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VKS 4.5 – was muss die Verteidigung prüfen?

Das Verkehrs-Kontroll-System, kurz VKS, der Vidit Systems GmbH ist dazu bestimmt, die Geschwindigkeiten und Abstände von Fahrzeugen zu messen; auch die Auswertung sogenannter „Elefantenrennen“ oder die – dann jedoch nur manuelle, d.h. nach optischer Feststellung durch das Messpersonal initialisierte – Erfassung sonstiger Verstöße ist mit diesem Messsystem möglich. Wir stellen Ihnen VKS 4.5 vor. Die nachstehenden Ausführungen stützen sich auf die derzeitig öffentlich zugänglichen Dokumente und bisher begutachteten Fälle und sind vor diesem Hintergrund nicht als abschließend zu betrachten.

I.Allgemeines

Das VKS 4.5 stellt das Nachfolgemodell des bis dato noch überwiegend eingesetzten VKS 3.0 dar und erhielt am 23.9.2019 von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) die Baumusterprüfbescheinigung Nr. DE-19-M-PTB-0029. Somit sind alle in Deutschland eingesetzten VKS 4.5 zweifelsfrei nach Inkrafttreten des Mess- und Eichgesetzes (MessEG) in Verkehr gebracht worden und waren dementsprechend die Vorgaben des § 6 MessEG einzuhalten, wonach für jedes einzelne Gerät eine Konformitätsbescheinigung und eine Konformitätserklärung auszustellen sind.

II.Unterschied zu VKS 3.0

Der wesentliche Unterschied zwischen dem VKS 3.0 und dem VKS 4.5 liegt in der Speicherung der Videoaufzeichnung. Beim Vorgängermodell wird ein DV-Band, also ein Magnetband ähnlich einer Hörspielkassette, verwendet. Beim VKS 4.5 erfolgt die Speicherung in digitaler Form und es wird als originäres Beweismittel ein sogenannter „Vorlagensatz“ erstellt. Dieser besteht „aus 23 Tatbildern, 6 Identbilder einer oder mehrerer VKS 4.5 Ident-Kamera, mehrere VKSVorlagen (abhängig von der Geschwindigkeit), einer Informationsdatei (enthält u.a. Informationen über die Passpunktlage) und einer Datei mit Informationen der 23 Bilder in den VKS Vorlagendateien“ (Gebrauchsanweisung VKS 4.5 mit Stand vom 21.9.2019). Bezüglich der Bezeichnung „Vorlagensatz“ ist festzustellen, dass im Vergleich der Baumusterprüfbescheinigung, Gebrauchsanweisung und externer Dokumente weitere Begriffe („Vorlagendatensatz“, „Datensatz“) existieren und teilweise sogar innerhalb desselben Dokuments synonym verwendet werden.

Durch die Speicherung in digitaler Form und der Signaturprüfung der VKS-Vorlagen soll offenbar den Anforderungen der PTB (vgl. PTB-A 12.03 PTB-Anforderungen, Messgeräte im öffentlichen Verkehr, Verkehrs-Kontrollsysteme, Oktober 2015) an die Absicherung (Signierung) Rechnung getragen werden. Der Ansatz hinsichtlich der „Zerlegung“ der Videosequenz in einzelne „Teilstücke“ ist dabei aus technischerer Sicht grundlegend nachvollziehbar. Aufgrund der technischen Umsetzung bleiben hier allerdings noch informationstechnische Fragen offen (welche jedoch nicht Teil dieser Betrachtung sein sollen).

Wie beim VKS 3.0 müssen die Messstellen bestimmte Kriterien erfüllen und sind vor der erstmaligen Bedienung unter Einhaltung der vom Hersteller vorgegebenen Entfernungsvorgaben vier Passpunkte sowie zwei zusätzliche Kontrollpunkte auf dem in der Videoaufnahme abgebildeten Fahrbahnabschnitt einzumessen. Sogenannte 2D-Messstellen dürfen dabei durch befugtes Personal („VKS Bedienpersonal mit Konfigurationsrechten“) angelegt werden, während sogenannte 3D-Messstellen (wie auch beim VKS 3.0) nur durch den Hersteller oder eine vom Hersteller autorisierte Fachfirma eingerichtet werden dürfen.

