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Aktuelle Entwicklungen bei der Regulierung von Vorschäden nach einem Verkehrsunfall

Oftmals ist nach einem Verkehrsunfall die Haftung dem Grunde nach klar, aber es stellen sich unreparierte Altschäden bzw. reparierte Vorschäden an dem Fahrzeug des Anspruchstellers heraus. Die Praxis steht dann vor der Schwierigkeit, zu bestimmen, in welchem Umfang überhaupt eine Schadensvertiefung eingetreten ist bzw. welcher Aufwand erforderlich ist, um alleine die unfallbedingten Schäden beseitigen zu lassen. Hierzu hatte sich in der Vergangenheit eine gefestigte Rechtsprechung entwickelt, die allerdings durch eine Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 2019 weiterentwickelt worden ist. Die aktuellen Entwicklungen werden mit diesem Beitrag dargestellt.

I.

Die Rechtsprechung im Überblick

Ausgehend von den aktuellen Vorgaben des BGH haben sich unterschiedliche Auffassungen in der Rechtsprechung herausgebildet, welche Anforderungen an die Darlegung eines Vorschadens und seine Reparatur zu stellen sind. 1. Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2019

1. Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2019

IDer BGH (Urt. v. 15.10.2019 – VI ZR 377/18, VRR 12/2019, 2 [Ls.]) hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem der Geschädigte ein Fahrzeug erworben hatte, welches angeblich unfallfrei gewesen sein soll und bei dem trotz einer Untersuchung durch eine Lackschichtdickenmessung keine Hinweise auf einen Vorschaden aufgefallen waren. Tatsächlich gab es zu diesem beschädigten Fahrzeug allerdings in der Vergangenheit des Vorbesitzers einen Vorschaden, der einen wirtschaftlichen Totalschaden dargestellt hat. Aufgrund der höheren Reparaturkosten war es nicht wirtschaftlich, das Fahrzeug vollständig und fachgerecht nach den Vorgaben des Sachverständigengutachtens instand zu setzen und der Kläger sah sich nicht in der Lage, zu dem durchgeführten Reparaturweg im Detail vorzutragen, da das Fahrzeug zum Zeitpunkt seines späteren Erwerbs wieder instand gesetzt gewesen ist und er vom Vorbesitzer keine Auskunft zum Umfang des Schadens und der durchgeführten Reparatur erhalten habe.

In diesem Fall einer arglistigen Täuschung hat der BGH entschieden, dass es dem Vorbesitzer nicht verwehrt werden kann, auf Basis seines konkreten Wissens hierzu vorzutragen und dann im Prozess einen Eintritt in die Beweisaufnahme zu erfahren. Konkret wären die benannten Zeugen zu der angeblich durchgeführten Reparatur bei dem Fahrzeug weiter zu vernehmen, wobei allerdings dann verbleibende Zweifel zu Lasten des Anspruchstellers gehen würden, der weiterhin die Darlegungs- und Beweislast für den Umfang eines Vorschadens und seiner Reparatur hat. Insoweit betont der BGH auch im Einklang mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung, dass für diese Beweisführung des Geschädigten ein konkreter Tatsachenvortrag erforderlich ist:

„Auch für die Schadensschätzung nach § 287 ZPO benötigt der Tatrichter aber greifbare Tatsachen, die der Geschädigte im Regelfall im Einzelnen darlegen und beweisen muss. Eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens, auch in der Form der Schätzung eines „Mindestschadens“, lässt §  287 ZPO grundsätzlich nicht zu.“

Welche konkreten Anforderungen sich daraus aber im Detail ergeben, werden von den Tatgerichten unterschiedlich beurteiltet.

2. Grundlagen für eine Schadensschätzung

IDiese Rechtsprechung haben mehrere Oberlandesgerichte zum Anlass genommen, bei einem ausreichenden Sachvortrag des Geschädigten eine weitreichende Schätzung im Rahmen des § 287 ZPO zur Bestimmung des unfallbedingt entstandenen Schadens in Abgrenzung zu einem Vorschaden zuzulassen – dies insbesondere dann, wenn (wie im Fall des BGH vergleichbar) der Geschädigte über das Vorhandensein des Vorschadens getäuscht worden oder nicht vollständig informiert worden ist. Dies soll erst recht gelten, wenn es nicht alleine um einen überlagernden Vorschaden geht, sondern der Vorschaden sich auf den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges auswirkt, wobei zugleich davon auszugehen ist, dass das Fahrzeug ja auch vor dem Unfallereignis selbst bei einem nur schlecht reparierten Vorschaden einen bestimmten Wert aufweist.

