Beitrag

Nachtrunkeinlassung

Zur Widerlegung einer Nachtrunkbehauptung.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Oldenburg, Beschl. v. 24.5.20224 Qs 155/22

I. Sachverhalt

Verkehrsunfall auf einem Parkplatz

Das AG hat der Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen (§ 111a StPO). der Beschuldigten wird vorgeworfen, am 2.4.2022 gegen 23:00 bei McDonald‘s in Delmenhorst mit einem Pkw unter Alkoholeinfluss gegen einen in der dortigen Zufahrt des Drive-Ins im Boden eingegrabenen Findling gefahren zu sein. Der Findling sei daraufhin gegen einen dahinter befindlichen Pfeiler der dortigen Höhenbegrenzung der Zufahrt gedrückt worden, wodurch die metallische Außenverkleidung des Pfeilers deformiert worden und insgesamt ein Schaden von mindestens 3.000 EUR entstanden sei. In der Folge habe sie sich in Kenntnis des Geschehens von der Unfallstelle entfernt, ohne dass nähere Feststellungen zu ihrer Person getroffen werden konnten.

Zwei Blutproben entnommen

Die Beschuldigte ist gegen 01.30 Uhr am 3.4.2022 durch die ermittelnden Polizeibeamten an ihrer Wohnanschrift in Delmenhorst angetroffen worden. Das aufgefundene Fahrzeug mit dem vorstehenden Kennzeichen wies an der rechten Vorderseite erkennbare Beschädigungen auf, die augenscheinlich mit dem Unfallgeschehen in Zusammenhang stehen konnten. Bei der Beschuldigten wurden zwischen 01:33 Uhr und 02:32 Uhr zwei freiwillige Tests zur Ermittlung der Atemalkoholkonzentration (AAK) und zwei Tests zur Ermittlung der Blutalkoholkonzentration (BAK) durchgeführt. Die Tests ergaben zu den betreffenden Uhrzeiten die folgenden Werte: um 01:33 Uhr eine AAK von 1,55 ‰; um 01:39 Uhr eine AAK von 1,62 ‰; um 02:02 Uhr eine BAK von 1,65 ‰; um 02:32 Uhr eine BAK von 1,52 ‰.

Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung erfolgreich

Die Beschuldigte hat gegen die vorläufige Entziehung Beschwerde eingelegt, die beim LG Erfolg hatte.

II. Entscheidung

§§ 315c, 316 StGB derzeit nicht feststellbar

Das LG hat die Voraussetzungen für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO verneint. Es bestehe zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Ermittlungen zumindest kein dringender Tatverdacht einer Straftat besteht, insbesondere kein dringender Tatverdacht von Straftaten nach §§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, 316, 142 StGB. Das LG führt aus, dass der Beschuldigten eine Fahruntüchtigkeit aufgrund eines Alkoholkonsums nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden könne, und zwar weder eine absolute noch eine relative Fahrunsicherheit.

Absolute Fahruntüchtigkeit

Der Beschuldigten könne derzeit nicht nachgewiesen werden, dass sie zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens eine BAK von über 1,1 ‰ gehabt habe. Sie hat gegenüber der Polizei angegeben, zunächst bis etwa 22:30 Uhr auf einer Feier gewesen zu sein. Dort habe sie „zwei Glas Sekt“ zu sich genommen. Es treffe zu, dass sie zu der behaupteten Zeit mit dem besagten Fahrzeug bei dem in Rede stehenden McDonalds-Restaurant gewesen sei. Allerdings könne sie sich an kein Unfallgeschehen erinnern. Sie habe vielmehr noch auf dem Parkplatz ihr Essen verspeist und sei erst anschließend nach Hause gefahren, wo sie etwa gegen etwa 23:15 Uhr angekommen sei. In der Folge habe Sie dann im heimischen Wohnzimmer circa 0,8 l Weißwein getrunken und sei anschließend gegen Mitternacht ins Bett gegangen. Bis zum Eintreffen der Polizeibeamten um 01:30 Uhr habe sie geschlafen.

Nachtrunkeinlassung

Dieser behauptete Nachtrunk zwischen 23:15 Uhr und 00:00 Uhr könne – so das LG – derzeit nicht als mutmaßliche Schutzbehauptung widerlegt werden. Die Einlassung „zwei Glas Sekt“ getrunken zu haben, genüge nicht im Ansatz, um eine BAK von 1,1 ‰ nachzuweisen. Zur Begründung verweist das LG darauf, dass der Rückschluss von einer gemessenen BAK zum Zeitpunkt der Blutentnahme auf die relevante BAK zum Zeitpunkt des Vorfalls nur dann problemlos möglich sei, wenn in der dazwischenliegenden Zeit ein regelhafter Verlauf der Blutalkoholkurve unterstellt werden könne. Nachtrunkeinlassungen erschweren diesen Rückschluss zugunsten des Beschuldigten. Sie stellten insofern ein günstiges Feld für Schutzbehauptungen in allen Fällen dar, in denen die Sistierung des mutmaßlich alkoholbedingt absolut fahruntüchtigen Verkehrsteilnehmers nicht unmittelbar, sondern – wie hier – erst im weiteren zeitlichen Umfeld des in Rede stehenden Deliktes erfolgt sei (siehe dazu insgesamt Hoppe/Haffner NZV 1998, 265).

