Ein Dauerthema in der medialen und juristischen Berichterstattung der letzten Jahre stellten die Dieselfälle der Volkswagen AG dar. Viele Rechtsfragen waren höchstrichterlich lange ungeklärt, zumal die Rechtsauffassungen der Oberlandesgerichte sehr stark divergierten und die Erfolgsaussichten der eingereichten Klagen in vielen Fällen maßgeblich durch den Klageort geprägt wurden. Inzwischen hat der BGH viele Grundsatzfragen abschließend geklärt, wobei insbesondere im Jahr 2021 eine Vielzahl an Entscheidungen zu der Thematik rund um den Motor EA 189 ergangen sind. Der nachfolgende Beitrag soll eine Übersicht über einige dieser Entscheidungen geben und zudem auf die bislang noch nicht vom BGH geklärte Fragestellung eingehen, ob trotz der zwischenzeitlich eingetretenen Regelverjährung noch Ansprüche auf Grundlage des Restschadenersatzanspruches aus § 826 BGB geltend gemacht werden können.
I.Entscheidungen
Viele Grundsatzfragen zum VW-Abgasskandal mit dem betroffenen Motor EA189 hatte der BGH bereits im Vorjahr geklärt. Zum Jahresabschluss wurde am 17.12.2020 – IV ZR 739/20 noch zur Frage der Verjährung entschieden, dass jedenfalls bei unstreitiger positiver Kenntnis des Käufers vom Dieselskandal und der konkreten Betroffenheit seines Dieselfahrzeuges im Jahr 2015 mit Ablauf des Jahres 2015 die dreijährige Regelverjährung beginne und die Ansprüche somit mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt seien. Der BGH stellte zudem klar, dass es für die erforderliche Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB genüge, wenn die dem Geschädigten bekannten Tatsachen ausreichten, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners – bzw. seines verfassungsmäßig berufenen Vertreters im Sinne von § 31 BGB – als naheliegend erscheinen zu lassen. Nähere Kenntnis des Klägers von den „internen Verantwortlichkeiten“ im Hause der Volkswagen AG bedurfte es nicht, weshalb eine Unzumutbarkeit der Klageerhebung mit dem Argument, dass der Sachverhalt noch weitestgehend ungeklärt gewesen sei, da bis Ende 2015 belastbare Hinweise auf eine Kenntnis der Organe der Volkswagen AG noch nicht vorgelegen hätten, nicht begründet werden könne. Diese Auffassung bestätigte der BGH noch einmal in seinem Urt. v. 19.10 2021 – VI ZR 189/20.
Mit Urt. v. 29.7.2021 – VI ZR 1118/20 hatte der BGH ebenfalls über die Verjährung von Ansprüchen im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal zu entscheiden, wobei sich der dortige Kläger der vom vzvb am 1.11.2018 eingereichten Musterfeststellungsklage zumindest noch nicht im Jahr 2018 angeschlossen hatte. Hierzu stellte der BGH klar, dass die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB lediglich voraussetze, dass die Musterfeststellungsklage selbst innerhalb der Verjährungsfrist erhoben werde, während die Anspruchsanmeldung zum Klageregister – im zeitlichen Rahmen des § 608 Abs. 1 ZPO – auch später erfolgen könne. Der Umstand, dass der Kläger seinen Anspruch ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet habe, hindere ihn nicht daran, sich auf den Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB zu berufen. Dies stelle keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar.
Ein weiteres Themenfeld der Entscheidung war die noch vom Berufungsgericht angenommene grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB. Der BGH betonte, dass die Annahme grober Fahrlässigkeit zumindest in einem ersten Schritt die Feststellung voraussetze, dass der geschädigte Fahrzeugerwerber vom Dieselskandal Kenntnis erlangt habe. Selbst wenn eine solche Kenntnis aufgrund der medialen Berichterstattung naheliegen mag, bleibe es immer noch Aufgabe des Tatrichters, entsprechende Feststellungen zu treffen.