a) Beispielhaft: Aktuelle Entscheidung des OLG Bremen

Diesbezüglich weist insbesondere das OLG Bremen (Urt. v. 30.6.2021 – 1 U 90/19, VRR 11/2021, 13) auf Folgendes hin: Seiner Darlegungs- und Beweislast kann der Geschädigte zum einen dadurch genügen, dass er darlegt und nachweist, dass vorhandene Vorschäden fachgerecht repariert worden sind. Hierzu genügt es, wenn der Geschädigte die wesentlichen Parameter der Reparatur vorträgt und unter Beweis stellt, während Fragen des Vorhandenseins von Rechnungen oder der Ausführung der Einzelschritte der Reparatur in Übereinstimmung mit gutachterlichen Vorgaben im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden können. In dem Sonderfall eines vor der Besitzzeit des Geschädigten erfolgte Vorschäden kann der Geschädigte seiner Darlegungs- und Beweislast bereits durch eine unter Beweis gestellte Behauptung genügen, dass der Vorschaden beseitigt worden sei, auch wenn der Geschädigte hiervon keine genaue Kenntnis hat und lediglich vermutet, dass eine fachgerechte Reparatur erfolgt sei.

Zum anderen kann der Geschädigte, wenn er nicht die Reparatur der Vorschäden darlegen kann, dem Einwand des Vorhandenseins von Vorschäden dadurch begegnen, dass er nach dem Maßstab des § 287 ZPO über die bloße Unfallkompatibilität hinausgehend nachweist, dass bestimmte abgrenzbare Beschädigungen durch das streitgegenständliche Unfallereignis verursacht worden sind.

Kann auch ein solcher Nachweis der Verursachung bestimmter abgrenzbarer Beschädigungen durch den streitgegenständlichen Unfall nicht geführt werden ist sehr wohl ein weiteres Vorgehen denkbar: Es kommt nach Ansicht des OLG Bremen bei genügenden Anhaltspunkten in Form hinreichend greifbarer Tatsachen sehr wohl auch in Betracht, das Vorliegen von Vorschäden im Wege der Schadensschätzung durch einen Abschlag bei der Schadensbemessung zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für einen Wiederbeschaffungswert, den ein Fahrzeug auch bei einem nur schlecht reparierten Vorschaden aufweist.

b) Beispielhaft: Aktuelle Entscheidung des OLG Celle

Auch das OLG Celle (Urt. v. 3.11.21 – 14 U 86/21 = VRR 8/2022, 13) lässt eine entsprechende Schadensschätzung nach § 287 mit geringeren Anforderungen an die Darlegungslast vor dem Eintritt in eine Beweisaufnahme in bestimmten Fällen zu. Soweit nämlich der Eigentümer des beschädigten Unfallfahrzeugs behauptet, von einem eventuellen Vorschaden selbst keine Kenntnis und die beschädigte Sache in unbeschädigtem Zustand erworben zu haben, kann es ihm auch nach Ansicht des OLG Celle nicht verwehrt werden, zur Behauptung der fachgerechten Reparatur des Vorschadens Zeugenbeweis anzutreten. Der Fall war mithin dadurch gekennzeichnet, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Vorschadens noch nicht die Eigentümerin des Fahrzeugs gewesen ist. Sie hat behauptet, die Sache in unbeschädigten Zustand erworben zu haben, so dass ihr nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht verwehrt werden kann, ihre Behauptung einer fachgerechten Reparatur des Vorschadens unter Zeugenbeweis zu stellen.

