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Besondere Ermächtigung im Sinne von § 302 Abs. 2 StPO

Für die Prüfung der Frage, ob ein Verteidiger besonders ermächtigt im Sinne von § 302 Abs. 2 StPO ist, ein Rechtsmittel (ganz oder teilweise) zurückzunehmen, sind auch außerhalb der Vollmachtsurkunde liegende Umstände heranzuziehen. Eine im Beschwerde- bzw. Revisionsverfahren erstmals erfolgte Berufung auf die angeblich fehlende Ermächtigung kann rechtsmissbräuchlich und in der Folge unwirksam sein.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2020 – 7 Rb 24 Ss 986/20

I. Sachverhalt

Gegen den Betroffenen wurde ein Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen § 24a StVG erlassen, durch welchen das Regelbußgeld von 500 EUR und ein einmonatiges Fahrverbot unter Gewährung der Karenzfrist des § 25 Abs. 2a StVG verhängt wurden. Der Betroffene hat hiergegen durch seinen Verteidiger wirksam Einspruch einlegen lassen. Dem Einspruchsschreiben lag keine Verteidigervollmacht bei. Am Tag vor der ersten Hauptverhandlung übersandte der Verteidiger eine vier Tage zuvor datierende Vollmachtsurkunde, die die „besondere Befugnis“ zur Rücknahme von Rechtsmitteln – unter beispielhafter Nennung auch des Einspruchs nach § 67 OWiG – enthielt. In der Hauptverhandlung beschränkte der Verteidiger den Einspruch auf den Rechtsfolgenausspruch; der Betroffene wurde zuvor bereits antragsgemäß von der angeordneten Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden. In der Folge wurde die Hauptverhandlung mehrfach vertagt und von Seiten des Verteidigers erfolglos angeregt, das Verfahren nach § 72 OWiG durch nicht näher zu begründenden Beschluss zu entscheiden. Das Gericht hat neuerlich Hauptverhandlungstermin anberaumt, zu welchem der Betroffene erneut von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden wurde. Der Verteidiger räumte für den Betroffenen im Termin die Vorwürfe ein, erklärte, es gehe nur „um die Rechtsfolgen“ und das Amtsgericht stellte zu Protokoll fest, dass bereits im ersten Termin der Einspruch wirksam auf die Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden sei. In der Folge verhängte das Amtsgericht ein Fahrverbot von einem Monat (ohne Karenzfrist) und ein Bußgeld von 500 EUR gegen den Betroffenen.

Mit der Rechtsbeschwerde wurden vom Verteidiger namens des Betroffenen die allgemeine Sachrüge erhoben und die festgesetzten Rechtsfolgen angegriffen. Im Rahmen der Stellungnahme zur Gegenerklärung der Generalstaatsanwaltschaft machte die Verteidigung – erstmals – den Einwand fehlender besonderer Ermächtigung zur Beschränkung des Einspruchs geltend. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde in „Dreierbesetzung“ verworfen.

II. Entscheidung

Das OLG hat – im Einklang mit dem BGH NJW 1977, 442, Beschl. v. 30.11.1976 – 1 StR 319/76, dem OLG Bamberg im Beschl. v. 8.2.2019 – 2 Ss OWi 123/19, dem BayObLG, Beschl. v. 6.8.2020 – 202 ObOWi 982/20 und Burhoff in Burhoff [Hrsg.], Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. Rn4067 f., m.w.N. – auf die Sachrüge hin von Amts wegen die Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch geprüft und diese bejaht. Die als nachträgliche teilweise Rücknahme des eingelegten Einspruchs zu bewertende Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch richtet sich nach § 67 Abs. 2 OWiG i.V.m. § 302 Abs. 2 StPO.

