Der Haftungsausschluss gemäß § 104 Abs. 1 SGB VII und § 105 Abs. 1 SGB VII erfasst auch die Ansprüche des Hinterbliebenen auf Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB.
(Leitsatz des Verfassers)
Die Verstorbene und ihr Ehemann haben dem Beklagten als Fahrer des auf der Beklagtenseite versicherten Traktors in dem landwirtschaftlichen Betrieb bei der Errichtung eines Weidezauns geholfen, wobei der Kläger beinahe täglich auf dem Hof gewesen ist und bei den anfallenden Arbeiten geholfen hat. Bei einem Unfallereignis löste sich die Greifschaufel des Traktors aus der Verankerung und verletzte dabei die Frau des Klägers so schwer, dass sie an den Folgen ihrer Verletzungen verstorben ist. Der Kläger hat den Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung eines Hinterbliebenengeldes in Anspruch genommen.
Nachdem das Landgericht die Klage abgewiesen hat, hat auf die Berufung des Klägers das OLG das Urteil abgeändert und den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Der BGH hat allerdings das Eingreifen einer Haftungsprivilegierung bejaht und die Entscheidung des Berufungsgerichtes aufgehoben. Unter Berücksichtigung des Wortlauts des §§ 104, 105 SGB VII, der Systematik und des Sinn und Zwecks sowie der Entstehungsgeschichte wäre diese Haftungsprivilegierung auch im Bereich eines Hinterbliebenengeldes anzuwenden.
Bereits der Wortlaut des § 104 würde für eine Anwendung der Vorschriften aus Hinterbliebenengeld sprechen, da nach dieser Vorschrift Ansprüche des Versicherten und solche seiner Angehörigen und Hinterbliebenen in gleicher Weise erfasst werden sollen. Auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zur Einführung des Hinterbliebenengeldes würde eine Entscheidung des Gesetzgebers, die für einen Ausschluss der Haftungsprivilegierung sprechen würde, gerade nicht erkennen lassen. Auch wäre nicht davon auszugehen, dass das in § 844 Abs. 3 normierte Hinterbliebenengeld an der Rechtsprechung zu den Schockschäden orientiert wäre und deswegen die dort entwickelte Ausnahme auch für ein Hinterbliebenengeld eingreifen müsste. Beide Institute sollen vielmehr – wie im Gesetzgebungsverfahren betont worden ist – eine eigenständige Bedeutung haben.
Außerdem würden Sinn und Zweck der §§ 104, 105 SGB VII für eine Anwendung der Haftungsbeschränkung auf Hinterbliebenengeld sprechen. Hintergrund des Haftungsprivilegs wäre es nämlich, dass bei einem Arbeitsunfall die gesetzliche Unfallversicherung eintritt, um unter anderem auch eine den Betriebsfrieden belastende Auseinandersetzung um ein Verschulden des Schädigers und ein Mitverschulden des Getöteten zu vermeiden. Auch wenn es sich bei dem Streit zwischen den Hinterbliebenen und dem Betriebsinhaber bzw. den dort beschäftigten Personen auf erste Sicht um eine außerbetriebliche Streitigkeit handelt, sind die Hinterbliebenen nach ständiger Rechtsprechung des BGH in den Schutz des Betriebsfriedens mit eingebunden. Zwar wäre zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Untersicherung kein Ausgleich für den Ausschluss des Hinterbliebenen bei bestimmten Schadensersatzansprüchen vorsieht – dies würde aber auch für Ansprüche nach § 845 BGB oder Schmerzensgeld eines anderen verletzten Versicherten. Denn nach Ansicht des BGH ist es wegen der Verschiedenheit beider Ordnungssysteme auch nicht erforderlich, dass der Geschädigte im konkreten Einzelfall tatsächlich eine umfassende Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung erhält.
Vor diesem Hintergrund wäre auch der Haftungsausschluss mit einer Ausweitung auf das Hinterbliebenengeld weiterhin als verfassungskonform anzusehen. Die Überlegungen, die den BGH bewogen haben, den Anspruch auf Schmerzensgeld wegen eines Schockschadens nicht von der Haftungsprivilegierung zu erfassen, wären dagegen gerade nicht auf diesen Streitfall des Hinterbliebenengeldes zu übertragen, da es sich um unterschiedliche Institute handeln würde. Insbesondere wäre zu beachten, dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gerade keine eigene Gesundheitsbeeinträchtigung des Hinterbliebenen voraussetzt und der Anspruch des Hinterbliebenengeldes einen immateriellen Ersatzanspruch eigener Art darstellt.
Mit dieser Entscheidung hebt der BGH das vorangehende Urteil des OLG Koblenz auf und stellt im Einklang mit der herrschenden Meinung in der Literatur klar, dass die Haftungsprivilegierung der §§ 104 ff. SGB VII sich auch auf das Hinterbliebenengeld erstreckt. Insoweit findet also eine unterschiedliche Behandlung gegenüber den sogenannten Schockschäden statt, bei denen der BGH eine Haftungsprivilegierung gerade nicht für anwendbar erklärt hat (vgl. BGH, Urt. v. 6.2.2007 – VI ZR 55/06) Dogmatisch ist dies vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Rechtsnaturen der beiden verschiedenen Institute sicherlich gut vertretbar. Für den Hinterbliebenen bleibt dies misslich, da er keinen Ausgleich im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung enthält. Zudem kann kontrovers diskutiert werden, ob und in welchem Umfang im Einzelfall die Wahrung des Betriebsfriedens bei einem Hinterbliebenen tatsächlich eine entscheidende Rolle spielt. Der BGH hat jedoch die Weichen in dieser Fallgruppe zulasten des Hinterbliebenen gestellt.
Bisherige einzige OLG Entscheidung wird aufgehoben.
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