Nach dem Ergebnis der durch den Senat durchgeführten Beweisaufnahme ist in diesem Fall der streitgegenständliche Vorschaden nach Überzeugung des Senats sach- und fachgerecht repariert worden. Der vernommene Zeuge, der von Beruf Kraftfahrzeugmechaniker ist, hat hierzu für den Senat ausreichend Folgendes ausgesagt: Das Fahrzeug sei vor dem Ankauf durch sein Autohaus auf Schäden untersucht, die Fahrzeughistorie recherchiert und das Fahrzeug sei im Rahmen der Untersuchung auf eine Hebebühne gesetzt worden. Im Rahmen dieser Untersuchungen und Recherchen seien keinerlei Beschädigungen an dem Fahrzeug festgestellt worden, die nicht lediglich kleinere Lackabplatzungen gewesen seien und diese Angaben haben dem Senat genügt, zumal auch der Dekra-Sachverständige, der das Fahrzeug nach dem Unfall der Klägerin untersucht habe, keine Beschädigungen durch einen zuvor erfolgten Heckaufprall als Vorschaden festgestellt habe. Insbesondere wäre bei diesen fachkundigen Zeugen davon auszugehen, diesen ein unsachgerecht reparierter Vorschaden aufgefallen wäre. Gerade im Rahmen der hier durchgeführten Zerlegung falle eine unsachgemäße Reparatur, beispielsweise durch abbrechenden Spachtelauftrag, auf.

3. Strengere Anforderungen an den Vortrag

Abgesehen von diesem Sonderfall geht die wohl derzeit überwiegende Rechtsprechung der Oberlandesgerichte allerdings weiterhin davon aus, dass dem Geschädigten zumindest bei einem überlagernden Vorschaden eine detaillierte Darlegungs- und Vortragslast dazu trifft, in welchem Umfang ein Vorschaden bestanden hat und wie und mit welchen Maßnahmen der tatsächlich repariert worden sein soll (im Überblick: Böhm/Nugel VRR 4/2017, 6 ff.). Dies zumindest in den Fällen, in denen dem Geschädigten der Umfang des Vorschadens aus seiner eigenen Besitzzeit bekannt gewesen ist und er selbst die sodann veranlasste Reparatur durchgeführt hat (vgl. z.B. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.11.2021 – I 1 U 143/21; OLG Hamm, Beschl. v. 21.12.2021 – I 9 U 164/20; OLG Köln, Beschl. v. 5.1.2021 – 17 U 62/19). Dies überzeugt auch, da dem Geschädigten in diesen Fällen sehr wohl zumutbar ist, sowohl zum Umfang des Vorschadens als auch den selbst durchgeführten Reparaturen vorzutragen und es darf daher auch nicht Aufgabe eines Gerichts sein, im Wege einer unzulässigen Ausforschung die an sich vom Kläger zu erbringende Abgrenzung zwischen Alt- und Neuschäden unter Berücksichtigung der Reparatur eines Vorschadens vorzunehmen.

Wird ein Kraftfahrzeug in einem unfallvorgeschädigten Bereich durch einen erneuten Unfall betroffen, bedarf es nach dieser Rechtsprechung der genauen Darlegung des Vorschadens und dessen Reparatur in allen Einzelheiten, da der Ersatzanspruch sich lediglich auf den Ersatz derjenigen Kosten erstreckt, die zur Wiederherstellung des fortbestehenden Zustandes erforderlich sind. Unterbleiben diese Ausführungen, ist die Klage im vollen Umfang abzuweisen, da nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann, dass durch den streitgegenständlichen Unfall ein weiterer Schaden entstanden ist und – selbst bei möglicherweise kompatiblen Schäden – nicht ausgeschlossen ist, dass ein Vorschaden geltend gemacht wird (so bereits KG, Urt. v. 27.8.2015 – 22 U 152/14; OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.2.2015 – I 1 U 32/14; OLG Hamburg, Urt. v. 29.8.2013 – 4 U 57/13; OLG Hamm, Urt. v. 12.4.2019 – I 26 U 71/18). Selbst wenn ein Teil des Schadens kompatibel sein sollte, lässt sich nicht ausschließen, dass dieser nicht doch bereits vor dem Unfallereignis im Rahmen des Vorschadens vorhanden gewesen ist (KG, Beschl. v. 12.12.2011 – 22 U 151/11). Es kommt dabei auch nicht darauf an, ob es sich um einen Vorschaden aus einem Verkehrsunfall oder anderen Ereignis handelt (OLG Köln, Beschl. v. 1.10.2020 – 12 U 74/20).

II.

Weitere Erfahrungen aus der Praxis

Letztendlich hängt es immer von den Umständen des Einzelfalls ab, ob und in welchem Umfang ein konkreter Vortrag von dem Geschädigten zu der einschlägigen Vorschadenproblematik erwartet werden kann. Zumindest in den Fällen, bei denen es um einen überlagernden Vorschaden geht, wird von ihm auch weiterhin erwartet werden können, konkret zu der Beseitigung des Vorschadens vorzutragen.

