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Fahrverbot: Beharrlichkeit bei verbotener Nutzung elektronischer Geräte als Vortaten oder Anlasstat

Verstöße gegen § 23 Abs. 1a StVO stehen wegen ihrer regelmäßig gravierenden Beeinträchtigung der Fahrleistung bei gleichzeitig massiver Steigerung des Gefährdungspotentials für Dritte wertungsmäßig anderen typischen Massenverstößen im Straßenverkehr wie Geschwindigkeitsüberschreitungen und Abstandsunterschreitungen gleich, weshalb bei Vorliegen entsprechender Vorahndungen die Anordnung eines Fahrverbots wegen eines (unbenannten) beharrlichen Pflichtenverstoßes vielfach naheliegen wird. Insoweit ist ohne Belang, ob der Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO als relevante Vorahndung oder aber als Anlasstat selbst die Frage nach der Notwendigkeit einer Fahrverbotsanordnung aufwirft.

(Leitsätze des Gerichts)

BayObLG, Beschl. v. 15.9.2020 – 202 ObOWi 1044/20

I. Sachverhalt

Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 17 km/h zu einer Geldbuße verurteilt, von der Anordnung eines im Bußgeldbescheid vorgesehenen einmonatigen Fahrverbots jedoch abgesehen. Gegen ihn waren zuvor in den Jahren 2018 und 2019 wegen dreier Verstöße gegen das Verbot der Nutzung elektronischer Geräte gem. § 23 Abs. 1a StVO Bußgelder festgesetzt worden. Mit ihrer Rechtsbeschwerde beanstandet die StA, dass das AG von der Anordnung eines Fahrverbots wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes abgesehen hat. Die Rechtsbeschwerde war erfolgreich.

II. Entscheidung

Zwar könne ein Fahrverbot nur bei Annahme eines beharrlichen Pflichtenverstoßes außerhalb eines Regelfalls im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV bejaht werden. Allerdings halte die lapidare Begründung des AG einer rechtlichen Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil es seiner Wertung einen offensichtlich unzutreffenden Wertungsmaßstab zugrunde gelegt hat, was durch die Bezugnahme auf ein auf die Rechtslage vor Inkrafttreten der Neufassung des § 23 Abs. 1a StVO mit Wirkung vom 19.10.2017 zugeschnittenes obergerichtliches Judikat belegt werde, wobei die Überprüfung der hier angefochtenen Rechtsfolgenentscheidung im Übrigen selbst nach den dort für die damalige Rechtslage entwickelten Maßstäben nicht ohne weiteres standhielte (OLG Bamberg NJW 2007, 3655 = zfs 2007, 707 = NZV 2008, 48 = DAR 2008, 152; DAR 2013, 213 = zfs 2013, 350 = VRR 2013, 153 [Deutscher]).

Nach den festgestellten Vorahndungen sei der Betroffene in einem Zeitraum von nicht einmal 1 ½ Jahren nunmehr zum vierten Mal bußgeldrechtlich in Erscheinung getreten. Vor diesem Hintergrund stelle die Begründung des AG, wonach die Vorahndungssituation des Betroffenen mangels Vorliegens eines inneren Zusammenhangs gewissermaßen von vornherein nicht den Schluss auf eine auf mangelnder Verkehrsdisziplin beruhender Unrechtskontinuität für die nunmehrige Geschwindigkeitsüberschreitung zulasse, schon aufgrund der zeitlichen Abfolge der drei jeweils noch verwertbaren und allesamt erst im Jahre 2018 bzw. 2019 rechtskräftig gewordenen Vorahndungen und der Rückfallgeschwindigkeit eine auch im Ergebnis nicht mehr vertretbare tatrichterliche Wertung dar, auf die der Senat in seiner Rechtsprechung gerade mit Blick auf den mit der Neufassung des § 23a Abs. 1a StVO gebotenen strengen Maßstab für die Notwendigkeit einer Fahrverbotsanordnung wegen eines (unbenannten) beharrlichen Pflichtenverstoßes gem. § 25 Abs. 1 S. 1 2. Alt. StVG außerhalb eines Regelfalls im Sinne von § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV bei Vorliegen von Ordnungswidrigkeiten nach § 23 Abs. 1a StVO [n.F.] schon wiederholt deutlich hingewiesen habe (BayObLG zfs 2019, 588 = DAR 2019, 630 = VRR 9/2019, 22 [DeutscherWill

III. Bedeutung für die Praxis

Die Annahme eines unbenannten Falles einer beharrlichen Pflichtverletzung ist stark einzelfallbezogen (näher Burhoff/Deutscher, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 1591 ff.). Die Beurteilung des konkreten Falles durch das BayObLG ist hier angesichts von Anzahl und zeitlicher Dichte der Vortaten und Anlasstat durchaus nachvollziehbar. Soweit das BayObLG indessen seinen jüngst in den zitierten Entscheidungen dargelegten Grundsatz bekräftigt, ein Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO als Anlasstat lege es angesichts der besonderen Gefährlichkeit nahe, bei entsprechender Vorahndungslage einen unbenannten Fall der Beharrlichkeit anzunehmen, überzeugt das auch jetzt nicht. Das BayObLG schafft hierdurch der Sache nach einen in der BKatV nicht vorgesehenen faktischen Regelfall der Beharrlichkeit (näher Deutscher VRR 9/2019, 23 f.). Das gilt erst recht bei der hier nunmehr postulierten Ausdehnung auf solche Verstöße als Vortaten. In beiden Fällen bleibt es eine Einzelfallentscheidung, die allerdings – wie das BayObLG hier zutreffend moniert – eingehend bei Anordnung eines Fahrverbots wie beim Absehen davon begründet werden muss.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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