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Anzeichen für relative Fahruntüchtigkeit

Voraussetzung für den Schluss aus Fehlverhaltensweisen betreffend die Fahrweise eines Kraftfahrzeugführers auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist die sichere Feststellung, dass sie Folgen des Alkoholgenusses sind. Dabei sind, je weiter eine festgestellte Blutalkoholkonzentration von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 ‰) entfernt ist, desto höher die Anforderungen an die für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit festzustellenden alkoholbedingten Ausfallerscheinungen.

LG Koblenz, Beschl. v. 25.11.2021ll 12 Qs 72/21

I. Sachverhalt

Wenden auf der vierspurigen Bundesstraße mit 0,37 ‰

Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, am 16.9.2021 gegen 21:45 Uhr auf einer vierspurigen Bundesstraße gewendet zu haben, um als „Geisterfahrer“ zurück zur Autobahnauffahrt zu fahren. Um 22:46 Uhr ist dann eine Blutalkoholkonzentration von 0,37 ‰ festgestellt worden. Das AG hat dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis des Beschuldigten vorläufig entzogen und den und die Beschlagnahme des Führerscheins des Beschuldigten bestätigt. Dagegen hat der Beschuldigte Beschwerde eingelegt. Die Beschwerde ist damit begründet worden, dass der Beschuldigte falsch gewendet habe und aus Versehen in entgegengesetzter Fahrtrichtung gefahren sei. Er habe lediglich wenden wollen.

II. Entscheidung

Kein Grund für Entziehung der Fahrerlaubnis

Nach Auffassung des LG liegt kein dringender Grund für eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Sinne des § 69 StGB vor. Ein dringender Tatverdacht im Hinblick auf § 316 Abs. 1 StGB sei nach Aktenlage nicht gegeben. Hiernach mache sich derjenige strafbar, der im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er insbesondere infolge alkoholischer Getränke nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Eine solche Fahruntüchtigkeit ergebe sich ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰ oder unterhalb einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰ bei vorhandenen alkoholbedingten Ausfallerscheinungen.

Uneinsichtigkeit reicht nicht

Vorliegend habe der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt eine BAK von 0,37 ‰ gehabt. Gemäß der Sachverhaltsdarstellung der Polizei sei der Beschuldigte auf einer vierspurigen und durch eine Mittelleitplanke getrennte Bundesstraße entgegen der Fahrtrichtung gefahren. Nachdem der Beschuldigte darauf angesprochen worden sei, habe er geäußert, die Autobahnauffahrt verpasst zu haben, weswegen er gewendet habe, um zurück zur Autobahnauffahrt zufahren. Er sei uneinsichtig gewesen und habe versucht, sein Verhalten zu verharmlosen. Dieses Verhalten stelle nach einer Gesamtbetrachtung nach Aktenlage aber keinen alkoholbedingten Umstand dar, der auf eine Fahruntüchtigkeit hinweise. Voraussetzung für den Schluss aus Fehlverhaltensweisen auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit sei die sichere Feststellung, dass sie Folgen des Alkoholgenusses seien. Bei der Beurteilung komme es wesentlich darauf an, ob es sich um einen alkoholtypischen Fahrfehler handele, also um einen solchen, der in symptomatischer Weise auf die nach Alkoholgenuss typischerweise auftretenden physiologischen (z.B. Verlängerung der Reaktionszeit; Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinns; Einengung des Gesichtsfelds; Müdigkeit) und psychische (z.B. Kritiklosigkeit, erhöhte Risikobereitschaft und Selbstüberschätzung) Folgen hinweise (Fischer, StGB, 68. Aufl., § 316 Rn 34, 35). Je weiter die festgestellte Blutalkoholkonzentration von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 ‰) entfernt sei, desto höher seien die Anforderungen an die für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit festzustellenden alkoholbedingten Ausfallerscheinungen (LG Darmstadt Beschl. v. 12.3.2018 — 3 Qs 112/18, VA 2018, 84). Anzeichen für physiologische Folgen des Alkoholgenusses seien nach Aktenlage nicht ersichtlich. Nach Würdigung des Akteninhalts könne eine sichere Feststellung der psychischen Folgen des Alkoholgenusses nicht getroffen werden. Das Fahren entgegen der Fahrtrichtung für mehrere 100 m sei grundsätzlich eine besonders leichtsinnige Fahrweise. Dennoch stelle selbst ein aggressives und verkehrswidriges Fahrverhalten nur dann ein Fahruntauglichkeitsindiz dar, wenn es sich dabei um typische Fahrweisen alkoholisierter Kraftfahrer im Straßenverkehr handelt. Einen Erfahrungssatz, dass rücksichtsloses Fahren oder Überholen eine Folge genossenen Alkohols sei, gebe es dagegen nicht (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 12.11.1990 — 1 Ss 164/90 m.w.N.). Weiter enthalte der ärztliche Untersuchungsbericht keine Indizien für alkoholbedingte Ausfallerscheinungen. Zwar sei der Beschuldigte gegenüber den Polizisten uneinsichtig gewesen und habe versucht sein Verhalten zu verharmlosen, was für eine alkoholbedingte Enthemmung sprechen könne, jedoch stelle dies eine eigene Wertung des Polizisten dar. Der konkrete Wortlaut des Beschuldigten werde für eine eigene gerichtliche Wertung nicht wiedergeben. Selbst bei einer solchen Annahme durch die Kammer könne nicht ausgeschlossen werden, dass diese Kritiklosigkeit eine altersbedingte Folge des 1948 geborenen Angeklagten sei. Aber alleine aus dieser Uneinsichtigkeit sowie dem Verharmlosen in Verbindung mit der festgestellten BAK von 0,37 ‰ könne nicht der sichere Schluss gezogen werden, dass der Beschuldigte alkoholbedingt fahruntüchtig mit seinem Fahrzeug entgegen der Fahrtrichtung gefahren sei. Da die festgestellte Blutalkoholkonzentration nicht nah an der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit liege, bestehen seitens der Kammer erhebliche Zweifel an einer alkoholbedingten Ausfallerscheinung. Dennoch könne aufgrund dieses besonders leichtsinnigen Fahrverhaltens sowie des Nachverhaltens der Schluss gezogen werden, dass der Beschuldigte nicht die charakterliche Eignung im Sinne des § 2 Abs. 4 S. 1 StVG, § 11 Abs. 1 S. 3 FeV innehat, was indes für eine Strafbarkeit nach § 316 Abs. 1 StGB nicht ausreiche.

III. Bedeutung für die Praxis

§ 24a Abs. 1 StVG

M.E. ist die Entscheidung zutreffend. Die (mitgeteilten) Umstände reichen für die Annahme relativer Fahruntüchtigkeit nicht aus, so dass der Beschuldigte zumindest vorerst mit einem „blauen Augen davon gekommen“ ist. Sollte auch der Amtsrichter in der Hauptverhandlung endgültig eine Strafbarkeit verneinen, hat sich der Betroffene aber zumindest verkehrsordnungswidrig nach den §§ 2 Abs. 1, 49 StVO i.V.m. § 24 StVG verhalten, so dass eine Verurteilung nach § 24a Abs. 1 StVG in Betracht kommen dürfte.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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