1. Vorschaden und Wiederbeschaffungswert

Aber auch, wenn der Vorschaden in einem nicht überlagernden Bereich liegt, kann es notwendig sein, dass zu dessen Beseitigung näher vorgetragen wird. Dies immer dann, wenn der Vorschaden notwendigerweise auch den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges betrifft und eine Abrechnung auf Basis des Wiederbeschaffungsaufwandes zumindest ernsthaft in Betracht kommt. Auch in diesem Fall treffen die Klägerseite nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung besondere Darlegungs- und Beweispflichten nach dem Maßstab des § 286, zumindest aber § 287 ZPO, wenn ohne detaillierte Kenntnis über den Umfang des Vorschadens und seine ggf. erfolgte Reparatur der aktuelle Wiederbeschaffungswert nicht bestimmt werden kann (OLG Celle, Urt. v. 8.2.2017 – 14 U 119/16; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.6.2017 – I 1 U 116/16; OLG Hamm, Beschl. v. 4.2.2022 – I 9 U 155/22). Selbst wenn der Vorschaden sich auf einen anderen Schadensbereich als der angeblich neue Schaden bezieht, lässt sich in diesem Fall ohne weitere Angaben mithin ein erstattungsfähiger Fahrzeugschaden nicht feststellen (OLG Hamm, Beschl. v. 21.12.2021 – I 9 U 164/20).

2. Vorschaden in der Vorbesitzzeit

Dabei ist allerdings auch zu beachten, dass – wie im ersten Teil dargelegt – nach den Vorgaben des BGH vom Geschädigten kein zu detailreicher Vortrag erwartet werden kann, wenn es sich um einen Vorschaden in der Vorbesitzzeit handelt – erst recht, wenn es lediglich um die Bestimmung des Wiederbeschaffungswerts des Fahrzeugs geht. Auch hier ist eine genaue Prüfung des Einzelfalls geboten – entscheidend sind immer die Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten, der sich gegebenenfalls auch nicht nur auf den Hinweis beschränken darf, dass der Vorschaden sich in der Vorbesitzzeit ereignet hat, sondern auch eine aktive Nachforschungspflicht unter Berücksichtigung der sekundären Darlegungslast treffen kann.

Die schon dargelegten Grundsätze zur Vortragslast gelten jedenfalls auch dann fort, wenn sich der Schaden in der Vorbesitzzeit ereignet hat, dem Geschädigten aber das Fahrzeug unter Offenlegung des Vorschadens verkauft worden ist und er selber angeblich den Vorschaden mit einer Reparatur beseitigt haben will (OLG Düsseldorf, Urt. v. 9.3.2021 – I-1 U 72-20; OLG Hamm, Beschl. v. 21.12.2021 – I 9 U 164/20). Aber auch wenn der Vorschaden in der Vorbesitzzeit eingetreten sein soll, ist der Geschädigte je nach den Umständen des Einzelfalls gehalten, auch die Umstände vorzutragen, über die er in zumutbarer Weise sich Kenntnis verschaffen kann. Dazu gehört insbesondere eine Kommunikation mit dem Vorbesitzer über einen Vorschaden und dessen Reparatur – dementsprechend ist der Anspruchssteller auch gehalten, darzulegen, warum er nicht mehr vortragen kann und keinen Zugriff auf weitere Erkenntnisse hat – ansonsten verbleibt es bei dem grundsätzlich von ihm zu tragenden Risiko, dass er ein vorgeschädigtes Kfz erwirbt, ohne dieses beim Erwerb näher auf Vorschäden untersuchen zu lassen (OLG Koblenz, Beschl. v. 28.7.2021 – 12 U 353/21, VRR 8/2002, 16). Anders als beim Fall des OLG Celle hatte der Geschädigte im Fall des OLG Koblenz sich augenscheinlich gar nicht mit dem Verkäufer bzw. Zwischenverkäufer wegen möglicher Vorschäden bzw. entsprechender Untersuchungen in Verbindung gesetzt und dies unterscheidet vorliegend auch beide Fälle.

Dr. Michael Nugel, RA und FA für VerkehrsR und VersR

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