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Fahrverbot: Kein Absehen wegen ärztlicher Tätigkeit in Notaufnahme

1. Allein die mit nächtlicher Rufbereitschaft an Wochenenden und im Urlaub verbundene leitende ärztliche Funktion in der zentralen Notaufnahme eines Klinikums mit Schwerpunktversorgung rechtfertigt ein Absehen von einem bußgeldrechtlichen Regelfahrverbot oder sonstige Fahrverbotsprivilegierungen als im „überwiegenden öffentlichen Interesse“ liegend auch dann nicht, wenn der oder die Betroffene daneben im Notarztdienst engagiert und zur Gewährleistung der Einsatzbereitschaft und zur beruflichen Pflichtenerfüllung auf eine private Kraftfahrzeugnutzung angewiesen ist.

2. Wird ein Absehen von einem an sich verwirkten Fahrverbot mit der Angewiesenheit auf die Kraftfahrzeugnutzung zur Erreichung des Arbeitsplatzes begründet, müssen sich die Urteilsgründe auch dazu verhalten, warum der oder die Betroffene nicht darauf verwiesen werden kann, vorübergehend eine angemessene Unterkunft in Arbeitsplatznähe anzumieten (Anschluss an OLG Bamberg DAR 2009, 401 = VRR 2009, 309 [Burhoff]).

(Leitsätze des Gerichts)

BayObLG, Beschl. v. 19.1.2021 – 202 ObOWi 1728/20

I. Sachverhalt

Das AG hat gegen den Betroffenen, einen als stellvertretender Leiter der zentralen Notaufnahme eines Klinikums tätigen Arzt, wegen einer fahrlässig begangenen Überschreitung der innerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 33 km/h eine gegenüber dem Regelsatz verdreifachte Geldbuße von 480 EUR festgesetzt. Von der Anordnung eines im Bußgeldbescheid vorgesehenen einmonatigen Fahrverbots hat es abgesehen. Auf die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde der StA hat das BayObLG die Geldbuße wie im Bußgeldbescheid auf 320 EUR vermindert und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.

II. Entscheidung

Die Feststellungen und Erwägungen des AG wiesen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht Besonderheiten derart auf, die ausnahmsweise das Absehen von einem Fahrverbot rechtfertigen könnten. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung sei die Vorbewertung des Verordnungsgebers, der in § 4 Abs. 1 S. 1 BKatV bestimmte Verhaltensweisen als grobe Pflichtverletzungen ansieht, bei denen regelmäßig die Anordnung eines Fahrverbots in Betracht kommt, von den Gerichten zu beachten. Entsprechend der Intention des Verordnungsgebers werde deshalb grundsätzlich das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG indiziert, so dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf. Diese ‚Bindung’ der Sanktionspraxis der Tatgerichte diene nicht zuletzt der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der tagtäglich durch eine Vielzahl von Verkehrsverstößen ausgelösten Rechtsfolgen. Vor diesem Hintergrund ergebe sich, dass schon im Interesse der Anwendungsgleichheit Mindeststandards gerade dann beachtet werden müssen, wenn der berechtigten ‚Ausnahme’ – insbesondere durch ein gänzliches Absehen von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot – in nachvollziehbarer Art und Weise Geltung verschafft werden soll (zu den insoweit anzulegenden Maßstäben zuletzt BayObLG NJW 2020, 3539).

Gründe dieser Art zeigten die Feststellungen nicht auf. Allerdings habe das AG die berufliche Angewiesenheit des Betroffenen auf eine persönliche Fahrzeugnutzung im Rahmen seiner „grundsätzlichen Rufbereitschaft auch am Wochenende, abends oder im Urlaub“ und sein daneben bestehendes Engagement im Rahmen des Notarztdienstes zu Recht in seinen Abwägungsvorgang mit einbezogen. Denn es stehe außer Frage, dass der Betroffene unter den gegebenen Umständen durch ein Fahrverbot empfindlich jedenfalls in seiner gewohnten Berufsausübung berührt wird. Andererseits könnten bereits im Urteilszeitpunkt auch diese mitunter „zeitkritischen“ Umstände des auf „Mobilität und Flexibilität“ angewiesenen ärztlichen Einsatzes auch unter Berücksichtigung der „Gesamtsituation der zentralen Notaufnahme“ ein Absehen von dem durch den groben Pflichtenverstoß verwirkten Regelfahrverbot ersichtlich nicht rechtfertigen. Der seine wirtschaftlichen Verhältnisse selbst als „geordnet“ bezeichnende Betroffene werde in seiner Existenzgrundlage angesichts der nach den Urteilsgründen sogar als „deutlich überdurchschnittlich“ festgestellten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch ein Fahrverbot gerade nicht in unverhältnismäßiger oder gar in existenziell bedrohlicher Weise betroffen.

