1. Die Aufheizstrategie („Strategie A“) stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007/EG dar.
2. Die Einräumung eines „verbriefen Rückgaberechts“ mit der von Anfang an vereinbarten Möglichkeit, im Rahmen der Finanzierung anstelle der Zahlung der Schlussrate das Fahrzeug zurückzugeben, steht einem Schaden nicht entgegen.
(Leitsätze des Verfassers)
OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.1.2022 – 8 U 85/20
I. Sachverhalt
Die Klägerin erwarb vom Autohaus H. einen Audi A5 Sportback 3.0 TDI als Neuwagen zum Kaufpreis von 66.407,75 EUR. Den Kauf finanzierte sie mit einem Darlehen der Audi Bank. Im Zusammenhang mit der Finanzierung wurde der Klägerin ein verbrieftes Rückgaberecht zum Rückkaufpreis von 35.647,20 EUR eingeräumt. Hiervon machte sie im November 2017 Gebrauch und gab das Fahrzeug mit einem Kilometerstand von 46.528 km zurück. Das Autohaus zahlte daraufhin die Abschlussrate in Höhe von 35.647,20 EUR an die Audi Bank. Für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp ordnete das KBA einen verpflichtenden Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung an, da das Fahrzeug über eine nur auf dem Prüfstand wirkende Aufheizstrategie verfügt, die dafür sorgt, dass der NOx-Grenzwert dort sicher eingehalten wird.
Nach Auffassung der Klägerin sei der in ihrem Fahrzeug verbaute Motor vom Dieselskandal betroffen, da die in dem Fahrzeug zur Optimierung der Emissionswerte im behördlichen Prüfverfahren eingesetzte schadstoffmindernde Aufheizstrategie eine unerlaubte Abschalteinrichtung darstelle. Die Klägerin hatte erstinstanzlich einen Minderwert in Höhe von 20 % des Kaufpreises als Schaden eingeklagt.
Die Klage wurde durch das LG jedoch abgewiesen. Im Rahmen des Berufungsverfahrens beansprucht die Klägerin nunmehr die Erstattung des Kaufpreises und der Finanzierungskosten abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer.
II. Entscheidung
Das OLG sprach der Klägerin einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 10.128,12 EUR zu, da das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug Audi A5 Sportback 3.0 TDI im Zeitpunkt des Inverkehrbringens und im Zeitpunkt des Erwerbs durch die Klägerin über eine Motorsteuerungssoftware verfügt habe, die zwecks Täuschung des KBA im Typgenehmigungsverfahren bewusst und gewollt so programmiert gewesen sei, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007/EG nur auf dem Prüfstand sicher eingehalten worden seien.
Das Verhalten der Beklagten sei im Verhältnis zur Klägerin als objektiv sittenwidrig zu qualifizieren. Die Klägerin habe vorgetragen, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine Aufheizstrategie („Strategie A“) zum Einsatz komme, was seitens der Beklagten nicht bestritten worden sei. Diese Aufheizstrategie sei eine unzulässige Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007/EG, die unter keinen der Ausnahmetatbestände des Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO 715/2007/EG falle und die nach der Überzeugung des Senats aufgrund einer strategischen unternehmerischen Entscheidung eingesetzt worden sei, um die Abgasrückführung beeinflussen zu können und die Typgenehmigung unter bewusster Täuschung des KBA zu erhalten. Auf die Frage, ob in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein Motor des Typs EA 897 oder ein Motor des Typs EA 896 Gen2 verbaut sei, komme es nicht an.
Dem mit Dieselsachen befassten Senat des OLG sei aus in anderen Verfahren vorgelegten Bescheiden des KBA bekannt, dass zum Starten der Aufheizstrategie eine Vielzahl von Initialisierungsparametern verwendet werde, die über eine UND-Verknüpfung miteinander verbunden seien. Das bedeute, dass alle Bedingungen gleichzeitig vorliegen müssten, damit die Aufheizstrategie zum Einsatz komme. Die zu den Parametern gehörenden Werte (Schaltbedingungen) seien so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und den dort definierten Prüfbedingungen wirke. Schon kleine Abweichungen in Fahrprofil und Umgebungsbedingungen führten zur Abschaltung der Aufheizstrategie, was wiederum das Stickoxidemissionsverhalten verschlechtere und zur Folge habe, dass der Nox-Grenzwert von 80 mg/km bei der Prüfung nicht sicher eingehalten werde.
