1. Gelegentlicher Konsum von Cannabis liegt vor, wenn der Betroffene in zwei oder mehr selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen.
2. Es erscheint in besonders gelagerten Fällen nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die durch vorherigen Cannabiskonsum nach Nr. 9.2.1 oder 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV entstandenen Fahreignungszweifel durch eine ärztliche Verordnung von medizinischem Cannabis ausgeräumt werden können oder die ggf. entfallene Fahreignung dadurch wiederhergestellt wird. Allein die Behauptung, einen nicht ärztlich verordneten Cannabiskonsum durch einen ärztlichen Konsum ersetzt zu haben, genügt dazu jedoch grundsätzlich nicht.
(Leitsätze des Gerichts)
Der Antragsteller führte am 25.5.2021 ein Kfz unter der Wirkung von Cannabis (6,4 ng/ml THC sowie 19,3 ng/ml THC-Carbonsäure). Gegen den Antragsteller war bereits im Jahr 2018 wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt worden. Das Landratsamt den Antragsteller hat den Antragsteller gestützt auf § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV und unter näherer Begründung seiner Ermessensentscheidung aufgefordert, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Nachdem der Antragsteller kein Gutachten vorlegte, hat das Landratsamt ihm nach vorheriger Anhörung mit Bescheid die Fahrerlaubnis entzogen und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes, seinen Führerschein binnen fünf Tagen beim Landratsamt abzuliefern. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an. Aus der Nichtvorlage des Gutachtens sei auf mangelnde Fahreignung zu schließen. Der Antragsteller ließ Klage zum VG erheben. Zugleich hat er einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt, den das VG abgelehnt hat. Dagegen richtet sich die erfolglose Beschwerde des Antragstellers.
Nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV liegt Kraftfahreignung bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis vor, wenn der Konsum und das Fahren getrennt werden. Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Beibringung eines MPU-Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf diese bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Bei feststehender Ungeeignetheit ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zukäme. Dies gilt auch bei Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens.
Der Schluss aus der Nichtvorlage des angeforderten MPU-Gutachtens auf die fehlende Fahreignung sei gerechtfertigt, denn die auf § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV gestützte Gutachtensanordnung sei rechtmäßig gewesen. Das Landratsamt habe davon ausgehen können, dass der Antragsteller zumindest gelegentlich Cannabis konsumiert oder konsumiert hat (s. Leitsatz 1). Bei der Wertung, dass der Antragsteller mehr als einmal und damit gelegentlich Cannabis konsumiert hat, handele es sich um einen Akt der Beweiswürdigung. Der Antragsteller habe nicht plausibel dargelegt, am 25.5.2021 aus besonderen Umständen heraus einmalig Cannabis probiert zu haben. sein Vorbringen verfehle die vorgenannten Anforderungen und stehe auch im Widerspruch zu den in dem Verfahren im Jahr 2018 getroffenen Feststellungen (wird ausgeführt). Das VG habe auch zu Recht zugrunde gelegt, dass die Konsumakte im Jahr 2018 sowie am 25.5.2021 den notwendigen zeitlichen Zusammenhang aufweisen. Inwieweit in der Vergangenheit liegende Konsumakte, die keine Eintragung im Fahreignungsregister nach sich gezogen haben, noch als Grundlage für die Annahme eines gelegentlichen Konsums herangezogen werden können, beurteile sich nach einer Einzelfallbetrachtung. Maßgeblich sei zum einen, ob bei Einbeziehung aller relevanten Umstände, insbesondere Art und Ausmaß des früheren Drogenkonsums, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne eines Gefahrenverdachts besteht, dass der Betroffene noch Cannabis einnimmt oder jedenfalls rückfallgefährdet ist. Zum anderen müsse sich, da das Merkmal der „Gelegentlichkeit“ insoweit der Abgrenzung zum einmaligen (experimentellen) Probierkonsum dient, ein erneuter Konsum auch nach innerem Zusammenhang sowie unter zeitlichen Gesichtspunkten als Fortsetzung des früheren Konsummusters darstellen. Eine schematische Festlegung von Zeiträumen verbietet sich dabei (BVerwG DAR 2005, 581; NJW 2015, 2439 = VRR 3/2015, 8 jew. Burhoff] = StRR 2015, 152; VGH Mannheim DAR 2022, 166). Nach diesen Grundsätzen setze der zeitliche Abstand zwischen dem Konsum im September 2018 und dem im Mai 2021 hier bei einer Gesamtbetrachtung keine relevante Zäsur. Das Bestellen von Cannabis für 100 EUR im Dezember 2017 sowie das Auffinden von 2 Gramm Haschisch sowie Konsumutensilien bei ihm im September 2018 legten nahe, dass der Antragsteller 2018 nicht nur ein einziges Mal Cannabis konsumiert hat, sondern über einige bzw. längere Zeit. Dass er sich nach 2018 völlig vom Cannabiskonsum gelöst hätte, sei nicht ersichtlich und vom Antragsteller bereits nicht substantiiert behauptet worden. Daraus, dass er in der Zwischenzeit nicht nochmals als Cannnabiskonsument aufgefallen war, ergäben sich schon angesichts der hohen Dunkelziffer keine belastbaren Rückschlüsse.
