Beitrag

Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Kraftfahrzeuge nach „Drogenfahrt“

Zur Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Kraftfahrzeuge wegen einer Fahrt mit einem Elektroroller nach Konsum von Amphetamin und Cannabis.

Leitsatz des Verfassers

BayVGH, Beschl. v. 20.1.2022 – 11 CS 21.2856

I. Sachverhalt

Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich der Untersagung, fahrerlaubnisfreie Kraftfahrzeuge zu führen. Anfang Februar 2021 war dem Landratsamt bekannt geworden, dass der Antragsteller am 18.1.2021 gegen 16:50 Uhr einen E-Scooter geführt hatte, obwohl er unter dem Einfluss von BtM stand. Die um 17:24 Uhr entnommene Blutprobe wies 23 ng/ml Amphetamin, 176 ng/ml Metamphetamin, 11 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC), 1,9 ng/ml 11-Hydroxy-THC und 51 ng/ml THC-Carbonsäure (THC-COOH) auf. Daraufhin entzog das Landratsamt dem Antragsteller mit bestandskräftigem Bescheid vom 1.3.2021 die Fahrerlaubnis.

Wegen der Drogenfahrt wurde der Antragsteller vom AG gem. § 24a Abs. 2 StVG zu einem Bußgeld verurteilt, außerdem wurde ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt. Nach Anhörung untersagte das Landratsamt dem Antragsteller ferner mit Bescheid vom 15.7. 2021 das Führen fahrerlaubnisfreier Kraftfahrzeuge (z.B. Mofas, Fahrräder, E-Scooter etc.). Weiter ordnete es die sofortige Vollziehung der Untersagung sowie ein Zwangsgeld für den Fall der Nichtbeachtung an. Dagegen hat der Antragsteller Klage erhoben und zugleich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage beantragt. den Antrag hat das VG abgelehnt. Zwar seien die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen einzustufen, da die obergerichtliche Rechtsprechung Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y StVG) für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge geäußert habe. Die Fragen, ob die Ermächtigungsgrundlage hinreichend bestimmt sei und ob § 3 Abs. 1 FeV insoweit verhältnismäßig sei, müssten jedoch einer Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Mit dem Einwand, die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage der Rechtsgrundlage (§ 3 Abs. 1 Satz 1 FeV), auf die der Antragsgegner die streitgegenständliche Untersagung gestützt hat, sei nicht hinreichend bestimmt, könne der Antragsteller nicht durchdringen. Zwar liege dies nicht daran, dass § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y des StVG v. 5.3.2003 (BGBl I, S. 310) a.F., auf der die Regelungen zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge beruhen, aufgrund des Gesetzes vom 12.7.2021 (BGBl I, S. 3091) mit Ablauf des 27.7.2021 geändert worden bzw. außer Kraft getreten sei. Denn für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer Rechtsverordnung mit höherem Recht komme es maßgeblich auf den Zeitpunkt ihres Erlasses an (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.12.2020 – 4 C 7.18). Aus diesen Gründen könne auch dahinstehen, ob die neuen gesetzlichen Vorschriften in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b und d, Abs. 3 Nr. 1 StVG, die seit dem 28.7.2021 als Ermächtigungsgrundlage für Regelungen zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge auf dem Verordnungsweg in Betracht kämen, den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genügen würden.

Der Antragsgegner mache jedoch zu Recht geltend, dass die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens ungeachtet der Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y StVG a.F. (vgl. BVerwG NJW 2021, 1970; BayVGH DAR 2021, 584) als offen anzusehen seien. Es sei fraglich, ob die im maßgeblichen Zeitpunkt geltende Verordnungsermächtigung für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genügt habe, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden bzw. sich zumindest mithilfe allgemeiner Auslegungsgrundsätze erschließen lassen müssen (vgl. BVerwG, a.a.O., m.w.N.). Wie der Senat in dem gleichgelagerten Verfahren 11 CS 21.968 dargelegt habe, sei er allerdings trotz erheblicher Zweifel noch nicht mit der für eine Vorlage gebotenen Gewissheit (vgl. BayVGH, a.a.O. mit zahlreichen Nachweisen aus Rspr. und Lit.) davon überzeugt, dass § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. y StVG a.F. mit dem Grundgesetz nicht vereinbar gewesen sei (siehe die die Bestimmtheit der Norm ausdrücklich bejahende Rspr.: OVG Lüneburg NJW 2008, 2059; OVG Münster, Beschl. v. 23.4.2015 – 16 E 208/15 und die diesbezüglichen Ausführungen in der Gesetzesbegründung zu § 6 StVG n.F., BT-Drucks 19/28684, S. 41) und sich die Beantwortung dieser Frage als unerlässlich darstellt (vgl. BVerfG NVwZ 2006, 447). Die Klärung der bisher in der Rechtsprechung und Literatur wenig diskutierten Frage (vgl. BayVGH, a.a.O.) müsse einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Der Senat habe daher davon abgesehen, das Eilverfahren auszusetzen und gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG eine Entscheidung des BVerfG, dem insoweit das Verwerfungsmonopol zukommt, zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y StVG a.F. einzuholen. Abgesehen davon geriete eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in einem dann für längere Zeit auszusetzenden Eilverfahren mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG in Konflikt. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sei insoweit Zurückhaltung geboten und über den Antrag im Wege einer Abwägung der Interessen der Verfahrensbeteiligten zu entscheiden (vgl. BayVGH, a.a.O., m.w.N.).

Gleiches gelte für die Zweifel hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der untergesetzlichen Regelung in § 3 FeV (vgl. BVerwG, a.a.O.), die ebenfalls nur in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden könne. Vom Wegfall der gesetzlichen Ermächtigung, auf deren Grundlage sie erlassen worden sei (hier durch Änderung des § 6 StVG zum 28.7.2021), bleibe eine ordnungsgemäß erlassene Rechtsverordnung jedenfalls grundsätzlich unberührt (vgl. BVerwG NVwZ-RR 2016, 68; NJW 1990, 849; BVerfGE 78, 179; Remmert in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Stand Juli 2021, Art. 80 Rn 51; differenzierend Brenner in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 80 Rn 80).

III. Bedeutung für die Praxis

1. Auf die Entscheidung in der Hauptsache und die Entwicklung der Rechtsprechung hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y StVG a.F. darf man gespannt. Man wird dazu aus Bayern sicherlich etwas hören.

2. Der BayVGH hat dem Antragsteller im Übrigen auch insoweit eine Absage erteilt, als er geltend gemacht hatte, dass die Anwendung des § 3 Abs. 1 FeV in seinem Einzelfall unverhältnismäßig sei. Die insoweit getroffenen Erwägungen des VG, die von unter Drogeneinfluss stehenden Fahrern fahrerlaubnisfreier Fahrzeugen ausgehende Gefahr schwerer Unfälle, insbesondere durch unkontrolliertes und für andere Verkehrsteilnehmer unvorhersehbares Verhalten (vgl. BayVGH, Beschl. v. 12.10.2010 – 11 ZB 09.2575), sei nicht zu vernachlässigen und die konkreten Betäubungsmittelkonzentrationen im Blut des Antragsteller am Tage sprächen zu Recht für ein völlig fehlendes Gefährdungsbewusstsein. In dem Zustand, in dem der Antragsteller mit dem E-Scooter gefahren sei, wäre er auch auf dem Fahrrad eine nicht unerhebliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer und sich selbst gewesen. Auch wenn der Gesetzgeber keine Erlaubnispflicht statuiert habe, setze er die Fahreignung bei jedem Führer eines Fahrzeugs, also auch bei einem Fahrradfahrer, voraus.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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