Zwei weitere interessante Fragen musste der BGH in seinem Urt. v. 2.11.2021 – VI ZR 731/20 – klären. Zunächst ging es um den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von Deliktszinsen aus § 849 BGB. Einen solchen Anspruch verneinte der BGH, da Deliktszinsen nicht verlangt werden könnten, wenn der Geschädigte – wie hier – für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhalte. Diese kompensiere die Nutzungsmöglichkeit des Geldes.
Bei den geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren wandte die Volkswagen AG ein, diese seien nicht zu erstatten, nachdem die Gebrauchsvorteile den Kaufpreis vollständig aufgezehrt hätten. Hinsichtlich der Höhe der als notwendige Rechtsverfolgungskosten zu erstattenden außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren sei jedoch nach Auffassung des BGH nicht darauf abzustellen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Hauptforderung zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz aufgrund der Anrechnung der Vorteile der Fahrzeugnutzung gemindert worden sei. Maßgeblich sei vielmehr der Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts mit der außergerichtlichen Tätigkeit, weshalb danach gezogene Nutzungen bei der Bestimmung des Gegenstandswerts auch im Außenverhältnis außer Betracht blieben.
Hinsichtlich der im Zusammenhang mit dem Erwerb eines vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeuges entstandenen Finanzierungskosten in Form von Darlehenszinsen und Kosten für eine Kreditausfallversicherung stellte der BGH in seinem Urt. v. 13.4. 2021 – VI ZR 274/20– klar, dass diese grundsätzlich erstattungsfähig seien. Es liege nach Auffassung des BGH auf der Hand und bedurfte keiner gesonderten Feststellung, dass es ohne den irrtumsbedingten Fahrzeugerwerb auch nicht zur Finanzierung des Kaufpreises gekommen wäre, zumal insbesondere kein Darlehen zur freien Verwendung aufgenommen worden sei, sondern ein Darlehen bei der Volkswagen Bank, welches allein und konkret der Finanzierung des streitgegenständlichen Fahrzeugerwerbs gedient habe.
Zudem teilte der BGH nicht die von der Volkswagen AG vertretene Rechtsauffassung, wonach die Kosten der Finanzierung nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung keinen Schaden (mehr) darstellten, da der Klägerin aus dem Darlehensvertrag ein Liquiditätsvorteil in gleicher Höhe zugeflossen und verblieben sei. Vielmehr betonte der BGH, dass der Finanzierungsaufwand – wie die Kaufpreiszahlung – im Streitfall dem Erwerb des Fahrzeugs gedient habe. Der Finanzierungswand habe der Klägerin keinen zusätzlichen Liquiditätsvorteil im Vergleich zu dem Zustand verschafft, der bestanden hätte, wenn die Klägerin vom Kauf Abstand genommen hätte.
Mit Urt. v. 5.10.2021 – VI ZR 495/20 – entschied der BGH über die Frage, ob der grundsätzlich bestehende Schadenersatzanspruch nach § 826 BGB wegen eines überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ausgeschlossen sei, nachdem diese das von der Beklagten angebotene Software-Update nicht habe im Fahrzeug aufspielen lassen. Diese Auffassung hatte noch das Berufungsgericht vertreten, was jedoch nach Auffassung des BGH rechtsfehlerhaft sei. Denn der Schaden der Klägerin sei durch das Aufspielen des ab November 2016 angebotenen Software-Updates nicht entfallen. Der Schaden liege – und das hatte der BGH ja bereits in seinem Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19 – klargestellt – in dem täuschungsbedingten Abschluss des Kaufvertrags über das bemakelte Fahrzeug. Dieser ungewollte Vertragsschluss sei als unvernünftig anzusehen, da der Kläger eine Leistung erhalte, die für seine Zwecke nicht voll brauchbar gewesen sei. Der mit dem Vertragsschluss entstandene Anspruch der Klägerin auf Erstattung des für das bemakelte Fahrzeug gezahlten Kaufpreises erlösche nicht, wenn sich der (objektive) Wert oder Zustand des Fahrzeugs in der Folge aufgrund neuer Umstände wie der Durchführung des Updates verändere.
