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Kein Wegfall des Schadens durch Software-Update im „Schummelsoftwarefall“

Die Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer in einem sogenannten Dieselfall nach Verkauf eines Gebrauchtwagens entfällt nicht durch ein Software-Update.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Urt. v. 27.7.2021 – VI ZR 698/20

I. Sachverhalt

Der Kläger erwarb am 1.4.2015 bei einem Autohaus einen gebrauchten Audi Q 3 mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 EU5 zum Kaufpreis von 41.580 EUR, den er in Höhe von 5.000 EUR aus eigenen Mitteln zahlte und im Übrigen durch ein Darlehen bei der Volkswagen Bank finanzierte. In Motoren dieser Baureihe war eine vom KBA als unzulässig gewertete Abschalteinrichtung für Schadstoffemissionen eingebaut. Die Beklagte hat dann die Fahrzeuge zurückgerufen, um sie durch Aufspielen einer geänderten Software technisch zu überarbeiten. Das KBA gab diese Nachrüstung frei. Beim Fahrzeug des Klägers wurde diese Nachrüstung durchgeführt.

Das LG hat die Beklagte u.a. verurteilt, an den Kläger 9.555,56 EUR nebst Zinsen zu zahlen und den Kläger von sämtlichen Verbindlichkeiten aus dem Darlehensverhältnis freizustellen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie Abtretung sämtlicher Rechte, die dem Kläger gegen den Darlehensgeber zustehen. Das OLG hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des LG abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Das OLG hatte ausgeführt, dass § 826 BGB grundsätzlich neben anderen Anspruchsgrundlagen innerhalb und außerhalb des BGB anwendbar sei. Jedoch könnten Umstände wie die „Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit“ (hier Verhalten nach § 263 StGB – Eingehungsbetrug), die im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB als Schutzgesetz geprüft und abgelehnt worden seien, nicht nochmals im Rahmen von § 826 BGB herangezogen werden. Unabhängig davon seien die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Soweit bislang bei der Beurteilung des „VW-Abgasskandals“ ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten angenommen worden sei, sei als entscheidend angesehen worden, dass bei lebensnaher Betrachtung als Beweggrund für die Vornahme der Manipulationen an der Abgassteuerung nur eine angestrebte Kostensenkung bei gleichzeitiger Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht komme. Die weiteren besonderen Umstände (Täuschungen in großem Umfang, Umgehung von Zulassungsvorschriften mit erheblichem technischen Aufwand, planmäßige Verschleierung des Handelns) führten dazu, dass dieses Handeln aus Gewinnstreben als verwerflich und damit als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB bewertet worden sei. Der Beweggrund der Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen könne jedoch – wenn überhaupt – nur beim erstmaligen Inverkehrbringen eines Neuwagens durch die Beklagte eine Rolle spielen. Jedenfalls liege beim Kläger kein Schaden mehr vor, da dieser durch das Aufspielen des Software-Updates entfallen sei und die Betriebsuntersagung nicht mehr drohe. Außerdem seien nur solche Schäden ersatzpflichtig, die auch in den Schutzbereich fielen. Alle europarechtlichen Vorschriften, gegen die die Beklagte verstoßen haben könnte, hätten gerade keinen individualschützenden Charakter, sondern dienten gesamtgesellschaftlichen Zielen. Die Beklagte habe auch den Tatbestand des Betrugs nicht zum Nachteil des Klägers verwirklicht.

Das sieht der BGH anders: Mit der Begründung könne ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 826 BGB nicht abgelehnt werden. Der Kläger behaupte, die Beklagte habe die manipulative Motorsteuerungssoftware nur aus Gewinnstreben zur Erzielung hoher Marktanteile eingesetzt. Durch das Vorgehen der Beklagten werde bei einem Abgastest dem Prüfer vorgegaukelt, die Werte entsprächen den gesetzlichen Bestimmungen. Es bestehe das Risiko, dass die Betriebserlaubnis widerrufen und das Fahrzeug stillgelegt werde. Das Fahrzeug sei aufgrund des Mangels weniger wert. Der Vorstand der Beklagten habe von der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware gewusst. Der Kläger habe ein Geschäft abgeschlossen, das er bei Kenntnis der Sachlage nicht abgeschlossen hätte. Das vom Kläger vorgetragene und der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legende Verhalten der Beklagten sei ihm gegenüber als objektiv sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB anzusehen (vgl. Senat, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, VRR 8/2020, 14.; v. 26.1.2021 – VI ZR 405/19, MDR 2021, 356; v. 11.5.2021 – VI ZR 80/20 m.w.N.). Der Umstand, dass der Kläger das Fahrzeug als Gebrauchtwagen kaufte, ändert daran nichts (vgl. Senat, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, a.a.O.; v. 18.5.2021 – VI ZR 452/19, MDR 2021, 1004). Der vom Kläger geltend gemachte Schaden entfiele nicht wegen des durchgeführten Software-Updates (vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, a.a.O. und v. 18.5.2021 – VI ZR 452/19, a.a.O. und v. 20.7.2021 – VI ZR 633/20). Der vom Kläger geltend gemachte Schaden falle nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck des § 826 BGB. Auf den Schutzzweck der §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV und der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union komme es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB nicht an (vgl. Senat, Urt. v. 26.1.2021 – VI ZR 405/19, a.a.O., m.w.N.; v. 18.5.2021 – VI ZR 452/19, a.a.O.).

III. Bedeutung für die Praxis

Eine schöne Zusammenstellung der aktuellen Rechtsprechung des BGH zur angesprochenen Problematik. Eine Absage hat der BGH im Übrigen noch der Auffassung der Revisionserwiderung erteilt, die davon ausgegangen ist, dass die Entscheidung des OLG deshalb richtig sei (§ 561 ZPO), weil dem Kläger aufgrund des zur Finanzierung mit der Volkswagen Bank abgeschlossenen Darlehensvertrags ein „verbrieftes Rückgaberecht“ zugestanden habe, er das Fahrzeug an den Händler habe zurückgeben können und daher kein Risiko getragen habe. Das treffe schon deshalb nicht zu, weil das OLG insoweit keine Feststellungen getroffen hat. Mit dem Vorbringen wird sich nun ggf. das OLG im nächsten Durchgang befassen müssen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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