Beitrag

Behinderung von Rettungsdiensten

1. Einer Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts gem. § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO kommt kein Strafklageverbrauch zu.

2. Für eine Behinderung von Hilfsleistenden i.S.v. § 115 Abs. 3 StGB genügt bei schweren Verletzungen (hier: stark blutende Kopfverletzung) bereits eine nur kurze Verzögerung der Hilfeleistung (hier: eine Minute).

3. Der Warnungs- und Besinnungsfunktion des § 44 StGB bedarf es auch noch knapp zwei Jahre nach der Tatbegehung, wenn der Täter sein Fahrzeug in besonders schwerwiegender Weise im Straßenverkehr missbraucht hat.

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Hamm, Beschl. v. 10.3.2022 – 4 RVs 2/22

I. Sachverhalt

Das AG hat den Angeklagten u.a. verurteilt wegen Widerstands gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, und ein Fahrverbot von vier Monaten verhängt. Das Verfahren war zunächst von der StA mit Zustimmung des AG gem. § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden, nach neuen Erkenntnissen aber wiederaufgenommen worden. Bei einem Unfall war eine ältere Radfahrerin gestürzt und zog sich eine Verletzung zu. Ein Ersthelfer sowie Polizeibeamte stellen ihre Fahrzeuge so ab, dass zwischen den Fahrzeugen eine hinreichende Lücke bestand, durch die der Verkehr hindurchfließen konnte. Gleichwohl kam es zu kleinen Rückstaus. Den sich mit seinem Kfz nähernden Angeklagten störte offensichtlich das Fahrzeug des Ersthelfers. Er fuhr neben dieses Fahrzeug und hielt an. Hierdurch kam es in allen Richtungen zu einem weiteren Rückstau. Dem nunmehr am Unfallort eintreffenden Rettungswagen war die Zufahrt zum Opfer versperrt. Der Angeklagte beschwerte sich darüber, dass am rechten Fahrbahnrand das Fahrzeug des Ersthelfers abgestellt sei und verlangte, dass es weggefahren werde. Erst nach mehreren Aufforderungen fuhr er langsam an dem Fahrzeug des Ersthelfers vorbei und hielt davor an. Das Rettungsfahrzeug musste wegen des Fahrzeugs des Angeklagten abgebremst und zum Stillstand gebracht werden. Nachdem der Angeklagte den Weg mit seinem Fahrzeug freigemacht hatte, fuhr der Rettungswagen an, musste jedoch sofort wieder stoppen, da der Angeklagte nunmehr die Fahrertür öffnete, um aus dem Fahrzeug auszusteigen. Der Angeklagte schloss die Fahrertür nach Betätigung des Martinshorns des Rettungswagens, so dass der Rettungswagen zu der verletzten Frau vorfahren konnte. Seine Sprungrevision blieb erfolglos.

II. Entscheidung

Ein Strafklageverbrauch durch die Einstellung gem. § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO sei nicht eingetreten. Denn die Zustimmung des AG zur Einstellung durch die StA sei keine gerichtliche Entscheidung, sondern lediglich eine Prozesserklärung. Durch die Zustimmung des Gerichts solle lediglich die von Seiten der StA befürwortete Ausnahme vom Legalitätsprinzip mitgetragen werden. Die Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO vermöge keinen Vertrauensschutz bei dem Angeklagten hervorzurufen, welcher eine Wiederaufnahme ausschließt. Anders als in den Fällen des § 153 Abs. 2 StPO erfolge die Einstellung nach § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO in einem Verfahrensstadium, in dem die Ermittlungen gerade noch nicht abgeschlossen sind. Die Verfahrenseinstellung gem. § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO sei daher nicht mit einer solchen gem. § 153 Abs. 2 StPO vergleichbar (hierzu BGHSt 48, 331 = NJW 2004, 375).