Widerlegung aus gutachterlicher Sicht…

Die Widerlegung eines Nachtrunk sei aus gutachterlicher Sicht immer dann einfach, wenn Nachtrunkmenge und objektiv gemessene Blutalkoholkonzentration auch unter Berücksichtigung der individuellen Schwankungen der einzelnen pharmakokinetischen Berechnungsparameter nicht miteinander in Einklang zu bringen seien (Hoppe/Haffner a.a.O.). Um eine Nachtrunkbehauptung allein durch eine Doppelblutentnahme sicher widerlegen zu können, müssen die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein (dazu mit ausführlicher Begründung erneut Hoppe/Haffner a.a.O.): (1) Die Nachtrunkmenge muss groß und in kurzer Trinkzeit konsumiert worden sein, da nur in entsprechenden Fällen ein längerer über das Trinkende hinaus anhaltender und somit durch Doppelblutentnahmen auch erfassbarer Anstieg der Blutalkoholkurve hervorgerufen werden kann. (2) Die Entnahme der ersten Blutentnahme muss spätestens 45 Minuten nach dem Nachtrunkende erfolgt sein. (3) Der Unterschied zwischen erstem und zweitem Blutprobenmittelwert muss mindestens 5 % betragen. (4) Das Konzentrationsniveau der Blutalkoholmittelwerte zum Zeitpunkt der Blutentnahmen darf bei Entnahmezeitintervallen von 30 Minuten nicht wesentlich über 1,5 ‰ liegen.

… hier nicht möglich

Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Insbesondere sei das Blut für die erste Blutprobe zur Bestimmung des BAK erst um 02:02 Uhr entnommen worden, während das behauptete Trinkende bereits um 00:00 Uhr erfolgt sei. Die Zeitspanne ab dem letzten Alkoholkonsum, während welcher die BAK bis zur Erreichung ihres Maximums steige, die sog. Anflutungsphase, sei von Proband zu Proband unterschiedlich, betrage im Regelfall etwa 30 Minuten, könne aber – je nach individueller Konstitution – auch bis zu zwei Stunden dauern (Hoppe/Haffner a.a.O.). Ergäben die Analysen einer ersten in zeitlich engem Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Tatgeschehen entnommenen und einer zweiten, im Abstand von 30 Minuten entnommenen Blutprobe, dass die BAK sinke, könne die Nachtrunkbehauptung allein anhand dieser Analyse widerlegt werden. Denn dann wäre nachgewiesen, dass kein Nachtrunk stattgefunden haben könne, weil sich der Proband in diesem Fall noch in einer Anflutungsphase befinden müsste.

Doppelblutentnahmen zu spät erfolgt

Hier liege der Fall allerdings anders. Der behauptete Nachtrunk sei bereits um 00:00 Uhr abgeschlossen gewesen, zum Zeitpunkt der ersten AAK-Messung um 01:33 Uhr also vor etwa 90 Minuten, zum Zeitpunkt der ersten BAK-Messung um 02:02 Uhr folglich bereits seit zwei Stunden. Auch nach der Einlassung der Beschuldigten hätte sie sich zu den jeweiligen Zeitpunkten der entnommenen Blutproben bereits in der Abbauphase befinden müssen, was letztlich durch die beiden BAK-Werte auch belegt worden sei. Die Doppelblutentnahme bzw. die Analysen hätten – bereits von vorne herein – die Nachtrunkbehauptung nicht mehr widerlegen können. Vielmehr stützen sämtliche genommenen Werte – unabhängig von der beweisrechtlichen Verwertbarkeit der AAK-Werte – eher die Einlassung der Beschuldigten. Denn zwischen 01:33 Uhr und 02:02 Uhr sei die Alkoholkonzentration offenbar noch von 1,55 ‰ um 01:33 Uhr über 1,62 ‰ um 01:39 Uhr auf bis zu 1,65 ‰ um 02:02 Uhr angestiegen, bevor sie bis um 02:32 Uhr auf 1,52 ‰ gesunken ist. Das lege jedenfalls nahe, dass die Beschuldigte sich während der Zeit zwischen 01:33 Uhr und 02:02 Uhr noch in einer Anflutungsphase befunden hat. Das wiederum würde nahelegen, dass sie – wie behauptet – innerhalb der letzten zwei Stunden davor – also zwischen 23:33 Uhr und 00:02 Uhr – noch Alkohol zu sich genommen haben könnte. Widerlegt werde die Nachtrunkbehauptung durch diese Werte allerdings in keinem Fall. Bei dieser Bewertung habe die Kammer auch nicht verkannt, dass die Umstände des behaupteten Nachtrunk durchaus Zweifel wecken. So erscheine es prima facie zumindest fragwürdig, ob eine Person von etwa 172 cm Größe und einem Gewicht von 100 kg mit einer Menge von 0,8 l Weißwein innerhalb von 45 Minuten einen derart hohen Alkoholpegel erreichen kann.

