Im Bußgeldverfahren dürfen die Angaben eines vor der Hauptverhandlung vernommenen oder informatorisch befragten Zeugen, der sich erst in der Hauptverhandlung berechtigt auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, gem. § 252 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG weder verlesen noch – über den Wortlaut der Vorschrift hinaus – durch Vernehmung nichtrichterlicher Verhörspersonen oder anderer Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführt werden.
(Leitsatz des Gerichts)
OLG Hamm,Beschl. v.28.5.2019–4 RBs 147/19
I. Sachverhalt
Das AG hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. In der Hauptverhandlung hat das AG Angaben der Mutter des Betroffenen gegenüber einem im Wege der Amtshilfe für die Verwaltungsbehörde ermittelnden Bediensteten des Amts für öffentliche Sicherheit und Ordnung des Kreises durch Zeugenbeweis in die Hauptverhandlung eingeführt und im Urteil zu Lasten des Betroffenen verwertet. Das hat der Betroffene erfolgreich mit der Verfahrensrüge als fehlerhaft gerügt.
II. Entscheidung
Das OLG führt aus: (Auch) im Bußgeldverfahren dürfen die Angaben eines vor der Hauptverhandlung vernommenen oder informatorisch befragten Zeugen, der sich erst in der Hauptverhandlung berechtigt auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, gem. § 252 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG weder verlesen noch – über den Wortlaut der Vorschrift hinaus – durch Vernehmung nichtrichterlicher Verhörspersonen oder anderer Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Nachdem die Mutter des Betroffenen am 21.8.2018 gegenüber dem Zeugen T Angaben zur Fahrerermittlung gemacht hatte, sich jedoch später auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO berufen hat, hätten – so das AG – ihre Angaben daher – anders als geschehen – nicht durch Einvernahme des Zeugen T in die Hauptverhandlung eingeführt und zu Lasten des Betroffenen verwertet werden dürfen. Für einen Verzicht der Zeugin auf das Verwertungsverbot sei nichts ersichtlich.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Die Entscheidung ist zutreffend. Es liegt auf der Hand, dass über §§ 46, 71 OWiG im Bußgeldverfahren auch § 252 StPO gilt. Und damit gelten auch die im Strafverfahren zu der Vorschrift entwickelten Grundsätze (vgl. dazuBurhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl. 2019, Rn 3318 ff. m.w.N.). Und damit dürfen die Angaben des nun berechtigt das Zeugnis verweigernden Zeugen weder in der Hauptverhandlung verlesen werden noch darf die Verhörsperson zu den vor ihr gemachten Angaben vernommen werden (vgl. dazuBurhoff, HV, Rn 3425). Etwas anderes gilt nur bei einem Verzicht des Zeugen auf das Zeugnisverweigerungsrecht oder in den Fällen einer (ordnungsgemäßen) richterlichen Vernehmung. Beides lag hier nicht vor.
2. Zwar ist grundsätzlich ein Widerspruch des Betroffenen gegen die Verlesung oder Vernehmung nicht erforderlich (vgl.Burhoff, HV, Rn 3320 a.E.;Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 252 Rn 18), der Verteidiger sollte ihn in der Hauptverhandlung vorsorglich aber doch erheben.
3. In der Rechtsbeschwerdebegründung sollte der Verteidiger unmissverständlich formulieren. Dazu gehört, dass die Verletzung von § 252 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG im Rahmen der „Verfahrensrüge“ ausdrücklich gerügt wird. Dann muss das OLG nicht die Eselsbrücke gehen, dass entscheidend für das Rechtsmittel die wirkliche rechtliche Bedeutung des mit der Rechtsbeschwerde vorgetragenen Angriffs auf das tatrichterliche Urteil ist (vgl. aber auch BGH, Urt. v. 16.10.2006 – 1 StR 180/16 m.w.N.). Denn es ist nicht sicher, dass das OLG diese Brücke immer auch betreten will.
RADetlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg