VW-Abgasskandal: sekundäre Beweislast
Zwar trägt im Grundsatz derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. Dieser Grundsatz erfährt aber eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen.
BGH, Urt. v. 29.6.2021 – VI ZR 566/19
VW-Abgasskandal: Amtshaftung
Der Käuferin eines vor dem Stichtag 22.9.2015 erworbenen, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Personenkraftwagens der Volkswagen AG steht kein unionsrechtlicher oder Amtshaftungsanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland zu.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 1.7.2021 – 4 U 102/20
Fristsicherung: Nachfrage
Die Fristensicherung verlangt von dem Rechtsanwalt bei einem Antrag auf erstmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist – auf deren Bewilligung er bei Vorliegen erheblicher Gründe (§ 520 Abs. 2 S. 3 ZPO) im Allgemeinen vertrauen darf – nicht, dass er sich bereits innerhalb der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist durch Nachfrage beim Berufungsgericht über den Eingang des Fristverlängerungsantrags und über eine Verlängerung dieser Frist erkundigt.
BGH, Beschl. v. 22.6.2021 – VIII ZB 56/20
Trunkenheitsfahrt: Strafklageverbrauch
Eine Tat im prozessualen Sinne liegt bei vorangegangener Trunkenheitsfahrt vor, wenn ein betrunkener Kraftfahrer im Auto sitzend von der Polizei angetroffen wird und noch vor Ort im Zuge von Maßnahmen zur Feststellung der Alkoholkonzentration alsbald die Polizei tätlich angreift.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.7.2021 – 1 Rv 13 Ss 421/21
Standardisiertes Messverfahren
Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät Leivtec XV 3 sind in ihrer Gesamtheit auch nach Abschluss der Untersuchungen durch die PTB derzeit nicht als standardisiertes Messverfahren anzusehen.
OLG Oldenburg, Beschl. v. 19.7.2021 – 2 Ss (OWi) 170/21
Faires Verfahren: Zugang zu Informationen
Aus dem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG kann sich grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen ergeben
BVerfG, Beschl. v. 28.4.2021 – 2 BvR 1451/18
Vertretungsvollmacht: Selbstunterzeichnung
Bei der Beantwortung der Frage, ob die Vertretungsmacht des Verteidigers im Sinne von § 329 Abs. 2 StPO „nachgewiesen“ ist, darf nicht aus dem Blick geraten, dass – jedenfalls dann, wenn nur der Angeklagte Berufung eingelegt hat – die Alternative zu dessen Vertretung in der Berufungshauptverhandlung in der umstandslosen Verwerfung seines Rechtsmittels besteht. Nach Lage des Einzelfalles kann es daher unbedenklich sein, wenn der Verteidiger die Vollmachturkunde selbst (hier: um das Aktenzeichen des Berufungsverfahrens im Betreff der Vollmachturkunde) vervollständigt.
OLG Köln, Beschl. v. 9.7.2021 – 1 RVs 121/21
Entbindungsantrag: Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung
Kann der erkennende Richter aufgrund der Umstände davon ausgehen, dass es anlässlich eines Verkehrsverstoßes zu einem persönlichen Kontakt zwischen dem Betroffenen und einem Zeugen gekommen ist, rechtfertigt dies die Annahme des Gerichts, dass die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich ist und der Zeuge zu zuverlässigeren Bekundungen in der Lage sein werde.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.7.2021 – IV 3 RBs 74/21
Privates Sachverständigengutachten: Erstattung
Die Kosten eines privat eingeholten Sachverständigengutachtens sind ausnahmsweise u.a. dann als erstattungsfähig anzusehen, wenn das Gutachten ein abgelegenes und technisch schwieriges Sachgebiet betrifft. Das ist bei einem anthropologischen Gutachten nicht der Fall.
LG Essen, Beschl. v. 19.7.2021 – 27 Qs 35/21
Entziehung der Fahrerlaubnis: Cannabisabhängigkeit
Hat ein Fahrerlaubnisinhaber, bei dem in der Vergangenheit eine Cannabisabhängigkeit festgestellt worden ist, erneut Cannabis konsumiert, so kann dieser Konsumakt, soweit er nicht unmittelbar zum Wegfall der Kraftfahreignung führt, die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FeV rechtfertigen. Die dann vom Gutachter zu klärende Fragestellung ist in § 14 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FeV nicht abschließend vorgegeben.
OVG Lüneburg, Beschl. v. 20.7.2021 – 12 ME 79/21
Zusätzliche Verfahrensgebühr: beratende Tätigkeit
Von der Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG werden sämtliche Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf die Einziehung erbringt und die zumindest auch einen Bezug zur Einziehung haben, erfasst. Nr. 4142 VV RVG setzt keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts voraus. Auch Besprechungen und Beratungen des Mandanten lösen die Gebühr aus, sofern die Tätigkeit nach Aktenlage geboten war. Allein der Umstand, dass im Falle der Verurteilung eine derartige Maßnahme gegebenenfalls in Betracht kommen könnte, reicht für die Entstehung der Gebühr aber nicht aus. Der Verteidiger muss im Kostenfestsetzungsverfahren darlegen, welche Tätigkeiten er erbracht hat.
KG, Beschl. 30.6.2021 – 1 Ws 16/21
Elektronische Akte: Aktenversendungspauschale
§ 107 Abs. 5 OWiG ist dahingehend auszulegen, dass die Aktenversendungspauschale für einen Ausdruck einer eigentlich digital geführten Akte nur dann anfällt, wenn der Antragsteller dieses – nämlich den Ausdruck – besonders beantragt hat.
AG Verden, Beschl. v. 5.7.2021 – 9b OWi 245 Js 25572/21 (290/21)