Begleitstoffanalyse

Die Nachtrunkbehauptung der Beschuldigten könnte ggf. aber noch über eine Begleitstoffanalyse widerlegt werden (allgemein zur Relevanz von Begleitstoffanalysen in Strafverfahren Aderjan/Schmitt/Schulz NZV 2007, 167). Hierüber könnte aus den entnommenen Blutproben dann ggf. noch bestimmt werden, ob die behauptete Art der konsumierten Getränke (Sekt und Weißwein) mit den Ergebnissen der Begleitstoffanalyse plausibel in Einklang zu bringen ist.

Relative Fahruntüchtigkeit

Gegen die Beschuldigte konnte nach Ansicht des LG auch der Nachweis einer relativen Fahruntüchtigkeit zum gegenwärtigen Stand der Ermittlungen nicht geführt werden. Aufgrund der Einlassung der Beschuldigten, vor der Fahrt, aber bereits vor 22:30 Uhr, „zwei Gläser Sekt“ getrunken zu haben, kann ihr allein nachgewiesen werden, zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens unter Alkoholeinfluss gestanden zu haben. Der Nachweis, dass sie aufgrund dieser Blutalkoholkonzentration auch alkoholbedingt fahrunsicher gewesen sei, könne nach Aktenlage aber nicht geführt werden, insbesondere auch nicht aufgrund des erfolgten Unfallgeschehens. Denn insoweit könne derzeit nicht nachgewiesen werden, dass der Unfall durch einen typischen alkoholbedingten Fahrfehler verursacht wurde. Denn nach der Unfallörtlichkeit, bei der es sich um eine durchaus enge Kurvensituation auf einem Parkplatz gehandelt habe, erscheine es – insbesondere bei Dunkelheit – lebensnah, dass auch ein nüchterner Fahrer an dieser Stelle aus Unachtsamkeit gegen den Findling hätte fahren können, zumal dieser sogar noch im Boden vergraben gewesen sein soll. Jedenfalls sei allein aus der abstrakten Beschreibung des Unfallgeschehens nicht erkennbar, dass es sich um einen typischen alkoholbedingten Fahrfehler gehandelt habe.

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

Das LG hat dann schließlich auch den dringenden Tatverdacht einer Straftat nach § 142 StGB.

Der Beschuldigten könne die Einlassung, dass sie den Aufprall nicht wahrgenommen habe, nicht widerlegt werden. Videoaufzeichnungen des Unfallgeschehens, aus denen die Wuchtigkeit des Anstoßgeschehens zu erkennen und damit ggf. auch die Bemerkbarkeit nachzuweisen sein könnte, seien (bislang) nicht vorhanden. Ob aus einem denkbaren Gutachten Schlüsse zur Bemerkbarkeit des Anstoßgeschehens gezogen werden können, sei offen. Darüber hinaus lasse sich auch die subjektive Seite im Hinblick auf das Bemerken der Schadenshöhe derzeit nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit nachweisen. Denn ob die Beschuldigte – unterstellt, ihr wäre das Bemerken des Unfalls nachzuweisen – auch zumindest hätte wissen können, dass ein derart hoher Schaden entstanden sei, könne gegenwärtig ebenfalls nicht beurteilt werden, zumal weder Fotos von der Unfallörtlichkeit noch von dem Schadensbild an dem von der Beschuldigten gelenkten Fahrzeug in den Akten vorhanden sind.

III. Bedeutung für die Praxis

Lesenswerte Entscheidung

Eine „schöne“ Entscheidung, die sich umfangreich und zutreffend mit allen relevanten Fragen auseinandersetzt. Insbesondere die Ausführungen des LG zur Nachtrunkeinlassung sind lesenswert. Für den Verteidiger ist die Entscheidung vor allem auch deshalb von Bedeutung, weil sie an verschiedenen Stellen „vorsichtig“ auf noch vorhandene Ermittlungsansätze hinweist. der Verteidiger wird gut daran tun, sich auf diese Ermittlungen vorzubereiten.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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