Beitrag

Vertretungsvollmacht

Zu den Anforderungen an die Vertretungsvollmacht nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Jena, Beschl. v. 2.2.2021 – 1 OLG 331 Ss 83/20

I. Sachverhalt

Das AG hat den Angeklagten verurteilt. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das LG am 30.6.2020 gemäß § 329 StPO verworfen, weil der Angeklagte in dem Termin zur Berufungshauptverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt ausgeblieben und nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei; der erschienene Verteidiger habe nicht über eine ausreichende schriftliche Vollmacht zur (Abwesenheits-)Vertretung des in der Berufungshauptverhandlung ausgebliebenen Angeklagten verfügt. Die Revision des Angeklagten hatte mit der Verfahrensrüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO Erfolg.

II. Entscheidung

Das OLG ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte in zulässiger Weise durch einen in der Hauptverhandlung erschienenen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten gewesen sei. Die Verwerfung der Berufung eines nicht (ausreichend) entschuldigt der Berufungsverhandlung fern gebliebenen Angeklagten setze nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO u.a. voraus, dass kein „Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht“ erschienen sei. Diese Voraussetzungen hätten nicht vollständig vorgelegen, weil für den Angeklagten der – auch zu seiner Vertretung bereite – (Pflicht-)Verteidiger zur Berufungsverhandlung erschienen war und entgegen der Auffassung des LG über eine – von ihm zu diesem Zweck vorgelegte und als Anlage zum Protokoll genommene – ausreichende schriftliche Vertretungsvollmacht verfügte.

Der Pflichtverteidiger habe das Original einer vom Angeklagten unter dem 19.6.2020 unterzeichneten „Strafprozessvollmacht“ überreicht. Diese Vollmacht habe u.a. folgenden Wortlaut: „Herrn Rechtsanwalt C.S. … wird in Sachen M.S. wegen LG EF – 4 Ns 910 Js 5837/19 Strafprozessvollmacht gemäß §§ 137, 138 StPO … erteilt. Die Vollmacht erstreckt sich insbesondere auf folgende Punkte: 1. Vertretung und Verteidigung in Strafsachen in allen Instanzen, auch für den Fall der Abwesenheit des Vollmachtgebers, sowie als Nebenkläger, Vollmacht gemäß § 411 Abs. 2 StPO, Ermächtigung nach § 233 StPO…“

Diese Vollmacht, die der Verteidiger im Original vorgelegt habe, genüge mit der ausdrücklichen und umfassenden (und nicht lediglich auf bestimmte Verfahrenskonstellationen, wie etwa § 411 Abs. 2 StPO, bezogenen; vgl. dazu OLG Celle StRR 4/2021, 15) Ermächtigung zur „Vertretung und Verteidigung … in allen Instanzen, auch für den Fall der Abwesenheit des Vollmachtgebers“ den Anforderungen des § 329 Abs. 1 StPO, der nach seinem Wortlaut lediglich eine „nachgewiesene“, im Regelfall also schriftlich vorliegende Vertretungsvollmacht verlange. Soweit in der jüngeren Rechtsprechung z.T. verlangt werde, die Vollmacht müsse sich ausdrücklich auch „auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung“ (so KG VRR 6/2018, 3 [Ls.]) oder gar auf eine bestimmt bezeichnete Berufungshauptverhandlung beziehen, sei dies weder durch den allgemein gehaltenen Wortlaut des § 329 StPO gedeckt noch mit der seit langem anerkannten (vgl. nur BGHSt 9, 356) Auffassung zu den vergleichbaren Regelungen in §§ 234 und 411 Abs. 2 StPO in Einklang zu bringen, dass die (praxisübliche) Formulierung „zu verteidigen und zu vertreten“ als Grundlage für eine Abwesenheitsvertretung regelmäßig ausreiche, und zwar auch dann, wenn sie bereits in der allgemeinen Verteidigervollmacht enthalten sei (vgl. KK-Gmel, StPO, 8. Aufl., § 234 Rn 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. § 234 Rn 5, § 329 Rn 15).

Hier komme – neben der hinreichend eindeutigen Formulierung „Vertretung in allen Instanzen, auch für den Fall der Abwesenheit des Vollmachtgebers“ – hinzu, dass die vorgelegte Vollmacht sich schon mit der Angabe des Aktenzeichens („4 Ns …“) eindeutig auf das konkrete Berufungsverfahren bezog, in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der anstehenden Berufungsverhandlung erteilt wurde und dass es angesichts der Stellung von Rechtsanwalt S. als beigeordneter Pflichtverteidiger einer gesonderten „allgemeinen Verteidigervollmacht“ für das Berufungsverfahren nicht bedurfte, die dem Pflichtverteidiger gleichwohl eigens noch erteilte Vollmacht vom 19.6.2020 bei der vorliegenden Fallgestaltung also nur als Vertretungsvollmacht (i.S.d. § 329 StPO) Sinn machte, wenngleich deren klarere Ausgestaltung durchaus möglich und angebracht gewesen wäre.

III. Bedeutung für die Praxis

Die vom OLG Jena zitierte Entscheidungen des OLG Celle v. 18.1.2021 war Gegenstand unserer Berichterstattung in StRR 4/2021, 15. Beide Entscheidungen sind Anlass, noch einmal darauf hinzuweisen: In der Rechtsprechung der OLG besteht Streit darüber, wie eine Vertretungsvollmacht formuliert sein muss, um als ausreichend i.S.v. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO angesehen werden zu können. Daher sollte man sie als Verteidiger auf jeden Fall so formulieren, dass das OLG im Fall der Fälle keinen Ansatz findet, um zu sagen: Reicht nicht. Daher: Alle potentiellen Abwesenheitsfälle aufzählen/erwähnen, um so im Straf- und auch im Bußgeldverfahren (§ 74 Abs. 2 OWiG) auf der sicheren Seite zu sein (eingehend zur Vertretungsvollmacht Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, 4677 ff.; ders., Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl., 2019, Rn 3557).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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