In einem kaufrechtlichen Sachverhalt, bei welchem der Käufer eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeuges gegenüber dem Fahrzeughändler den Rücktritt erklärt hatte und diesen auf Rückabwicklung des Kaufvertrages in Anspruch nahm, entschied der BGH in seinem Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20–, dass das entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung gemäß § 440 BGB nicht ohne weiteres angenommen werden könne. Diese war durch das Berufungsgericht mit dem Argument begründet worden, dass eine Nachbesserung aufgrund des arglistigen Verhaltens des Herstellers unzumutbar und der Kläger zudem nicht gehalten sei, die Beseitigung des Mangels letztlich derjenigen zu überlassen, auf deren arglistiges Verhalten das Bestehen des Mangels zurückzuführen sei. Aus Sicht des BGH verkenne das Berufungsgericht aber, dass sich der Händler ein mögliches arglistiges Vorgehen des Herstellers nicht nach § 278 BGB, § 166 BGB analog zurechnen lassen müsse. Und auch wenn die Vertrauensgrundlage zwischen den Kaufvertragsparteien gestört sein könne, wenn der Verkäufer sich bei Vertragsabschluss ordnungsgemäß verhalten habe, jedoch der Hersteller des Fahrzeugs dieses mit einer ihm bekannten und verschwiegenen unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht habe und der Verkäufer nun allein eine Nachbesserung in Form eines von diesem Hersteller entwickelten Software-Updates anbiete, bedürfe es einer Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls, die in sorgfältiger Abwägung zu würdigen seien.
Neben dem wohl überwiegend geltend gemachten großen Schadenersatz auf Rückerstattung des Kaufpreises abzüglich der Gebrauchsvorteile, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges, gibt es auch die Möglichkeit, das Fahrzeug zu behalten und den Ersatz des am Fahrzeug eingetretenen Minderwerts zu fordern. Dies bestätigte der BGH in seinem Urt. v. 6.7.2021 – VI ZR 40/20 –. Der Geschädigte, der durch ein deliktisches Handeln eines Dritten zum Abschluss eines Kaufvertrages bestimmt worden sei, könne, wenn er die Kaufsache behalten möchte, als Schaden den Betrag ersetzt verlangen, um den er den Kaufgegenstand – gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung – zu teuer erworben hatte. Denn dabei handele es sich nicht um das Erfüllungs-, sondern um das Erhaltungsinteresse. Für die Bemessung des Schadens sei hier grundsätzlich zunächst der Vergleich der Werte von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich, da sich das Wertverhältnis der vertraglich geschuldeten Leistungen nicht dadurch ändere, dass eine der Leistungen nachträglich eine Auf- oder Abwertung erfahre; der Vertrag werde dadurch nicht günstiger oder ungünstiger. Eine etwaige Aufwertung des Fahrzeugs durch das Software-Update als nachträgliche Maßnahme der Beklagten, die der Beseitigung der Prüfstanderkennungssoftware dienen sollte, sei jedoch als Vorteil zu berücksichtigen.
Keinen Anspruch auf Schadenersatz soll nach Auffassung des BGH der Käufer eines Fahrzeuges haben, welches nach Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung der Volkswagen AG am 22.9.2015 erworben worden war. In seinem Beschl. v. 9.3.2021 – VI ZR 889/20 – wies der BGH darauf hin, dass allein das Aufspielen des Updates zur Beseitigung der unzulässigen Prüfstanderkennungssoftware und die zugleich erfolgende Implementierung einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) in der nach § 826 BGB vorzunehmenden Gesamtschau kein sittenwidriges Verhalten darstelle. Selbst wenn davon ausgegangen werde, dass die Abgasrückführung in den mit einem Motor des Typs EA189 versehenen Fahrzeugen nach dem Software-Update nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius in vollem Umfang stattfinde und außerhalb dieser Bedingungen deutlich reduziert werde, rechtfertige dies den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht.
Selbst wenn dies als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren sei, reiche der darin liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Hierfür bedarf es vielmehr weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates, an denen es im Streitfall fehle.
Eine Möglichkeit, weiterhin auch im laufenden Jahr vermeintlich unverjährte Ansprüche gegen die Volkswagen AG bei Gericht geltend zu machen, sehen eine Vielzahl von Klägern in dem vom BGH in seiner o.g. Entscheidung vom 17.12.2020 erstmals im Zusammenhang mit den Abgasfällen erwähnten Restschadenersatzanspruch aus § 852 BGB, welcher nicht der Regelverjährung unterfällt, sondern erst nach Ablauf von zehn Jahren von seiner Entstehung an verjährt.
Nach § 852 S. 1 BGB ist der Ersatzpflichtige auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. § 852 BGB verweist wiederum als Rechtsfolgenverweis auf die Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, wobei es sich bei § 852 BGB nicht um einen Bereicherungsanspruch, sondern um einen sog. Restschadensersatzanspruch, also einen Anspruch aus unerlaubter Handlung handelt, der in Höhe der Bereicherung nicht verjährt ist (BGH, Urt. v. 15.1.2015 – I ZR 148/13 –, NJW 2015, 3165). Der verjährte Anspruch bleibt als solcher bestehen, er wird nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist nur in seinem Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte beschränkt.
Im laufenden Jahr haben sich mehrere Oberlandesgerichte im Zusammenhang mit Dieselfällen mit der Vorschrift des § 852 BGB auseinandergesetzt und kamen hierbei zu teilweise stark unterschiedlichen Ergebnissen.
So sieht das OLG Düsseldorf in seinem Urt. v. 20.5.2021 – I-5 U 57/20 – bereits die Anwendbarkeit der Norm auf die Sachverhaltskonstellation, in welcher die Käuferin das Fahrzeug von einem Händler erworben hat, welcher wiederum das Fahrzeug von der Volkswagen AG bezogen hatte, als problematisch an. Nach Auffassung des 5. Senats ziele die Vorschrift des § 852 BGB ihrem Sinngehalt nach darauf ab, dem Geschädigten auch nach Ablauf der Verjährungsfrist eine Kompensationsmöglichkeit zu gewähren, um so das durch die unerlaubte Handlung des Schädigers eingetretene Ungleichgewicht in den Vermögenslagen des Schädigers auf der einen und des Geschädigten auf der anderen Seite zumindest annähernd auszugleichen. Dies solle durch die Abschöpfung der bei dem Schädiger noch vorhandenen Bereicherung erfolgen, wobei es an einer solchen Bereicherung fehle, wenn der Schaden „lediglich“ in der Eingehung eines ungewollten Vertrages zu sehen sei. Denn es fehle an dem für eine Anwendung des § 852 BGB notwendigen Ungleichgewicht in den Vermögenslagen von Schädiger und Geschädigtem, da jedenfalls eine Kompensation durch die vertraglich geschuldete und tatsächlich auch gewährte Gegenleistung erfolgt sei, die der Geschädigte durchgehend vollständig zu nutzen im Stande gewesen sei. Insofern sei der Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Geldes durch die tatsächliche Nutzbarkeit des übergebenen Fahrzeugs kompensiert.
Selbst bei Anwendung der Norm fehle es jedenfalls an einer Bereicherung der Beklagten auf Kosten der Klägerin, da die maßgebliche Handlung, die die Vermögensverschiebung bewirkt habe, das Inverkehrbringen des Fahrzeuges mit dem Motor EA 189 darstelle und auf eine Täuschung gegenüber den zuständigen Behörden und späteren Käufern abziele. Erstkäufer im entschiedenen Fall war jedoch nicht die Klägerin, sondern der Händler, so dass die Beklagte bereits durch die Veräußerung an den Händler bereichert sei, welcher wiederum einen Vermögensverlust erlitten habe. Von den nachfolgenden Verkäufen des Fahrzeuges profitiere die Beklagte hingegen nicht.
Differenzierter sieht dies das OLG Stuttgart, Urt. v. 9.3.2021 – 10 U 339/29. Danach soll dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs, der dieses bei einem Zwischenhändler erworben hatte, ein Anspruch aus § 852 BGB zustehen, wenn der Zwischenhändler nur aufgrund dieses speziellen Kaufvertrages eine Bestellung beim schädigenden Hersteller platziert habe. Denn bei der hier vorzunehmenden wirtschaftlichen Betrachtung habe die Beklagte den Kaufpreis nicht auf Kosten des Händlers, sondern auf Kosten des Käufers erlangt. Der wirtschaftliche Zusammenhang soll dann jedoch entfallen, wenn der Zwischenhändler das Fahrzeug unabhängig von einer konkreten Bestellung vom schädigenden Hersteller erworben habe, da dann der Händler das Absatzrisiko trage.
Eine solche Differenzierung lehnt das OLG Düsseldorf ausdrücklich ab, da nicht nachvollziehbar sei, die Frage des „auf Kosten des Kunden Erlangten“ im Sinne des § 852 BGB davon abhängig zu machen, wie der Zwischenhändler agiere. Einigkeit besteht in der obergerichtlichen Rechtsprechung jedenfalls dahingehend, dass § 852 BGB bei einem Gebrauchtwagenkauf einen Anspruch gegen den Hersteller nicht begründet, da Volkswagen durch die von ihr begangene unerlaubte Handlung jedenfalls in Bezug auf den Käufer des Gebrauchtfahrzeuges nicht etwas erlangt habe. Hierauf hatte zuletzt auch noch einmal das OLG Köln in seinem Beschl. v. 19.8.2021 – 19 U 89/21 – hingewiesen.
Beim Kauf eines Neuwagens von einem Vertragshändler der Volkswagen AG anerkannte das OLG Köln in seinem Urt. v. 29.9.2021 – 16 U 189/20 – einen Anspruch aus § 852 BGB. So stehe dem Anspruch nicht entgegen, dass der Kläger das Neufahrzeug nicht unmittelbar von der Beklagten, sondern von einem Händler erworben habe, d.h. dass ihr der Kaufpreis rein tatsächlich vom Händler zugeflossen sei. Bei einem Neuwagen liege auf der Hand, dass dieser vom Händler bei der Beklagten käuflich erworben worden sei. Gleichwohl habe die Beklagte den von der Klägerin gezahlten Kaufpreis (regelmäßig abzüglich einer Händlermarge) im Sinne des § 852 BGB „auf Kosten“ der Klägerin erlangt, wobei die bereicherungsrechtliche Definition der Formulierung „auf Kosten“ den für das Bestehen eines Anspruchs nach § 852 BGB erforderlichen Voraussetzungen nicht zugrunde zu legen sei. Ein unmittelbarer Vermögenszufluss sei daher nicht erforderlich. Entscheidend sei vielmehr, ob der Erwerb des Schädigers im Verhältnis zum Geschädigten unrechtmäßig gewesen sei und die dadurch entstandene Vermögensmehrung auf dessen Kosten gehe.
In der Konstellation eines Direkterwerbs des Fahrzeuges bei der Volkswagen AG bejahte der 23. Senat des OLG Düsseldorf in seinem Urt. v. 13.4.2021 – 23 U 143/20 – grundsätzlich einen Anspruch aus § 852 BGB. Dieser bestand in Höhe der auf Kosten des Erwerbers aus dem Direktverkauf des Fahrzeugs erzielten Gewinnmarge, nicht aber in Höhe des Veräußerungserlöses, da der Sinn und Zweck des § 852 BGB darauf abzielten, den Schädiger nicht mit einem erzielten Gewinn davonkommen zu lassen. Die von VW auf Basis eines in Auftrag gegebenen Rechtsgutachtens vertretene Auffassung, § 852 BGB sei im Rahmen einer teleologischen Reduktion nur auf Konstellationen mit besonderem Prozessrisiko anwendbar, was aufgrund der kostenlosen Möglichkeit, sich der Musterfeststellungsklage anzuschließen, bei den Abgasfällen gerade nicht der Fall sei, schloss sich das OLG Düsseldorf ausdrücklich nicht an (abweichend hierzu OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.1.2021 – 19 U 170/20). Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Gesetzesbegründung ergäben sich Anhaltspunkte für eine entsprechende einschränkende Auslegung der Norm (so auch OLG Koblenz, Urt. v. 29.7.2021 – 6 U 934/20, OLG Dresden, Urt. v. 21.10.2021 – 11a U 986/21 und OLG Karlsruhe, Urt. v. 9.7.2021, 13 U 168/21).