Eine Motorsteuerungssoftware , die in der beschriebenen Weise konfiguriert sei, stellt aus Sicht des OLG eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, wobei der Einbau einer solchen Abschalteinrichtung objektiv sittenwidrig sei, weil er nur zu dem Zweck erfolge, das KBA über die ohne die Software nicht gewährleistete Einhaltung der Emissionsgrenzwerte in den Fahrzyklen des NEFZ zu täuschen, um die Typgenehmigung für das Fahrzeug zu erlangen. Die bewusste Täuschung des KBA rechtfertige das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit.
Auch die subjektiven Voraussetzungen für den Anspruch aus § 826 BGB seien erfüllt. Die mit der Abschalteinrichtung eingesetzte Software sei bewusst benutzt worden, um die Abgasrückführung beeinflussen zu können und so die Typgenehmigung zu erhalten. Einen anderen Zweck habe ihre Verwendung nach Überzeugung des Senats nicht gehabt. Dabei habe die Beklagte bewusst in Kauf genommen, dass eine Entdeckung der Abschalteinrichtung dazu führen würde, dass das KBA entweder die Typgenehmigung widerruft oder andere Maßnahmen anordnet, um einen gesetzmäßigen Zustand der Fahrzeuge zu erreichen. Damit habe sie zwangsläufig davon ausgehen müssen, dass dem Fahrzeug eine Betriebsuntersagung droht. Die Beklagte habe dabei das Risiko der darin liegenden Schädigung der Endkunden als möglich erkannt und billigend in Kauf genommen.
Die Beklagte müsse sich dabei das Handeln und die Kenntnis ihrer Organe analog § 31 BGB zurechnen lassen. Denn dass die Organe der Beklagten um die unzulässige Abschalteinrichtung gewusst und diese gebilligt hätten, gelte im Streitfall gemäß § 138 Abs. 3 ZPO bereits als zugestanden. Denn die Beklagte sei mit ihrem Vortrag ihrer im Zusammenhang mit § 826 BGB bestehenden sekundären Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen. Sie habe nicht plausibel dargelegt, wie eine derartige Software ohne Wissen des Vorstands entwickelt und verbaut worden sein soll, sondern habe sich auf die Aussage beschränkt, dass die Klägerin zu den subjektiven Voraussetzungen der geltend gemachten Ansprüche keinen hinreichend konkreten und einlassungsfähigen Sachvortrag geliefert habe.
Da es sich bei dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung und der dazu implementierten Software um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und auch massiven persönlichen zivil-, arbeits- und strafrechtlichen Risiken für die entscheidenden Personen handele, denen bei den untergeordneten Konstrukteuren kein annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenüberstehe, ist nach der Überzeugung des OLG ausgeschlossen, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands erfolgt sein soll und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte.
Der Klägerin sei ein Schaden entstanden, der in dem Abschluss des Kaufvertrages über das bemakelte Fahrzeug liege. Die Klägerin sei im Wege der Naturalrestitution so zu stellen, als hätte sie den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht geschlossen, wobei der Umstand, dass der Klägerin im Zusammenhang mit der Fahrzeugfinanzierung ein verbrieftes Rückgaberecht eingeräumt worden ist, der Annahme eines Schadens nicht entgegenstehe. Denn der Schaden liege bereits in der Belastung mit der ungewollten Verbindlichkeit. Durch die Möglichkeit, das Fahrzeug aufgrund des verbrieften Rückgaberechts bei Fälligkeit der Schlussrate an den Händler zurückzugeben, sei der Klägerin lediglich das Vermarktungs- und Restwertrisiko genommen worden. Sie habe aber das Risiko der Betriebsuntersagung zu tragen gehabt, das wegen der Implementierung der unzulässigen Abschalteinrichtung bis zum Aufspielen des Softwareupdates bestanden habe.
Die Klägerin könne daher von der Beklagten die Erstattung des von ihr gezahlten Bruttokaufpreises in Höhe von 66.407,75 EUR verlangen. Da die Klägerin unstreitig zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und den Vorsteuerabzug auch geltend gemacht hat, müsse sie sich diesen im Wege der Vorteilsausgleichung aber auf den Schaden anrechnen lassen, der in der Bezahlung des Kaufpreises liegt. Der durch die Bezahlung des Kaufpreises entstandene Schaden reduziere sich damit auf 55.804,83 EUR (= 66.407,75 EUR geteilt durch 1,19).
