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VRR-Kompakt 2022-01

Überholvorgang: Überholen bei unklarer Verkehrslage

Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten durch Überholen bei unklarer Verkehrslage mit (beabsichtigtem) anschließendem Fahrstreifenwechsel sind nicht zurechenbar, wenn der Überholvorgang rechtzeitig abgebrochen wird und das überholende Fahrzeug noch in seinem (endenden) Fahrstreifen anhält. Verkehrsteilnehmer sind gegenüber Fahrzeugen mit gelbem Blinklicht (nur) zu erhöhter Sorgfalt verpflichtet und haben daher auf die besondere Gefahr, hier wegen der Überlänge, entsprechend zu achten.

KG, Urt. v. 25.11.2021 – 22 U 46/21

Dieselskandal: Sittenwidrige Schädigung

Wer erst 2019 ein erstmals 2014 – also vor Aufdeckung des Dieselabgas-Skandals – zugelassenes Diesel-Kraftfahrzeug erwirbt, erleidet nicht einen gemäß § 826 BGB als „ungewollte Verbindlichkeit“ ersatzfähigen Schaden, sollte sich nach dem Erwerb herausstellen, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abgas-Abschaltung ausgerüstet war und deshalb etwa auf Veranlassung des Kraftfahrtbundesamtes ein Software-Update aufgespielt werden muss. Sein Erwerb war erkennbar von vornherein mit diesem Risiko belastet. Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB käme in einer derartigen Konstellation erst dann in Betracht, wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht mehr durch technische Maßnahmen wie ein Software-Update zu beseitigen ist und deshalb die Stilllegung des Fahrzeugs erfolgt.

OLG Schleswig, Urt. v. 3.12.2021 – 17 U 66/21

Kennzeichenmissbrauch: Gebrauchmachen

Ein Gebrauchmachen im Sinne von § 22 Abs. 2 StVG kann auch vorliegen, wenn ein Anhänger lediglich im öffentlichen Verkehrsraum am Straßenrand abgestellt wird.

BayObLG, Beschl. v. 3.11.2021 – 203 StRR 504/21

Entziehung der Fahrerlaubnis: Bedeutender Fremdschaden; Prozessverhalten des Angeklagten

Ist nicht bereits von vornherein ersichtlich, dass ein bedeutender Schaden im Sinne von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB entstanden ist, müssen die Urteilsgründe nicht nur mitteilen, welche unfallbedingten Fremdschäden entstanden sind, sondern auch, wie diese wertmäßig zu beziffern sind. Allein die fehlende Unrechtseinsicht oder das – rechtskonforme – Prozessverhalten des Angeklagten sind nicht geeignet, die Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs nach § 69 Abs. 1 StGB zu begründen.

KG, Beschl. v. 3.8.2021 – (3) 121 Ss 60/21 (32/21)

Strafzumessung: Berufungsverfahren

Die Bewertung der Tat und die Strafzumessung in der ersten Instanz sind zwar kein Maßstab für die Strafzumessung im Berufungsverfahren, weshalb eine Herabsetzung der Strafe im Fall der Verringerung des Schuldumfangs bzw. des Hinzutretens neuer Milderungsgründe nicht zwingend ist. Der Angeklagte hat aber einen Anspruch darauf, durch eine Begründung der Strafzumessung zu erfahren, warum er in der Berufungsinstanz ggf. trotz Hinzukommens erheblicher Strafmilderungsgründe gleich hoch bestraft wird wie in der Vorinstanz.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.11.2021 – 1 OLG 53 Ss 97/21

Geschwindigkeitsüberschreitung: Vorsatz

Wendet sich ein Fahrzeugführer mit überhöhter Geschwindigkeit über einen Zeitraum von sechseinhalb Sekunden im Berufsverkehr auf einer vielbefahrenen Straße, anstatt den Verkehr zu beobachten, der Lektüre von Speichermedien zu, kann dies die Annahme vorsätzlicher Tatbegehung rechtfertigen.

KG, Beschl. v. 12.8.2021 – 3 Ws (B) 140/21

Entbindungsantrag: Bescheidung

Nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht weiter zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes nicht erforderlich ist. Die Entscheidung über den Entbindungsantrag steht hierbei nicht im Ermessen des Gerichtes. Auch dann, wenn der Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG erst am Sitzungstag und nur kurz vor dem anberaumten Termin bei Gericht eingeht, darf der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid jedenfalls dann nicht ohne eine vorherige Entscheidung über den Antrag verworfen werden, wenn der Antrag – nicht bewusst oder in rechtsmissbräuchlicher Absicht „versteckt“ oder „verklausuliert“ eingereicht und bei einer Übermittlung per Telefax an den Faxanschluss der für die betreffende Abteilung des Amtsgerichts und in der gerichtlichen Korrespondenz angegebenen zuständigen Geschäftsstelle und nicht etwa nur an eine zentrale gerichtliche Faxeingangsstelle übersandt worden ist.

KG, Beschl. v. 26.11.2021 – 3 Ws (B) 312/21

Rechtsmitteleinlegung: Einlegung durch einfache E-Mail

Die einfache E-Mail eines Betroffenen, mit dem ein Rechtsmittel (hier: Rechtsbeschwerde) eingelegt wird, genügt nicht den Anforderungen des § 32a Abs. 3 StPO, auch wenn der Betroffene seine E-Mail zwar mit einer einfachen Signatur versieht, sie aber nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht hat. Zudem verstößt die Einreichung per E-Mail gegen § 32a Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 ERVV. Durch das Ausdrucken eines E-Mail-Anhangs, der das Rechtsmittel enthält, vor Ablauf der Rechtsmittelfrist ist jedoch die Schriftform gewahrt.

OLG Koblenz, Beschl. v. 18.11.2021 – 3 OWi 32 SsBs 119/21

Rohmessdaten: Überprüfbarkeit; Einsicht

Der Senat hält daran fest, dass die Verwertbarkeit der Ergebnisse eines standardisierten Messverfahrens nicht von dessen nachträglicher Überprüfbarkeit anhand von aufzuzeichnenden, zu speichernden und an den Betroffenen auf Verlangen herauszugebenden (Roh-)Messdaten abhängig ist, und durch die fehlende Reproduzierbarkeit der zum einzelnen Messwert führenden Berechnung weder der Anspruch auf ein faires Verfahren noch der auf eine effektive Verteidigung berührt wird.

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 1.12.2021 – 1 OWI SsBs 100/21

Bußgeldbescheid: Ortsangabe

Bezogen auf die jeweilige Ortsangabe des Tatorts ist – sofern der Betroffene nicht an Ort und Stelle angehalten wird – im Bußgeldbescheid zwar keine auf den Meter genaue Streckenangabe erforderlich. Erforderlich ist jedoch die Angabe eines markanten Punktes (Parkplatz, Hausnummer, Gebäude etc.).

AG Kaiserslautern, Beschl. v. 12.11.2021 – 8 OWi 6070 Js 17914/21

Einziehung Führerscheinformular: Zusätzliche Verfahrensgebühr

Die bloße anwaltliche Beratung darüber, dass im Falle der Wiedererteilung ein neues Führerscheindokument ausgegeben wird und das mit Rechtskraftentziehung der Fahrerlaubnis das Führerscheindokument abzuliefern ist, führt noch nicht zum Anfall der Nr. 4142 VV RVG. Etwas anderes gilt jedoch, wenn sich die anwaltliche Tätigkeit und Beratung spezifisch auf Fragen im Zusammenhang mit dem Führerscheindokument errichtet.

AG Amberg, Beschl. v. 4.12.2021 – 7 Cs 114 Js 5614/18 (2)

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