Auch sonst sei nichts dafür erkennbar, dass – wie in unzähligen vergleichbaren Fällen nichtärztlicher Berufsausübung – tatsächlich keine nahe liegenden Möglichkeiten bestehen sollten, für die nur begrenzte Fahrverbotsdauer zur Wahrnehmung der Einsatzbereitschaft und zur Gewährleistung der beruflichen Pflichten durch organisatorische Maßnahmen und die Inanspruchnahme Dritter in wirtschaftlich vertretbarer Weise Abhilfe zu schaffen, möge hierzu auch ein vorübergehend erhöhter, jedoch letztlich alltäglicher Aufwand unumgänglich sein. Auch verhalte sich das AG nicht dazu, warum der Betroffene nicht darauf verwiesen werden kann, für nur vorübergehende Zeit ein Zimmer in unmittelbarer Arbeitsplatznähe anzumieten. Die hierfür anfallenden Aufwendungen seien unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbotes schon deshalb als grundsätzlich zumutbar anzusehen, weil ihnen die ersparten Aufwendungen für die private Fahrzeugnutzung gegenüber zu stellen sind (OLG Bamberg DAR 2009, 401 = VRR 2009, 309 [Burhoff]). Weitere besondere Umstände dafür, dass der Betroffene durch ein Fahrverbot etwa einer ausweglosen Situation gegenüberstünde, seien ebenso wenig ersichtlich wie ein Zusammenbruch der ärztlichen Notversorgung der betreffenden zentralen Notaufnahme eines Krankenhauses mit Schwerpunktversorgung.

III. Bedeutung für die Praxis

Das Ergebnis mag hier vertretbar sein. Bei Ärzten gelten die allgemeinen Grundsätze für ein Absehen vom Fahrverbot wegen ungemessener Folgen (Burhoff/Deutscher, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 1444). Solche Folgen wird man regelmäßig bei einem Arzt in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht annehmen können. Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung wird in aller Regel auch nicht durch die Einbindung in den ärztlichen Notdienst begründet (OLG Hamm VRR 2012, 194 [Deutscher]: Krankenhaus-Oberarzt mit Rufbereitschaft).

Nicht überzeugend ist in seiner Allgemeinheit allerdings der angesichts der übrigen Feststellungen hier ohnehin nicht tragende Leitsatz 2. Zwar erfordert ein Absehen vom Fahrverbot wegen unangemessener Folgen auch die Prüfung, ob diese Folgen anderweitig abgewendet werden können (etwa durch Verbüßung im Urlaub ggf. i.V.m. einem Vollstreckungsaufschub nach § 25 Abs. 2a StVG, innerbetriebliche Vertretung). Der Verweis darauf, sich in Arbeitsplatznähe für die Zeit des Fahrverbots ein Zimmer zu nehmen, ist obergerichtlich bislang nur in der auch hier in Bezug genommenen Entscheidung OLG Bamberg DAR 2009, 401 = VRR 2009, 309 [Burhoff] so deutlich erfolgt (ähnl. AG Dortmund NZV 2019, 107 [Balschun]: Hoteldirektor soll in seinem Hotel ein Zimmer nehmen). Die damit verbundenen Folgen streifen zumindest die Grenzen der Zumutbarkeit. Gerade für solche Grenzfälle wie hier ist die deutliche Erhöhung der Geldbuße anstelle eines Fahrverbots gem. § 4 Abs. 4 BKatV das passende Instrument zur Einwirkung auf den Betroffenen (näher Burhoff/Deutscher, a.a.O., Rn 1394 ff.). Wenn man gleichwohl diesen Verweis machen will, bedarf es eingehender Feststellungen zur wirtschaftlichen Belastung und der familiären Situation des Betroffenen. Die eigene Sachentscheidung des BayObLG (§ 79 Abs. 6 OWiG) ist vor diesem Hintergrund unbefriedigend.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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