Beitrag

Rücknahme des Bußgeldbescheides wegen Verletzung des Zitiergebotes

Zur Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen im Bußgeldverfahren in den Fällen der Rücknahme des Bußgeldbescheides wegen Verletzung des Zitiergebotes.

(Leitsatz des Verfassers)

AG Trier, Beschl. v. 21.10.2020 – 35a OWi 54/20

I. Sachverhalt

Gegen die Betroffene wurde mit Bußgeldbescheid vom 16.6.2020 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße festgesetzt und ein Fahrverbot angeordnet. Die Verteidigerin legte dagegen Einspruch ein. Mit Bußgeldbescheid vom 8.7.2020 wurde dann der Bußgeldbescheid vom 16.6.2020 „aufgrund des Fehlers im neuen Gesetz“ zurückgenommen und gegen die Betroffene nur noch eine Geldbuße von 80,00 EUR festgesetzt. Ein Fahrverbot wurde nicht angeordnet.

Mit Schriftsatz vom 17.8.2020 beantragte die Verteidigerin die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Zur Begründung führte sie an, dass eine Belastung der Betroffenen mit den entstandenen Kosten entsprechend § 465 Abs. 2 S. 3 StPO unbillig wäre. Die Verwaltungsbehörde hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass es nicht unbillig sei, der Betroffenen die ihr entstandenen notwendigen Auflagen aufzuerlegen und die Hinzuziehung einer Rechtsanwältin nicht notwendig gewesen sei. Der dagegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Nach Ansicht des AG hat die Bußgeldbehörde den Antrag der Verteidigerin auf Auferlegung der notwendigen Auslagen der Betroffenen auf die Staatskasse zu Unrecht abgelehnt. Die Betroffene habe die Kosten des Verfahrens (Kosten und Auslagen) zu tragen, wenn sie „verurteilt“ werde, d.h. wenn gegen die Betroffene ein Bußgeld festgesetzt werde. Dies gelte auch, wenn die Betroffene mit dem Einspruch nur eine geringere als die festgesetzte Geldbuße erstrebe und eine solche dann festgesetzt werde (Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 18. Auflage 2021, § 67 OWiG 42). Hinsichtlich der notwendigen Auslagen greife daher zugunsten der Betroffenen lediglich § 465 Abs. 2 OWiG i.V.m. §§ 46 Abs. 1, 105 Abs. 1 OWiG ein. Dies beruhe darauf, dass der Einspruch kein Rechtsmittel, sondern ein Rechtsbehelf eigener Art sei, auf den § 473 OWiG nicht anwendbar sei.

Die notwendigen Auslagen der Betroffenen würden ansonsten nur von der Staatskasse getragen, wenn eine endgültige Einstellung des Verfahrens durch die Verwaltungsbehörde aus Rechtsgründen, d.h. nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid und dessen Rücknahme, erfolge (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, a.a.O., vor § 105 OWiG 69; Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Auflage 2020, OWiG. § 105 OWiG 60). Hier habe die Verwaltungsbehörde das OWiG jedoch nicht endgültig eingestellt, sondern lediglich den Bußgeldbescheid vom 16.6.2020 zurückgenommen und diesen durch den Bußgeldbescheid vom 30.7.2020 ersetzt, der keine Anordnung eines Fahrverbots mehr enthalte. § 465 Abs. 2 OWiG sei anwendbar, da der Bußgeldbescheid auf den Einspruch hin zurückgenommen und durch einen günstigeren, weniger belastenden ersetzt worden sei (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, a.a.O., § 67 OWiG 42; Hadamitzky, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 105 OWiG 83).

Aber: Nach § 465 Abs. 2 S. 2 und 3 OWiG i.V.m. §§ 46 Abs. 1, 105 Abs. 1 OWiG seien die notwendigen Auslagen der Betroffenen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es unbillig wäre, die Betroffene damit zu belasten. Die Belastung der Betroffenen mit den ihr entstandenen notwendigen Auslagen sei unbillig. Ob eine Unbilligkeit vorliege, richte sich nach den Umständen des Einzelfalles. Dem Bußgeldbescheid vom 16.6.2020 habe der „neue“ Bußgeldkatalog vom 29.4.2020 zugrunde gelegen. In der Eingangsformel der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.4.2020, in Kraft getreten am 28.4.2020, fehle der Verweis auf § 26 Abs. 1 Nr. 3 StVG. Diese Vorschrift sei die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung zur Anordnung von Fahrverboten. Nach Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG sei in einer bundesrechtlichen Verordnung deren Rechtsgrundlage anzugeben (sog. Zitiergebot). Art. 3 (Änderung der Bußgeldkatalog-Verordnung) der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften sei daher wegen Verstoßes gegen das Zitiergebot aus Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG offensichtlich nichtig. Unerheblich sei, dass die Bußgeldbehörde im Hinblick auf die Frage der Wirksamkeit des „neuen“ Bußgeldkatalogs von den Vorgaben der jeweils zuständigen Landesministerien abhängig gewesen sei und unverzüglich nach Bekanntmachung einer Entscheidung der Ministerien diese umgesetzt worden seien. Vor diesem Hintergrund sei die Rechtsklage für einen Laien erst recht undurchsichtig und die Beiziehung eines Rechtsanwaltes angemessen gewesen. Der Erlass eines rechtmäßigen Bußgeldbescheides liege in der Sphäre der Bußgeldbehörde. Die Verwaltungsbehörde hätte den ursprünglichen rechtswidrigen Bußgeldbescheid bereits nicht erlassen dürfen. Erst der Bußgeldbescheid vom 8.7.2020 entspreche der geltenden Rechtslage. Aus diesen Gründen stellt die Belastung der Betroffenen mit ihren notwendigen Auslagen eine unbillige Härte dar.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die mit der Verletzung des Zitiergebotes bei der Verkündung der StVO-Novelle 2020 zusammenhängenden Fragen beschäftigen derzeit die Rechtsprechung der OLG und AG (vgl. dazu u.a. BayObLG, Beschl. v. 11.11.2020 – 201 ObOWi 1043/20; KG, Beschl. v. 20.10.2020 – 3 Ws (B) 249/20, DAR 2020, 696; OLG Oldenburg, Beschl. v. 8.10.2020 – 2 Ss (OWi) 230/20, DAR 2020, 700 = VRR 11/2020, 16 = StRR 11/2020, 31; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 5.11.2020 – 1 OWi 2 Ss Rs 124/20). Hier ging es aber nicht um das Zitiergebot i.e.S, sondern um eine mittelbare Folge, nämlich die Auswirkungen auf die Pflicht der Verwaltungsbehörde zur Kosten- und Auslagentragung in den Fällen der Rücknahme eines Bußgeldbescheides, der auf der Grundlage der (unwirksamen) StVO-Novelle ergangen war. Insoweit ist die AG-Entscheidung die – soweit ersichtlich – erste Entscheidung, die die Kosten und Auslagen der Verwaltungsbehörde auferlegt. Das ist m.E. zutreffend. Denn warum soll der Betroffene die tragen, wenn er sich gegen einen offensichtlich falschen Bußgeldbescheid wehrt? Das wäre unbillig und würde dem Rechtsgedanken des § 473 StPO widersprechen.

2. Vgl. zur Gebührenberechnung AG Trier, Beschl. v. 8.12.2020 – 35a OWi 58/20, VRR 1/2021, 26 [in dieser Ausgabe].

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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