Dem stehe nicht entgegen, dass der Unternehmer im Falle einer Rückabwicklung des Kaufvertrages gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG in sinngemäßer Anwendung von § 17 Abs. 1 UStG verpflichtet sei, den in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug nach Erstattung des Kaufpreises durch den Verkäufer zu berichtigen. Denn die Ausübung des verbrieften Rückgaberechts zum vereinbarten Rückkaufpreis stelle keine Rückgängigmachung im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG dar, sondern eine steuerbare entgeltliche Rücklieferung.
Die Klägerin könne zudem die im Zusammenhang mit dem Fahrzeugkauf angefallenen Finanzierungskosten in Höhe der angefallenen Darlehenszinsen ersetzt verlangen, zumal dem Vortrag der Beklagten, die Finanzierungskosten seien als Sowieso-Kosten ohnehin nicht erstattungsfähig gewesen, nicht hinreichend entnommen werden könne, dass die Klägerin ohne die schädigende Handlung der Beklagten einen alternativen Fahrzeugkauf getätigt und diesen ebenfalls finanziert hätte.
Nicht erstattungsfähig seien hingegen die für die monatliche Service-Rate aufgewendeten Kosten, da es sich um Aufwendungen für gewöhnliche Unterhaltkosten handele. Diese stellten keine vergeblichen Aufwendungen und damit keinen Schaden dar. Zudem seien von dem zu erstattenden Kaufpreis und den zu erstattenden Finanzierungskosten im Wege der Vorteilsausgleichung der von der Klägerin aufgrund der Ausübung des verbrieften Rückgaberechts im Wege der Befreiung von einer Verbindlichkeit erlangte Rückkaufpreis von 35.647,20 EUR sowie im Wege der Vorteilsausgleichung außerdem eine Nutzungsentschädigung für die von der Klägerin gefahrenen Kilometer in Abzug zu bringen.
Nicht erstattungsfähig seien zudem die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren. Die Klägerin habe schon nicht schlüssig dazu vorgetragen, den Prozessbevollmächtigten zunächst lediglich mit der außergerichtlichen Vertretung beauftragt oder einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt zu haben.
Zudem scheitere ein Anspruch auf Ersatz von vorgerichtlichen Anwaltskosten auch daran, dass es sich bei einer zunächst nur auf die außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs gerichteten Mandatierung unter den hier gegebenen besonderen Umständen nicht um eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung gehandelt hätte. Denn den Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei aufgrund der Vielzahl der von ihnen betreuten Mandate im Dieselskandal bekannt gewesen, dass die Beklagte auf außergerichtliche Zahlungsaufforderungen keine Zahlungen leiste. Sie hätten deshalb annehmen und die Klägerin darüber aufklären müssen, dass ein zunächst nur auf die außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs beschränktes Mandat nicht zielführend sei und nur unnötige Kosten verursache. Das den Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus anderen Mandaten bekannte Verhalten der Beklagten hätte für sie den Schluss nahegelegen müssen, die Ansprüche der Klägerin nur mittels Erhebung einer Klage realisieren zu können, und hätte ihnen daher Veranlassung geben müssen, sich gleich ein unbedingtes Mandat zur Klageerhebung erteilen zu lassen.
III. Bedeutung für die Praxis
Das OLG hat hier anhand der in den letzten Jahren vom BGH aufgestellten Grundsätze zum Dieselskandal ein überzeugendes Urteil gesprochen und keine Veranlassung gesehen, die Revision zuzulassen.
Der streitgegenständliche 3.0 TDI Motor betrifft im Wesentlichen die hochpreisigen Fahrzeuge der Marken Audi, VW und Porsche. Dementsprechend wirtschaftlich interessant sind die Klageverfahren sowohl für die betroffenen Fahrzeugkäufer als aber auch für die Rechtsanwälte, die mit der Geltendmachung entsprechender Schadenersatzansprüche beauftragt werden.
Betroffene Fahrzeugkäufer, die ihr Rückrufschreiben für den hier betroffenen Motor erst im Jahr 2019 erhalten haben, sollten ihre Ansprüche noch im laufenden Jahr geltend machen. Die hier wiedergegebene Entscheidung des OLG Karlsruhe dürfte dabei sicherlich hilfreich sein.
Markus Schroeder, RA und FA für VerkehrsR, Velbert