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Kauf eines Gebrauchtwagens von VW nach Bekanntwerden des Dieselskandals

1. War im Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ein Zulassungsgrund gegeben und ist dieser zwischenzeitlich durch eine Entscheidung des BGH in anderer Sache entfallen, ist die Revision zuzulassen, wenn dem Rechtsmittel Erfolgsaussichten beizumessen sind.

2. Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen.

3. Zur Frage, ob das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen in der gebotenen Gesamtbetrachtung als sittenwidrig zu qualifizieren ist, wenn mit dem zur Beseitigung einer unzulässigen Prüfstandserkennungssoftware entwickelten Software-Update eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) implementiert wird.

(Leitsätze des Gerichts)

BGH, Beschl. v. 9.3.2021 – VI ZR 889/20

I. Sachverhalt

Der Kläger erwarb im September 2016 von VW einen gebrauchten VW Tiguan 2.0 TDI, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Der Motor war mit einer Software versehen, die erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid-optimierten Modus schaltet. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten.

Vor dem Erwerb des Fahrzeugs hatte die Beklagte in einer Ad-hoc-Mitteilung die Öffentlichkeit über Unregelmäßigkeiten der Software bei Dieselmotoren vom Typ EA189 informiert und mitgeteilt, dass sie daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und dass sie hierzu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Kontakt stehe. Das KBA wertete die Programmierung als unzulässige Abschalteinrichtung und verpflichtete die Beklagte, die Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge durch geeignete Maßnahmen wiederherzustellen. In der Folge stellte die VW-AG bei Fahrzeugen mit dem betroffenen Motortyp ein Software-Update bereit, das im Dezember 2016 auch bei dem Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde.

Der Kläger hat behauptet, dass mit dem Software-Update eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines „Thermofensters“ implementiert worden sei. Außerdem habe das Update negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß des Fahrzeugs. Mit seiner Klage verlangt er Kläger von VW im Wesentlichen die Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde will der Kläger die Zulassung der Revision erreichen. Er hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Nach Auffassung des BGH hat das OLG einen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu Recht verneint, weil das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht als sittenwidrig anzusehen sei. Wie der BGH bereits mit Urt. v. 30.7.2020 (VI ZR 5/20, VRR 9/2020, 10) entschieden habe, sei für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies werde insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert habe. Durch die vom OLG festgestellte Verhaltensänderung von VW seien wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, VRR 8/2020, 14), derart relativiert worden, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber dem Kläger nicht mehr gerechtfertigt sei.

Dies gilt nach Auffassung des BGH auch, wenn die Behauptung des Klägers als zutreffend zugrunde gelegt werde, mit dem Software-Update sei eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines Thermofensters implementiert worden, die die Abgasrückführung bei Außentemperaturen unter 15 und über 33 Grad Celsius deutlich reduziere. Der darin liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß reiche in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Applikation eines solchen Thermofensters sei nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware zu vergleichen, die die Beklagte zunächst zum Einsatz gebracht hatte. Während letztere unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichstehe, sei der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Sie führe nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert werde, sondern arbeite in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise.

Bei dieser Sachlage hätte sich die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten durch die Implementation des Thermofensters nur dann fortgesetzt, wenn zu dem – unterstellten – Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 S. 1 der VO 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dies würde jedenfalls voraussetzen – so der BGH, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Anhaltspunkte hierfür seien aber nicht dargetan. Es sei insbesondere nicht dargetan, dass die Beklagte das KBA im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates arglistig getäuscht haben könnte.

Eine abweichende Beurteilung war nach Auffassung des BGH schließlich auch nicht deshalb geboten, weil das von der VA AG entwickelte Software-Update nach der – unterstellten – Behauptung des Klägers negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß der betroffenen Fahrzeuge habe. Dieser Umstand führe in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht dazu, dass das Gesamtverhalten von VW als sittenwidrig zu werten wäre.

III. Bedeutung für die Praxis

Bei der Entscheidung handelt es sich um die erste Entscheidung des BGH zum Software-Update im Diesel-Skandal. Anders als beim Einsatz der illegalen Abgastechnik hat der BGH hier kein sittenwidriges Verhalten der VW-AG festgestellt. Die Entscheidung war mit Spannung erwartet worden. Der BGH hatte bereits mehrere Verhandlungstermine angesetzt, die jedoch immer wieder abgesagt wurden. Grund dafür war, dass die Kläger ihre Revisionen zurückgenommen hatten. In den noch anhängigen Verfahren wird nun im Zweifel wie vom BGH vorgegeben entschieden werden.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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