Dass selbst innerhalb eines Gerichts die Frage der Anwendbarkeit des § 852 BGB auf die hiesige Konstellation unterschiedlich bewertet wird, zeigt das OLG Oldenburg in seinem Urt. v. 2.3.2021 – 12 U 161/20. Denn anders als der 2. Zivilsenat (Hinweisbeschluss vom 5.1.2021 – 2 U 168/20) sah der 12. Zivilsenat in einem Fall, bei dem der Kaufvertrag direkt zwischen der Fahrzeugerwerberin und der Beklagten als Herstellerin zustande gekommen war, die Vorschrift des § 852 BGB als anwendbar an.
Weitere Unterschiede in der obergerichtlichen Rechtsprechung gab es auch hinsichtlich der Höhe des Anspruchs aus § 852 BGB. Das OLG Hamm hat mit Urt. v. 3.5.2021 – 17 U 196/20 – das Bestehen eines Anspruchs aus § 852 BGB auf Rückzahlung des Kaufpreises bejaht, jedoch Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeuges. So stelle der gezahlte Kaufpreis den auf Kosten der Klägerin erlangten Vorteil dar. Zu begrenzen sei der Anspruch gem. § 852 S. 1 BGB jedoch durch die Höhe des aufgrund der Verjährung nicht durchsetzbaren Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog, weshalb eine Nutzungsentschädigung abzuziehen sei. Ein weiterer Abzug in Höhe einer etwaigen Provision kam im Verfahren nicht in Betracht, da die Beklagte hierzu nichts vorgetragen habe. Im Übrigen könne sich die Beklagte gem. §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 2 BGB auch nicht mit Erfolg auf einen Wegfall der Bereicherung berufen, da die Beklagte durch die Annahme des Kaufpreises gegen ein gesetzliches Verbot bzw. gegen die guten Sitten verstoßen habe. Einen Anspruch auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten könne die Klägerin hingegen nicht aus §§ 852 S. 1, 257 S. 1 BGB herleiten, da die Beklagte keinen geldwerten Vorteil in Höhe der von der Klägerin geschuldeten vorgerichtlichen Anwaltskosten erlange.
Das OLG Koblenz entschied mit Urt. v. 29.7.2021 – 6 U 934/20 –, dass dem Kläger als Käufer eines über einen Händler bestellten Neuwagens gegen Volkswagen ein Anspruch auf Rückerstattung des Kaufpreises abzüglich der genossenen Nutzungsvorteile und einer Händlermarge in Höhe von 5 % zustehe, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Ein weiterer Abzug in Höhe der Herstellungskosten komme nicht in Betracht, weil der Beklagten durch die Zug-um-Zug-Verurteilung der im Fahrzeug verkörperte Herstellungsaufwand wieder zugutekomme.
Das OLG Celle sprach in seinem sehr ausführlich begründeten Urt. v. 4.11.2021 – 7 U 4/21 – dem Kläger als Käufer eines bei einem Fahrzeughändler erworbenen Fahrzeuges ebenfalls einen Anspruch auf Rückerstattung des Kaufpreises abzüglich der genossenen Nutzungsvorteile und einer Händlermarge zu, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Die Händlermarge wurde in der vom Kläger behaupteten und von der Beklagten nicht in Abrede gestellten Höhe von 15 % berücksichtigt.
II.Fazit:
Die wohl derzeit interessanteste Frage nach der Anwendbarkeit des § 852 BGB und der Höhe des insoweit bestehenden Anspruches hat der BGH bislang noch nicht abschließend geklärt. Eine entsprechende Entscheidung wird mit Spannung erwartet, da sich hieraus für viele Betroffene die Möglichkeit ergeben könnte, weiterhin Schadenersatzansprüche gegenüber der Volkswagen AG geltend zu machen. Eine hieraus resultierende neue Klagewelle wäre durchaus denkbar, auch wenn aufgrund der zwischenzeitlich zurückgelegten Laufleistung die zurückzufordernden Kaufpreise durch die anzurechnenden Gebrauchsvorteile aufgezehrt sein dürften.
Markus Schroeder, RA und FA für VerkR, Velbert