Obgleich die für das VKS 3.0 eingerichteten Messstellen aufgrund starker Schnittmengen bei der Funktionsweise mit dem VKS 4.5 im Regelfall weiter genutzt werden können, können die Daten nicht einfach übernommen werden, sondern ist vor der erstmaligen Bedienung mit dem VKS 4.5 eine neuerliche Überprüfung vorzunehmen. Ein zur Ermittlungsakte gereichtes Messstellenprotokoll o. ä. Dokument für das VKS 3.0 sollte die Verteidigung insofern aufmerksam machen und zur Anforderung des aktuellen Dokuments veranlassen.

II.Auswertung

Nach dem Messvorgang im Außeneinsatz wird typischerweise im Büro der Dienststelle die Auswertung vorgenommen. Wichtig ist, bereits an dieser Stelle zu erwähnen, dass neben dem „Vorlagensatz“ als originäres Beweismittel weiterhin auch eine Tatvideosequenz existiert, durch welche eine eigenständige und unabhängige Überprüfung des Tatvorwurfs (wie auch beim VKS 3.0) möglich ist. Da die Tatvideosequenz nunmehr allerdings ausschließlich in digitaler Form existiert, müssen gegenüber der Aufzeichnung auf DV-Band u.U. jedoch deutliche Qualitätsverluste und damit einhergehende Beschränkungen bei der möglichen Bewertung der Fahrabläufe (insbesondere im Fernbereich, siehe weitere Beschreibung) in Kauf genommen werden. Die Tatvideosequenzen wurden bislang behördlicherseits im Format .vob, .wmv oder .mp4 übersandt, so dass sich auch hier bereits Qualitätsunterschiede hinsichtlich der Auflösung und Bitrate der Videosequenzen ergeben.

Hinweis:

Zur Überprüfung einer Messung mit VKS 4.5 sollte auf alle Fälle auf die Vorlage des originären Beweismittels, den sogenannten „Vorlagensatz“, sowie der Tatvideosequenz mit voller Auflösung und verlustarmer Kompression bestanden werden. Nur durch die Bereitstellung der Tatvideosequenz ist eine eigenständige und unabhängige Bewertung des Tatvorwurfs möglich.

Inwiefern sich das Auswertepersonal hierbei ausschließlich auf die Inaugenscheinnahme der Einzelbilder begrenzt oder aber zur Beurteilung des dynamischen Fahrablaufs auch die Videosequenz herangezogen wird, entzieht sich der momentanen Kenntnis. Gerade was das erforderliche Erkennen flüssiger und/oder gleichmäßiger Vorgänge (Betätigung der Fahrtrichtungsanzeiger, Einleitung von Spurwechseln, Ausbremsen etc.) angeht, liegt ohne Inaugenscheinnahme der Videosequenz jedenfalls ein erheblich niedrigerer Informationsgehalt vor.

Wie auch beim VKS 3.0 beschränkt sich das Auswertepersonal jedoch typischerweise darauf, lediglich eine Auswertung über eine Messstrecke vorzunehmen. Auf diese Weise kann behördlicherseits keine Bewertung von Kausalität und Konstanz des Geschwindigkeits- und Abstandsniveaus vorgenommen werden, da die Messwerte in Bezug gesetzt werden müssen. Die Möglichkeit dazu ist in der Maske der Auswertesoftware implementiert, wird jedoch regelmäßig nicht genutzt.

Rechenbeispiel:

Fahren zwei Objekte mit 120 km/h in die Auswertestrecke ein und mit 80 km/h hinaus, errechnet sich beide Male eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 100 km/h, ohne dass das Bremsen (um 40 km/h!) erkennbar wird oder der Abstand großartig schwankt.

