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Sekundäre Darlegungslast im VW-Abgasskandal

Zur sekundären Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei dem beklagten Fahrzeughersteller getroffen hat und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte.

(Leitsatz des Gerichts und des Verfassers)

BGH, Urt. v. 11.5.2021 – VI ZR 154/20

I. Sachverhalt

Der Kläger hatte im Juni 2014 den von der Beklagten hergestellten Neuwagen VW Touran gebraucht erworben. In diesem Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA189 verbaut, in dessen Motorsteuerung eine Software zur Abgassteuerung installiert war, die erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wurde, und schaltete in diesem Fall in einen Abgasrückführungsmodus mit niedrigem Stickoxidausstoß. Im normalen Fahrbetrieb schaltete der Motor in einen Abgasrückführungsmodus mit einer geringeren Abgasrückführungsrate und einem höheren Stickoxidausstoß. Mit Bescheid vom 20.6.2016 gab das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ein Software-Update für das streitgegenständliche Fahrzeug frei, welches der Kläger 2017 durchführen ließ.

Der Kläger begehrt Schadenersatz wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des von ihm erworbenen Pkw. Das Landgericht wies die Klage ab, die hiergegen gerichtete Berufung wurde zurückgewiesen. Das Berufungsgericht begründete seine Entscheidung u.a. damit, dass der Kläger ein vorsätzliches Handeln des Vorstandes nicht habe nachweisen können, da der als Zeuge geladene damalige Vorstandsvorsitzende von seinem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO Gebrauch gemacht hatte.

II. Entscheidung

Anders sah es der BGH. Dieser hob die klageabweisende Entscheidung auf und verwies das Verfahren zurück an das Berufungsgericht.

Das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen sei nach Auffassung des BGH im Verhältnis zum Kläger auf der Grundlage des streitrelevanten Sachvortrags des Klägers als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Untersagung der Betriebserlaubnis des Fahrzeugs habe hierfür nicht unmittelbar bevorstehen müssen. Ausreichend sei, dass nicht festgestanden habe, welche der rechtlich möglichen und grundsätzlich auch die Vornahme einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV umfassenden Maßnahmen die Behörde bei Aufdeckung der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung in Form der Umschaltlogik ergreifen werde.

Auch scheide ein Anspruch aus § 826 BGB nicht bereits deshalb aus, weil der Kläger nicht habe beweisen können, dass der von ihm als Zeuge benannte damalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten, dessen Handeln sich die Beklagte gemäß § 31 BGB zurechnen lassen müsste, den deliktischen Tatbestand verwirklicht habe. Der Grundsatz, wonach derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen hat, erfahre eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung habe, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kenne und es ihm unschwer möglich und zumutbar sei, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall treffe den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliege, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Genüge er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gelte die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.

So liege der Sachverhalt auch hier: Die Beklagte treffe nach Auffassung des BGH die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen und ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis gehabt habe. Es handele sich um unternehmensinterne Abläufe und Entscheidungsprozesse, die sich der Kenntnis und dem Einblick des Klägers entzögen, während der Beklagten Vortrag hierzu möglich und zumutbar gewesen sei.

Dem stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger seinen Vortrag hinsichtlich der gezielten Entwicklung und des Einsatzes der Prüfstandserkennungssoftware durch den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten so weit habe substantiieren können, dass sich das Berufungsgericht zunächst veranlasst sah, diesen als Zeugen zu laden. Zum einen habe der Kläger vorgetragen, der Vorstand der Beklagten habe nicht nur über umfassende Kenntnisse vom Einsatz der Prüfstandserkennungssoftware verfügt, sondern auch in der Vorstellung die Herstellung und das Inverkehrbringen der mangelbehafteten Motoren veranlasst, dass diese unverändert und ohne entsprechenden Hinweis weiter veräußert würden. Allein der Umstand, dass der damalige Vorstandsvorsitzende zunächst als Zeuge geladen worden sei, bevor er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 384 Nr. 2 ZPO berief und wieder abgeladen wurde, entbinde die Beklagte daher nicht von ihrer sekundären Darlegungslast hinsichtlich des Verhaltens und der Kenntnis des Vorstands im Übrigen.

Zudem wäre der außerhalb des maßgeblichen Geschehens stehende Geschädigte schutzlos gestellt, wenn er in Bezug auf eine der handelnden Personen ausreichende Anhaltspunkte für ein (möglicherweise) strafbares Verhalten vortragen könne, diese Person jedoch naturgemäß wegen der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung als Zeuge nicht zur Verfügung stehe und sich auf das ihr gemäß § 384 Nr. 2 ZPO zustehende Zeugnisverweigerungsrecht berufe. Dies sei mit der aus den verfassungsrechtlich geschützten Rechten auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz folgenden Verpflichtung zu einer fairen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nicht zu vereinbaren und habe der BGH auch in der Vergangenheit im Zusammenhang mit Sachverhalten, in denen von einer sekundären Darlegungslast ausgegangen wurde, nicht angenommen.

Jedenfalls habe die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast mit der pauschalen Behauptung, alles Zumutbare und Mögliche getan zu haben, um die tatsächlichen Geschehnisse aufzuklären, nicht genügt. Es bedurfte insoweit auch keiner näheren Ausführungen durch den Kläger, welche Aufklärungsschritte der Beklagten darüber hinaus noch zumutbar und möglich gewesen seien,

III. Bedeutung für die Praxis

Der BGH bleibt seiner Linie in den VW-Abgasskandalfällen treu und stellt noch einmal klar, dass die grundsätzlich hohen Anforderungen an die klägerische Darlegungs- und Beweislast bei der Geltendmachung eines Anspruchs aus § 826 BGB in der hier vorliegenden Sachverhaltskonstellation eine Einschränkung erfahren (hierzu grundlegend auch BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, VRR 8/2020, 14).

Die Anspruchsgrundlage des § 826 BGB ist derzeit auch in den Abgasfällen der Daimler AG von erheblicher Relevanz. Hier hatte der BGH zumindest hinsichtlich des sog. Thermofensters in seinem Beschl. v. 19. 1. 2021 (VI ZR 433/19, NJW 2021, 921) und in seinem Urt. v. 13.7.2021 (VI ZR 128/20) entschieden, dass allein der Einsatz und das Vorhandensein eines Thermofensters, also einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems, zumindest dann nicht als sittenwidrig einzustufen sei, wenn nicht weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für die Daimler AG handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Darlegungs- und Beweislast für diese weiteren Umstände trägt wiederum der Kläger als Anspruchsteller.

Da beide Verfahren an die Berufungsinstanz zurückverwiesen worden sind, muss sich das Berufungsgericht nunmehr mit den weiteren Argumenten der Anspruchsteller auseinandersetzen, die neben dem Thermofenster noch weitere Abschalteinrichtungen (Stichwort: Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung) benannt haben.

RA und FA für VerkehrsR Markus Schroeder, Velbert

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