpapiere und sonstige Urkunden sowie Kostbarkeiten angenommen (§ 6 HintG). Die Hinterlegung erfolgt bei Geldsummen durch Gutschrift auf einem von der Hinterlegungsstelle bezeichneten Konto oder in Eilfällen durch Bareinzahlung bei der Zahlstelle des Amtsgerichts (§ 9 Abs. 1 HintG). Hinterlegtes Geld wird nicht verzinst (§ 12 HintG).

Ist die Sicherheitsleistung nur durch den Gläubiger oder auch durch den Schuldner möglich?

In der Regel erbringt der Gläubiger bei der beabsichtigen sofortigen Vollstreckung die Sicherheitsleistung. Jedoch hat der Gesetzgeber auch dem Schuldner die Möglichkeit der Sicherheitsleistungserbringung eingeräumt. Diese ist gemäß § 711 ZPO durch den Schuldner aber nicht möglich bei

  • Urteilen, die aufgrund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen,

  • Versäumnisurteilen und Urteilen nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a ZPO,

  • Urteilen, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird.

Gibt es Ausnahmen bei der Sicherheitsleistung?

Kann der Gläubiger die Sicherheit nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten leisten, so ist das Urteil auf Antrag auch ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären, wenn die Aussetzung der Vollstreckung dem Gläubiger einen schwer zu ersetzenden oder schwer abzusehenden Nachteil bringen würde (§ 710 ZPO).

Würde die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen, so hat ihm das Gericht auf Antrag zu gestatten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden, allerdings ist dem Antrag des Schuldners nicht zu entsprechen, wenn ein überwiegendes Interesse des Gläubigers vorhanden ist (§ 712 ZPO).

Wie erfolgt der Rückzahlung der erbrachten Sicherheitsleistung?

Hat der Gläubiger z.B. auch in der Rechtsmittelinstanz obsiegt, kann er durch Nachweis des Rechtskraftzeugnisses die Rückgabe der erbrachten Sicherheit verlangen.

Obsiegt der Schuldner kann er etwaige Schadensersatzansprüche, die durch Vollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers entstanden sind, gemäß § 717 ZPO gegen den Gläubiger geltend machen.

Beispiel:

Der Gläubiger obsiegt wegen eines Betrages von 100.000,00 EUR, erbringt die Sicherheitsleistung, vollstreckt im Rahmen einer Kontopfändung und legt dadurch den gesamten Geschäftsbetrieb des Schuldners lahm. Der Schuldner gewinnt das Berufungsverfahren. Ihm ist durch die Vollstreckung ein erheblicher Schaden entstanden. Diesen kann er nunmehr gegen den Gläubiger geltend machen.

Sofern der Schuldner Sicherheit geleistet und im Berufungsverfahren obsiegt hat, erhält er unter Vorlage des Rechtskraftzeugnisses seine Sicherheit zurück.

II.

Die Sicherungsvollstreckung gemäß § 720a ZPO

Die Sicherungsvollstreckung gehört zu den Maßnahmen, die einer Vielzahl von Gläubigern unbekannt ist. Nicht zuletzt zur Vermeidung von Regressansprüchen sind Kenntnisse hierzu unerlässlich.

Ist ein Urteil nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar und kann der Gläubiger – aus welchem Grunde auch immer – die Sicherheitsleistung nicht erbringen, bietet § 720a ZPO die Möglichkeit der vorzeitigen Vollstreckung.

Gemäß § 720a ZPO darf aus einem nur gegen Sicherheit vorläufig vollstreckbaren Urteil, durch das der Schuldner zur Leistung von Geld verurteilt worden ist, der Gläubiger ohne Sicherheitsleistung die Zwangsvollstreckung insoweit betreiben, wenn

  • bewegliches Vermögen gepfändet wird,

  • im Wege der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen durch Eintragung einer Sicherungshypothek oder Schiffshypothek vollstreckt wird.

Wie der Begriff „Sicherungsvollstreckung“ schon sagt, ist die Vollstreckung nur zur Sicherung möglich.

Achtung: Frist

Zulässig ist die vorgenannte Vollstreckung jedoch nur, wenn dem Schuldner zwei Wochen vor Beginn der Vollstreckung der mit der Klausel versehene Titel zugestellt wird (§ 750 Abs. 3 ZPO). Der Grund für die Wartefrist von zwei Wochen liegt darin, dass der Schuldner Gelegenheit erhält, seinerseits die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden.