Auch sei die Fahrerlaubnisentziehung nicht mit Blick auf die ärztliche Verordnung von Medizinalcannabis (Cannabisblüten) ab dem 23.10.2021 zu beanstanden. Soweit damit der Sache nach im Raum steht, ob der Antragsteller den bisherigen Cannabiskonsum durch einen ärztlich verordneten Konsum ersetzt hat, der den für die Dauerbehandlung mit Arzneimitteln geltenden Grundsätzen unterfällt, läge diese Entwicklung nach dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt der Begutachtungsanordnung. Sie könne daher allenfalls dann im Entziehungsverfahren zu berücksichtigen sein, wenn die ursprünglich zu Recht bestehenden Bedenken dadurch eindeutig ausgeräumt würden und keinerlei Restzweifel hinsichtlich der Fahreignung mehr verblieben. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Soll eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis im Sinne von Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV nicht zum Verlust der Fahreignung führen, setze dies voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, ferner, dass das Medizinal-Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (VGH München Blutalkohol 57, 133; OVG Münster VRS 137, 52; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 46. Aufl. 2021, § 2 StVG Rn 62a ff.). Eine missbräuchliche Einnahme, die z.B. bei einer Einnahme des Medikaments in zu hoher Dosis oder entgegen der ärztlichen Verschreibung angenommen werden kann, beurteile sich nach Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV und schließt danach die Fahreignung aus. Danach erscheine es zwar in besonders gelagerten Fällen nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die durch vorherigen Cannabiskonsum nach Nr. 9.2.1 oder 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV entstandenen Fahreignungszweifel durch eine ärztliche Verordnung von medizinischem Cannabis ausgeräumt werden können oder die ggf. entfallene Fahreignung dadurch wiederhergestellt wird. Allein die Behauptung, einen nicht ärztlich verordneten Cannabiskonsum durch einen ärztlichen Konsum ersetzt zu haben, genüge dazu jedoch grundsätzlich nicht (BayVGH und OVG Münster a.a.O.). Die hier vorgelegten Unterlagen reichten insoweit nicht aus (wird ausgeführt).
Der Beschluss belegt eindrucksvoll, dass die verwaltungsrechtlichen Normen und Beweisanforderungen bei der Entziehung der Fahrerlaubnis nach Drogenfahrten deutlich rigoroser sind als diejenigen im Straf- und Bußgeldrecht. Die Ausführungen zum erforderlichen Zusammenhang zwischen einem früheren und einem aktuellen Konsum zur Abgrenzung eines gelegentlichen von einem einmaligen Cannabiskonsums beruhen auf der ständigen Rechtsprechung und sind mit Blick auf den Schutz der Verkehrssicherheit auch im konkreten Fall überzeugend. Gleiches gilt für die strengen Anforderungen für das Fehlen oder den Wegfall der Eignungszweifel bei der generell zunehmenden Einnahme von Medizinalcannabis (hierzu OVG Saarlouis zfs 2022, 57 = SVR 2021, 477 [Koehl]; Koehl DAR 2022, 5). Eine andere als die hier vom VGH München an den Tag gelegt strikte Grundhaltung würde dazu führen, dass Eignungszweifel und die Pflicht zur Beibringung eines MPU-Gutachtens einfach und elegant durch die nachträgliche Verschreibung von Medizinalcannabis umgangen werden könnten. Zu den Auswirkungen der Einnahme von Medizinalcannabis auf die sog. Medikamentenklausel in § 24a Abs. 2 Satz 3 StVG s. OLG Bamberg DAR 2019, 390 = NStZ 2019, 528 = StRR 4/2019, 18 = VRR 4/2019, 19 [jew. Burhoff]; OLG Koblenz VRR 6/2022, 22 [Burhoff] unter Aufhebung von AG Trier Blutalkohol 59, 149 = NZV 2022, 254 [Balschun]).
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