Ohne den Vergleich der Durchschnittsgeschwindigkeiten über mindestens zwei Teilstrecken können evtl. Geschwindigkeitsschwankungen insofern nicht beurteilt und eine evtl. Beeinflussung des Abstandsverhaltens durch das Fahrverhalten des vorausfahrenden Fahrzeuges nicht ausgeschlossen werden. Es gilt daher für die Verteidigung mit einem kritischen Blick auf die behördliche Auswertetabelle zu prüfen, ob eine solch zielführende Auswertung vorgenommen wurde oder nicht.

Die hiesigen Überprüfungen haben aufgezeigt, dass das Fehlerpotenzial gegenüber dem VKS 3.0 unverändert geblieben ist. Fahrstreifenwechsel, Bremsvorgänge, Abstandsvergrößerungen etc. werden auch beim VKS 4.5 von der für die vollautomatisch ablaufende Filterung von Verdachtsfällen zuständigen – allerdings nicht geeichten – Software „VKS Select“ offenbar nicht erkannt. Ebenso ist es der Software nicht möglich, die Abstände um die Geschwindigkeitsdifferenzen der Fahrzeuge zu bereinigen, was im Fall eines deutlich schnelleren Vorausfahrers aus technischer/physikalischer Sicht nicht außer Acht gelassen werden darf.

Hinweis:

Die händische und fallspezifische Überprüfung durch einen Sachverständigen ist daher im Zweifel immer geboten. Denn die bisher ausgewerteten Fälle deuten darauf hin, dass sich das Auswertepersonal in weiten Teilen auf die vermeintlich korrekte Feststellung der „Vorselektion“ verlässt und vor diesem Hintergrund evtl. Unregelmäßigkeiten im Fahrablauf in Annäherung an den Zielbereich nicht oder zumindest nicht hinreichend überprüft.

Die Kausalität der beanzeigten Abstandsunterschreitung lässt sich anhand der in der Akte regelmäßig nur durch zwei Einzelbilder im Nahbereich dokumentierten Situation und ohne Vergleich der Geschwindigkeiten über mindestens zwei Teilstrecken jedenfalls nicht beurteilen.

Die Qualität der Tatvideosequenzen ermöglichen i.d.R. eine Auswertung von Geschwindigkeit und Abstand innerhalb des behördlich markierten Messbereichs sowie unmittelbar davor. Bei der Feststellung eines konstanten Fahrverhaltens ist die zur Verfügung stehende Auswertestrecke zur Bewertung der Fahrabläufe somit oft ausreichend.

Für den Fall, dass jedoch Unregelmäßigkeiten im Fahrablauf festzustellen sind, bleibt abzuwarten, ob bei den digitalen Tatvideosequenzen gegenüber einer Aufzeichnung auf DV-Band eine ausreichende „Tiefe“ zur exakten Auswertung des Geschwindigkeits- und Abstandsverhaltens im Fernbereich, in Annäherung an den Zielbereich, gegeben ist. Lassen sich die Fahrabläufe nicht ausreichend bewerten, ist u.U. eine Beeinflussung des Abstandsniveaus durch ein vorausfahrendes Fahrzeug im Fernbereich nicht mehr auszuschließen.

Wie auch beim VKS 3.0 sind im Tatvideo aufgrund der eingeschränkten Auflösung keine spezifischen Merkmalen wie Kennzeichen und Fahrzeugführer zu erkennen (basierend auf einem Beschluss des BVerfG aus 2009 betreffend die anlasslose Videoaufzeichnung beim VKS 3.0) und es müssen von einer separaten Ident-Kamera Einzelbilder (Fotos) erstellt werden.

Die Ident-Fotos werden ebenfalls durch das – nicht geeichte – „VKS Select“ getriggert und im Vorlagensatz abgelegt, von wo aus die Zuordnung der Ident-Fotos zu einem konkreten Messvorgang händisch durch das Messpersonal erfolgt.

