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Zum Anspruch des Versicherers auf Besichtigung des unfallbeschädigten Fahrzeuges

1. Einem Kfz-Haftpflichtversicherer steht generell kein Anspruch auf eine eigene Fahrzeugbesichtigung zu.

2. Ausnahmsweise kann sich ein solcher Anspruch aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis zwischen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung und Geschädigtem ergeben.

3. Dem Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer obliegt umgekehrt nicht, die vom Geschädigten gewährte Reparaturfreigabe zu erteilen.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Celle, Urt. v. 1.12.2021 – 14 U 83/21

I. Sachverhalt

In der II. Instanz hat der Kläger nach einem Verkehrsunfall mit der beklagten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nur darüber gestritten, ein welcher Höhe ein Nutzungsausfall bzw. Vorhaltekosten für sein Fahrzeug anzusetzen sind. Streitpunkt war dabei insbesondere, ob er bis zu einer sogenannten Reparaturfreigabe „durch den Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer“ mit der Reparatur des Fahrzeuges warten könnte oder die Ausfallzeit bis zum Beginn einer Reparatur hätte geringer halten müssen. Damit einher ging auch die streitige Frage, ob und in welchem Umfang einem Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer des Unfallgegners ein eigenes Prüfungsrecht zugestanden hat, welches vorliegend nicht gewährt wurde.

II. Entscheidung

Das OLG Celle betont, dass einem Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer grundsätzlich keinen Anspruch auf eine eigene Fahrzeugbesichtigung zusteht. Denn die Mitwirkungspflichten, des Geschädigten würden sich aus § 119 Abs. 3 VVG ergeben, wonach der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer lediglich eine Auskunft verlangen, jedoch keine eigene Untersuchung des Fahrzeuges fordern könnte. Ein genereller Anspruch auf eine Nachbesichtigung steht dem Versicherer mithin nicht zu.

Etwas anderes kann sich aus Sicht des Senats jedoch ergeben, wenn Besonderheiten des gesetzlichen Schuldverhältnisses zwischen Geschädigten und Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer diese rechtfertigen. Insbesondere, wenn ein Haftpflichtversicherer begründete Zweifel an der Richtigkeit des vom Geschädigten vorgelegten Privatgutachtens hat, kann der Geschädigte gegen seine Rücksichtnahmepflicht verstoßen, wenn er dem vom Haftpflichtversicherer beauftragten Sachverständigen ohne eine berechtigten Grund die Besichtigung des Fahrzeuges verweigert. Dies wäre beispielsweise denkbar bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Unfallmanipulation oder der Abrechnung von unfallfremden Schäden und ein solches Nachbesichtigungsrecht auch nur dann Sinn, wenn das Fahrzeug noch nicht repariert worden ist. Im vorliegenden Fall sind diese Umstände allerdings nicht festgestellt worden.

Im Gegenzug weist der Senat allerdings auch darauf hin, dass den Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer keine Obliegenheit zur Erteilung einer Reparaturfreigabe auferlegt werden kann, wenn ihm seinerseits kein Besichtigungsrecht zusteht. Dies wäre nur dann der Fall, wenn dem Versicherer eine Nachbesichtigung gestattet wurde und zu diesem Zweck das Fahrzeug nicht repariert worden ist.

III. Bedeutung für die Praxis

Ein häufig auftretender Streitpunkt ist die Frage, ob und in welchem Umfang mit einem Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer des Unfallgegners nach einem Verkehrsunfall eine Nachbesichtigung des Fahrzeuges eingeräumt werden muss. Das OLG Celle betont noch einmal dass ein solcher Anspruch grundsätzlich nicht besteht. Allerdings ist dabei immer zu beachten, dass die Parteien ein gesetzliches Schuldverhältnis verbindet und zumindest dann, wenn berechtigte Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Geschädigte die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung und damit die Versichertengemeinschaft über unfallfremde Altschäden oder gar ein abgesprochenes Unfallereignis zu täuschen versucht, sehr wohl ein berechtigter Anlass für eine Besichtigung des Fahrzeuges bestehen kann (vgl. auch OLG Saarbrücken, NJW-RR 2018, 1043). Solange diese Umstände allerdings nicht ersichtlich sind, ist ein solches Besichtigungsrecht nicht zuzugestehen.

Im Gegenzug bedeutet dies aber auch, dass der Geschädigte nicht so lange warten kann, bis die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung des Unfallgegners „eine Reparaturfreigabe“ erteilt, sondern seiner Obliegenheit zur Geringhaltung des Schadens und damit eines Ausfallzeitraums nach § 254 Abs. 2 BGB nachkommen muss, ohne auf eine solche „Freigabe“ zu warten.

Dr.Michael Nugel, Rechtsanwalt und FA für VerkehrsR und VersR, Essen

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