Der Titel muss in jedem Fall auf eine Geldleistung gerichtet und die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung müssen auch für die Sicherungsvollstreckung erfüllt sein (OLG Rostock, MDR 2006, 1433. JurBüro 2006, 382). Es gilt jedoch der Grundsatz: Keine Endgültigkeit der Verwertung (Anders/Gehle, ZPO Kommentar, 80. Auflage 2022, § 720a Rn 4).

Zulässig ist jede nur vorläufige, sichernde und nicht endgültig verwertende Maßnahme. Möglich sind bei der Sicherungsvollstreckung

  • die Pfändung in das bewegliche Vermögen (§ 803 ff. ZPO),

  • die Pfändung der im Gewahrsam des Schuldners befindlichen Sachen (§ 808 ZPO),

  • die Pfändung von Sachen, die sich im Gewahrsam des Gläubigers oder eines zur herausgabebereiten Dritten befinden (§ 809 ZPO),

  • für die Forderungspfändung wegen einer Geldforderung (§ 829 ZPO),

  • für das vorläufige Zahlungsverbot (§ 845 ZPO),

  • die Abnahme der Vermögensauskunft (§ 802 ZPO),

  • die Abnahme der erneuten Vermögensauskunft (§ 802d ZPO),

  • die Eintragung einer Sicherungshypothek (§ 867 ZPO),

  • die Eintragung einer Schiffshypothek (§§ 8, 24 SchiffsRG).

Wann findet die Verwertung oder Versteigerung statt?

Eine Verwertung ist nach dem Eintritt der formellen Rechtskraft oder dann möglich, wenn der Gläubiger eine Sicherheit geleistet hat oder wenn das Urteil ohne eine Sicherheitsleistung vollstreckbar geworden ist.

Wie wird die Sicherungsvollstreckung in der Praxis durchgeführt?

1. Zwangsvollstreckung mit dem Gerichtsvollzieher

Der Gläubiger erteilt online den Vollstreckungsauftrag und fügt dem Auftrag

entweder

  • ein formloses an den Gerichtsvollzieher gerichtetes Anschreiben bei, mit dem Hinweis: „es ist die Sicherungsvollstreckung gemäß § 720a ZPO durchzuführen“

  • oder

  • nimmt unter „P 8“ des amtlichen Vollstreckungsformulars die vorgenannte Formulierung in vergrößerter Schrift vor.

Der Gerichtsvollzieher vollstreckt nun, muss aber gepfändete Gegenstände einlagern (Achtung: ggf. entstehen Einlagerungskosten) oder nimmt bei gepfändeten Geldbeträgen eine Hinterlegung – wie oben dargelegt – vor. Wie bereits ausgeführt, ist auch die Abnahme der Vermögensauskunft gemäß § 802 ZPO möglich.

2. Zwangsvollstreckung per Pfändungs- und Überweisungsbeschluss

Normalerweise wird auf Seite 1 des Antrags auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses angekreuzt: „Pfändung“ „und“ „Überweisung“. Bei der vorzunehmenden Sicherungsvollstreckung wird lediglich „Pfändung“ mit einem Kreuz versehen.

3. Vollstreckung ins Grundbuch mit einer Zwangshypothek

Auch hier wird in einem Anschreiben darauf hingewiesen, dass lediglich die Sicherungsvollstreckung gemäß § 720a ZPO begehrt wird.

Hinweis:

In allen Fällen gilt lediglich die Sicherung eines Anspruchs.

Wann erfolgt die Verwertung?

Zulässig wird eine endgültige Verwertung nach dem Eintritt der formellen Rechtskraft nach § 705 ZPO und dann, wenn der Gläubiger eine Sicherheit geleistet hat oder wenn das Urteil ohne eine Sicherheitsleistung vollstreckbar geworden ist.

Nochmaliger Hinweis:

Vor Durchführung der Sicherungsvollstreckung ist der mit der Vollstreckungsklausel versehene Titel zwei Wochen vor Beginn der Sicherungsvollstreckung zuzustellen (§ 750 Abs. 3 ZPO). Auch für eine eventuelle Rechtsnachfolgeklausel gilt diese Zwei-Wochen-Frist.

III.

Zusammenfassung

Erscheint der Mandant in der Kanzlei und ist erkennbar, dass die Angelegenheit brandeilig sein dürfte (spätere Zwangsvollstreckung unmöglich oder wesentlich erschwert), ist das Arrestverfahren durchzuführen.

Ist die Angelegenheit sehr eilbedürftig, das Urteil nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar und ist es dem Mandanten nicht möglich, die Sicherheitsleistung zu erbringen, sollte die Sicherungsvollstreckung gemäß § 720a ZPO durchgeführt werden.

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