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Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten

Zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (hier: Klage wegen Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung).

(Leitsatz des Gerichts)

BGH, Urt. v. 22.6.2021 – VI ZR 353/20

I. Sachverhalt

Der Kläger nimmt die Beklagte, soweit für das Revisionsverfahren noch relevant, auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch. Der Kläger hatte im Juli 2013 einen von der Beklagten hergestellten und mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestatteten Pkw erworben. Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 13.11.2018 forderte er die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs auf. Nach fruchtlosem Fristablauf erhob er in der Folge Klage, mit der er u.a. die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.171,67 EUR begehrte. Das LG hat die Beklagte u.a. antragsgemäß zur Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG das landgerichtliche Urteil im Freistellungsausspruch abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Freistellungsanspruch nunmehr in Höhe von 1.029,35 EUR weiter. Seine Revision hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Nach Auffassung des OLG hatte der Kläger nicht schlüssig dargetan, seinen Prozessbevollmächtigten zunächst lediglich mit seiner außergerichtlichen Vertretung beauftragt oder ihm einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt zu haben. Das Aufforderungsschreiben vom 13.11.2018, in dem darauf hingewiesen wurde, dass Klage erhoben werde, falls innerhalb gesetzter Frist keine Zahlung oder kein angemessenes Vergleichsangebot eingehe, spreche dagegen, dass zunächst nur ein Mandat zur außergerichtlichen Vertretung oder nur ein bedingter Prozessauftrag erteilt worden sei.

Diese Erwägungen hat der BGH im Rahmen der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht beanstandet. Die Bemessung der – in Gestalt der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten allein noch in Rede stehenden – Höhe des Schadensersatzanspruchs sei in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie sei revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt habe (st. Rspr.; vgl. a. BGH, Urt. v. 22.1.19 – VI ZR 403/17 m.w.N.).

Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasse, sei zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch sei grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, a.a.O.). Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, sei eine Frage des Innenverhältnisses, nämlich der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats. Erteile der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (vgl. Vorbem. 3 Abs. 1 S. 1 VV RVG), lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG sei dann kein Raum mehr. Anders liege es, wenn sich der Auftrag nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt werde, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Ein lediglich (aufschiebend) bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilter Prozessauftrag stehe der Gebühr aus Nr. 2300 VV RVG nicht entgegen (vgl. BGH zfs 20219, 702; Urt. v. 19.5.2020 – KZR 70/17; vgl. weiter Hansens, zfs 2019, 703 ff.; Ebert, in: Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl., § 19 Rn 14).

Diese Grundsätze habe – so der BGH – das OLG in nicht zu beanstandender freier tatrichterlicher Würdigung der Umstände des Einzelfalles beachtet (§ 287 ZPO). Es habe ausgeführt, dass der Kläger nicht schlüssig dargetan habe, seinen Prozessbevollmächtigten zunächst lediglich mit seiner außergerichtlichen Vertretung beauftragt oder ihm einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt zu haben. Dass das OLG entsprechenden Instanzvortrag des Klägers übergangen hätte, mache die Revision nicht geltend. Das von dem Kläger vorgelegte außergerichtliche Aufforderungsschreiben vom 13.11.2018 habe das OLG gewürdigt und den darin enthaltenen Hinweis, dass Klage erhoben werde, falls innerhalb gesetzter Frist keine Zahlung oder kein angemessenes Vergleichsangebot eingehe, als Indiz gegen die Behauptung angesehen, es sei zunächst nur ein Mandat zur außergerichtlichen Vertretung oder nur ein bedingter Prozessauftrag erteilt worden. Diese Würdigung lasse jedenfalls einen Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. BGH NJW 1968, 2334, 2335 zur Indizwirkung einer Klageandrohung im Rahmen von § 118 BRAGO). Zwar könne aus der nach außen hin erkennbaren Tätigkeit eines Rechtsanwalts, auch wenn sie mit einer Klageandrohung verbunden sei, nicht ohne Weiteres darauf geschlossen werden, ob der Rechtsanwalt diese Tätigkeit im Rahmen eines ihm bereits erteilten – zumal unbedingten – Klageauftrags ausgeübt hat oder ob dem Anwalt im maßgeblichen Innenverhältnis bislang tatsächlich (lediglich) ein Vertretungsauftrag erteilt worden sei. Doch gehe die verbleibende Unsicherheit zu Lasten des Klägers, der darzulegen und im Streitfall zu beweisen habe, dass er seinem Anwalt einen Auftrag zur vorgerichtlichen Vertretung erteilt hat (vgl. Hansens, zfs 2019, 703).

III. Bedeutung für die Praxis

Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist eine Frage der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats. Darauf hat der BGH zuletzt schon in seinem Urteil vom 15.8.2019 (III ZR 205/17, zfs 2019, 702) hingewiesen. Im Kern geht der BGH davon aus, dass es auf den Einzelfall ankommt und jedenfalls eine Geschäftsgebühr nicht anfällt, wenn sich der Auftrag nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Hier hat das OLG das anwaltliche Aufforderungsschreiben gewürdigt und den darin enthaltenen Hinweis, dass Klage erhoben werde, falls innerhalb gesetzter Frist keine Zahlung oder kein angemessenes Vergleichsangebot eingehe, als Indiz gegen die Behauptung angesehen, es sei zunächst nur ein Mandat zur außergerichtlichen Vertretung oder nur ein bedingter Prozessauftrag erteilt worden. Diese Würdigung kann man vornehmen, sie ist allerdings nicht unbedingt zwingend, was jedoch nicht dazu führt, dass sie fehlerhaft wäre, was zur Aufhebung in der Revision führen würde.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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