Die Feststellungen trügen die Verurteilung des Angeklagten wegen Widerstands gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, §§ 115 Abs. 3, 113 StGB. Die Besatzung des herannahenden Rettungswagens zähle zu den Hilfeleistenden eines Rettungsdienstes. Denn bereits das Hinbewegen der Hilfeleistenden zum Ort der Gefahr sei Teil der Hilfeleistung dazu (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 115 Rn 8). Der Angeklagte habe diese mit Gewalt behindert. Behindern sei das Erschweren des Hilfeleistens in jeder Form. Der Gewaltbegriff in § 115 StGB entspreche jenem in § 240 StGB und § 113 StGB. Daher genüge auch die Gewalt gegen Sachen, wenn sie sich – wie im vorliegenden Fall – mittelbar physisch auf die Person des Genötigten auswirkt, dieser also einem körperlich vermittelten Zwang unterliegt. Gewalt liege zudem schon dann vor, wenn nur der Weg zum Unfallort versperrt wird oder wenn die Hilfeleistenden einen nicht unerheblichen Umweg nehmen müssen (Fischer, a.a.O., § 115 Rn 10). So sei es hier, weil der Angeklagte zum einen mit seinem Fahrzeug den Engpass zwischen den bereits abgestellten Fahrzeugen blockiert und zum anderen durch das nachfolgende Öffnen der Autotür die Weiterfahrt des Rettungswagens zum Unglücksort verhindert hat. Für die Tatbestandsverwirklichung sei unerheblich, dass der Angeklagte den Rettungsweg letztlich doch noch frei gegeben hat. Denn § 115 Abs. 3 StGB setze eine endgültige oder auch zeitweise gänzliche Verhinderung der Hilfeleistung nicht voraus. Es genüge eine nicht ganz unerhebliche Erschwernis, die gerade auf den spezifischen Wirkungen des eingesetzten Tatmittels zurückzuführen ist (Fischer, a.a.O., § 115 Rn 10). Hier habe die durch den Angeklagten verursachte Verzögerung „mindestens eine Minute“ gedauert. Im vorliegenden Fall reiche diese Verzögerung unzweifelhaft aus, um von einer tatbestandsmäßigen Behinderung im Sinne des § 115 Abs. 3 StGB auszugehen. Denn gerade im vorliegenden Fall eines schwerwiegenden Verkehrsunfalls – das Opfer hatte eine stark blutende Kopfverletzung erlitten – könnten bereits denkbar geringfügige Verzögerungen von Rettungsmaßnahmen um nur wenige Sekunden schwerwiegende Folgen bis hin zum Tod des Opfers nach sich ziehen. Dem Urteil des AG sei ebenfalls zu entnehmen, dass dem Angeklagten die Schwere des Unglücksfalls bewusst gewesen ist.

Es sei rechtens gewesen, trotz der Verfahrensdauer ein Fahrverbot zu verhängen. Das Fahrverbot sei als Denkzettel für nachlässige und leichtsinnige Fahrer gedacht, um sie vor einem Rückfall zu warnen und ihnen ein Gefühl für den zeitweisen Verlust des Führerscheins und den Verzicht auf die aktive Teilnahme am Straßenverkehr zu vermitteln. Diese Besinnungsfunktion könne das Fahrverbot in der Regel aber nur dann erfüllen, wenn es sich in einem angemessenen zeitlichen Abstand zur Tat auf den Täter auswirkt (OLG Hamm NZV 2004, 598; zu einem Fahrverbot gem. § 25 StVG OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 323). Die Rechtsprechung habe sich insoweit einer Grenze von zwei Jahren zwischen der Tatzeit und der Aburteilung angenähert. Dies lasse sich aber nicht anhand bestimmter bzw. starrer Regelgrenzen beantworten, sondern ist im Einzelfall unter Abwägung aller relevanten Umstände zu entscheiden. Hier ergebe diese Abwägung, dass wegen des Zeitablaufs nicht von einem Fahrverbot abzusehen war. Zwar sei das Urteil knapp zwei Jahre nach der Tat ergangen. Im Fall des Angeklagten bedürfe es aber unzweifelhaft der Warnungs- und Besinnungsstrafe des § 44 StGB. Der Angeklagte habe sein Fahrzeug im Straßenverkehr benutzt, um Rettungssanitätern die Zufahrt zu einer schwer verletzten Person zu blockieren. Er habe damit sein Fahrzeug in schwerwiegender Weise im Straßenverkehr missbraucht, so dass es einer Erörterung, ob wegen der Verfahrensdauer die Denkzettelfunktion des Fahrverbots entfallen musste, gar nicht bedurft hätte.

Bedeutung für die Praxis

1. Die Ansicht des OLG entspricht der gängigen Betrachtungsweise (Meyer-Goßner/Schmitt, 61. Aufl. 2021, StPO, § 153 Rn 37).

2. Die Behinderung von Rettungswilligen nach Unglücksfällen wird von § 323c Abs. 2 StGB erfasst, die Behinderung von professionellen Helfern durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt von § 115 Abs. 2 StGB. Zu dieser Vorschrift handelt es sich hier erkennbar um die erste obergerichtliche Entscheidung. Bedeutsam ist der Beschluss zu der Frage, wann eine nicht ganz unerhebliche Erschwernis des Rettungseinsatzes gegeben ist. Neben dem Zeitkriterium (mindestens eine Minute) zieht das OLG hier auch die konkrete Intensität der Gefahr (blutende Kopfverletzung) zur Beurteilung heran. Dem kann gefolgt werden. Allgemein stellen sich dann aber zwei Schwierigkeiten: Zum einen ist die Relation von Dauer und Gefahrintensität vom Einzelfall abhängig und entzieht sich damit einer allgemeinen Festlegung. Zum anderen können sich Probleme beim Nachweis des Vorsatzes und damit Räume für Schutzbehauptungen ergeben („Ich habe gedacht, es habe sich bloß um eine geringfügige Verletzung gehandelt“).

Die ohnehin nicht zwingende Zwei-Jahres-Regel entstammt der Rechtsprechung zum Fahrverbot nach § 25 StVG. Zwar hat der BGH zum Fahrverbot nach § 44 StGB bereits einen Zeitablauf von 1 Jahr und 9 Monaten nicht mehr für ausreichend gehalten (zfs 2004, 133). Der überzeugenden Begründung des OLG, aus welchen Gründen es hier der erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten noch immer bedarf, ist indessen nichts hinzuzufügen.

RiAG Dr.Axel Deutscher, Bochum

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