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Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten nach einem Verkehrsunfall

1. Die Kosten für eine Desinfektion des Fahrzeuges nach einer durchgeführten Reparatur sind als erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB anzusehen und vom Schutzeffekt dieser Norm erfasst.

2. Den als erforderlich anzusehenden Betrag kann der Tatrichter nach § 287 ZPO auf eine Größenordnung von 33,00 EUR schätzen.

3. Dies kann dem Geschädigten auch entgegengehalten werden, wenn insoweit ein gut erkennbar viel zu hoher Betrag von 158,00 EUR gefordert wird und der Geschädigte durch die Zahlung dieses Betrages gegen seine Schadensminderungsplicht verstoßen hat.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Hamburg, Urt. v. 21.10.2021 – 323 S 14/21

I. Sachverhalt

Die Parteien stritten über die Höhe der erforderlichen Reparaturkosten mit einem Aufschlag für so genannte „Covid 19 Schutzmaßnahmen“, die insbesondere in Form von Desinfektionskosten bei der Reparatur angefallen sein sollen. Die Klägerseite will nach eigenen Angaben diesen Betrag auch schon gutgläubig bezahlt haben, während die Beklagtenseite eine Erstattungsfähigkeit abgelehnt hat.

II. Entscheidung

Die 23. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg geht grundsätzlich von einer Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten im Rahmen des § 249 Abs. 2 BGB aus. Diese Tätigkeit wäre medizinisch geboten und vom Schutzzweck der Norm erfasst. In dem hier vorliegenden Fall wurde mit 158,00 EUR jedoch ein deutlich zu hoher Betrag gefordert, den die Kammer im Rahmen der eigenen tatrichterlichen Schätzungen auf eine Größenordnung von 33,18 EUR reduziert hat. Dabei wäre zu berücksichtigen, dass eine solche Reinigung von Aushilfskräften erledigt werden könne und deshalb der denkbar niedrigste Arbeitslohn nebst überschaubaren Kosten für ein Desinfektionsmittel im Rahmen einer Massenbestellung anzusetzen wäre.

Dies könne auch dem Geschädigten entgegengehalten werden, der für eine Überprüfung der Höhe der Angemessenheit dieser Forderung keine Spezialkenntnisse aufweisen müsste – wenn wir hier ein deutlich übersetzter Betrag von im Grunde der 158,00 EUR gefordert wird kann auch der durchschnittliche Geschädigte als Privatperson erkennen, dass diese Forderung viel zu hoch angesetzt ist und dies kann ihm wie gesagt zu einer Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB entgegengehalten werden. In diesem Fall kommt selbst einer bezahlten Rechnung keine Indizwirkung mehr zu und die weitergehende Klage ist abzuweisen.

III. Bedeutung für die Praxis

Ob und in welchem Umfang die Kosten eine Desinfektion des Fahrzeuges als „Covid 19 Schutzmaßnahmen“ bei der Beratung zu erstatten sind ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten (vgl. den Überblick bei Böhm/Nugel zfs 2021, 244). Teilweise wird dies bereits mit dem Hinweis auf ein allgemeines Lebensrisiko und den fehlenden Schutzzweckzusammenhang abgelehnt (LG Stuttgart, Urt. v. 27.11.2020 – 19 O 145/20; AG Hannover, Urt. v. 10.2.2021 – 431 C 9575 / 20 – VRR 6/2021, 14). Andere Gerichte gehen dagegen von einer Erstattungsfähigkeit aus, wenn die Kosten zumindest in einem Sachverständigengutachten als erforderliche Aufwand ausgewiesen sind und der Geschädigte sich daher auf die Grundsätze des Werkstattrisikos berufen könne (LG Coburg, Urt. v. 28.5.2021 – 32 S 7/21; AG Kempten, Urt. v. 12.10.2020, Az. 6 C 844/20; AG Aichach, Urt. v. 29.9.2020 – 101 C 560/20) bzw. in der Kaskoversicherung ein erforderlicher Aufwand besteht (AG Aachen VRR 6/2021, 12). Überzeugender Weise wird man insoweit allerdings unterscheiden müssen, ob der Geschädigte die Rechnung gutgläubig schon bezahlt hat und ihr daher eine Indizwirkung zukommt oder gerade eine solche Zahlung bisher fehlt. Ist Letzteres der Fall können schon unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Erforderlichkeit nach § 249 Abs. 2 BGB in der Sache entsprechende Einwendungen erhoben und der erstattungsfähige Betrag beispielsweise auf ein überschaubaren Aufwand von 25 EUR reduziert werden (LG Stuttgart, Urt. v. 21.7.2021 – 13 S 25/21 = r+s 2021, 543) – dabei ist auch zwischen Kosten der Desinfektion bei der Hereingabe und den Kosten zur Vorbereitung der Übergabe zu entscheiden (AG Bautzen VRR 10/2021, 2 [Ls.]).

Das LG Hamburg hatte insoweit allerdings über einen abweichenden Fall zu entscheiden, bei dem augenscheinlich die Rechnung vollständig beglichen wurde, aber mit 158 EUR offenkundig deutlich übersetzt gewesen ist. Insoweit überzeugt es, davon auszugehen, dass der Geschädigte als Privatperson ohne weiteres hätte erkennen können, dass der insoweit abgerechnete Betrag für eine Reinigungstätigkeiten deutlich überzogen ist und mit seiner Bezahlung die Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB verletzt wurde. Dass LG Hamburg hat aber auch die Revision zugelassen – man darf also gespannt sein, wie die Rechtsprechung sich weiterentwickelt.

RA M. Nugel, FA für Verkehrsrecht Essen

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