Beim VKS 3.0 konnten entsprechende Fälle mit Fahrzeugverwechslungen (= falsche Ident-Fotos im Vorgang) durch die VUT bereits nachgewiesen werden. Aus technischer Sicht bedeutet dies, dass die korrekte Zuordnung zum gemessenen Fahrzeug in jedem Einzelfall geprüft werden muss.

Vor diesem Hintergrund erfolgt durch den Hersteller in der Gebrauchsanweisung nunmehr ebenfalls Hinweis: „Achtung! Bei schwer unterscheidbaren Fahrzeugen, die sich in unmittelbarer Nähe des betroffenen Fahrzeugs befinden, ist die korrekte Zuweisung sorgfältig, anhand der Vorselektionsliste, visuell zu prüfen“.

Unter bestimmten Voraussetzungen kann die korrekte Zuordnung eines Fahrzeugs anhand von Verknüpfungsmerkmalen nachvollzogen bzw. zumindest eingegrenzt werden. Dies jedoch nur dann, wenn im Umfeld/Hintergrund der Ident-Aufnahme externe Merkmale, beispielsweise eine Verkehrssituation, zu erkennen sind, die sich auch im Tatvideo identifizieren lassen. Neben der Prüfung, ob die Auswertung der Fahrabläufe korrekt und vollumfänglich erfolgt ist, bedarf es daher auch immer der Prüfung, ob der Auswertevorgang dem korrekten Fahrzeug zugeordnet worden ist.

Hinweis:

Die zur Überprüfung der (korrekten) Zuordnung benötigten Einzelbilder sind, wie bereits beschrieben, im (vollständigen) „Vorlagensatz“ in Form von sechs Fotos enthalten.

III.Anforderungen von Unterlagen

Für die erfolgversprechende Verteidigung ist zunächst die Anforderung der vollständigen Unterlagen erforderlich. Dies umfasst aus hiesiger Sicht mindestens folgendes:

  • Konformitätsbescheinigung für das Aufnahme- und Auswertesystem
  • Konformitätserklärung für das Aufnahme- und Auswertesystem
  • Eichschein für das Aufnahme- und Auswertesystem (sofern vorhanden)
  • Nachweis über Wartungen, Reparaturen oder sonstige Eingriffe am Messgerät gemäß § 31 MessEG
  • Gebrauchsanweisung VKS 4.5 Messstellen
  • Messstellenprotokoll mit Angaben zur Position der Pass- und Kontrollpunkte und zur Aufstellhöhe der (Tatvideo-)Kamera bei der Referenzvideoaufzeichnung
  • Referenzvideo
  • Schulungsbescheinigung für das Mess- und Auswertepersonal
  • Vorlagensatz in 1:1-Kopie
  • Tatvideosequenz in 1:1-Kopie
  • sämtliches von der VKS-Auswertesoftware automatisch gefertigtes Material (u.a. Fotos zu Auswertebeginn und -ende, Auswertetabelle, die in die Auswertesoftware eingepflegte Kennzeichenaufnahme)
  • Beschreibung „VKS 4.5 Verfahren“

Anhand der vorgelegten Beweismittel gilt es dann zu prüfen, ob

  • die Kausalität für die beanzeigte Verkehrssituation (allein) dem ausgewerteten Fahrzeug zuzuschreiben ist oder
  • es zu einer direkten (z.B. Bremsen, Fahrstreifenwechsel) oder indirekten (z.B. Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers und beginnendes „platzmachen“ oder sonstige Auffälligkeiten) Beeinflussung gekommen ist und
  • die korrekte Zuordnung zwischen dem ausgewerteten und beanzeigten Fahrzeug gegeben ist.

Dominik Schäfer, Sachverständiger, Master of Science (Mechatronik/Sensortechnik) und Sven Eichler, Sachverständiger, Master of Science (Geographie), beide VUT Sachverständige GmbH Co. KG

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