Bei der Prüfung der Frage, ob eine besondere Ermächtigung in vorstehendem Sinne vorliegt, könne laut OLG der zeitliche Zusammenhang zwischen Vollmachtserteilung und Hauptverhandlung sowie Erklärungen des Verteidigers während des Verfahrens herangezogen werden. Der enge zeitliche Zusammenhang von Vollmacht und erster Hauptverhandlung im Abstand von nur 4 Tagen (anders kann es sein, wenn die Vollmacht noch vor dem Erlass des Bußgeldbescheids ausgestellt wird, vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 8.2.2019 – 2 Ss OWi 123/19), sowie das wiederholte Hinweisen des Verteidiger in- und außerhalb der Hauptverhandlung, dass es nur „um die Rechtsfolgen“ gehe, reiche für die Annahme aus, dass er zur Abgabe der hiermit im Einklang stehenden Erklärung, den Einspruch zu beschränken hinreichend ermächtigt gewesen war (anders etwa im Fall des Unterbevollmächtigten, der keine Untervollmacht im Termin vorlegt, etwa BayObLG, Beschl. v. 6.8.2020, a.a.O.).

Das OLG stellt zur Begründung der Rechtsmissbräuchlichkeit des Einwands fehlender besonderer Ermächtigung im Rahmen der Würdigung der Gesamtumstände ausdrücklich darauf ab (Rn 16 der Entscheidung), dass das Verhalten des Verteidigers insgesamt „weit über eine bloße Einspruchsbeschränkung hinausgehen“ würde. Nicht erkennbar wird, ob das gefundene Ergebnis sich auf diesen Fall übertragen ließe, oder dann vom Fehlen der Ermächtigung ausgegangen werden müsste.

III. Bedeutung für die Praxis

Das OLG misst – zutreffend – der Klärung der Frage besondere Bedeutung bei und entscheidet in voller Senatsbesetzung, weicht aber soweit ersichtlich jedenfalls von BayObLG, Beschl. v. 6.8.2020, a.a.O. in der Beurteilung der Frage ab, ohne dies wiederum zum Anlass zu nehmen, den Fall höherer Stelle vorzulegen, § 121 Abs. 2 Nr. 4 GVG.

Gerade weil das OLG Stuttgart (und andere) beim Nicht-Vorliegen der Vollmachtsurkunde aus anderen Umständen Rückschlüsse auf Existenz und Reichweite der (Unter-)Bevollmächtigung ziehen wollen, muss – um im Einzelfall mit dem Einwand fehlender Ermächtigung durchzudringen – entsprechender Passus klar in der Vollmacht enthalten sein und diese sollte auch tatsächlich und rechtzeitig (lies: zu Beginn der Hauptverhandlung) vorgelegt werden. Nicht erfolgsversprechend ist an dieser Stelle übrigens eine absichtlich irreführende Gestaltung der Vollmacht, vgl. etwa OLG Oldenburg, Beschl. v. 17.6.2020 – 2 Ss (OWi) 109/20.

Bei Wahrnehmung des Termins durch einen Unterbevollmächtigten sollte entsprechend deutliche Untervollmacht erteilt und wo notwendig ausdrücklich beschränkt werden, auch wenn die neuere Rechtsprechung hier im Zweifel von einer fehlenden Ermächtigung auszugehen scheint (so etwa BayObLG, Beschl. v. 6.8.2020, a.a.O., entgegen seiner eigenen früheren Rechtsauffassung im BayObLGSt 1991, 41 = NZV 1991, 403, Beschl. v. 22.2.1991 – 2 Ob OWi 48/91, wonach inhaltliche Deckungsgleichheit von Haupt- und Untervollmacht im Zweifel zu vermuten sein sollte).

Aus Sicht des Tatrichters erscheint es – wo zweifelhaft – sinnvoll, schriftliche (Unter-)Vollmacht vorlegen zu lassen oder – wo dies berechtigterweise nicht erfolgt – entsprechende ausdrückliche anwaltliche Versicherung ins Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen, um von vornherein keine Probleme aufkommen zu lassen. Wann immer Zweifel am Umfang der Vollmacht bestehen – auch im Hinblick auf die Entgegennahme von Zustellungen (vgl. etwa KG VRS 2018 Bd. 135, 26, Beschl. v. 8.11.2018 – 3 Ws (B) 249/18 – 162 Ss 114/18 mit nachträglicher Heilungsmöglichkeit, falls später Vollmacht noch erteilt wird; allerdings abweichend BayObLG, Beschl. v. 11.2.2020 – 202 ObOWi 38/20, der jede – auch bloß außergerichtliche – Vollmacht für ausreichend hält) empfiehlt sich der sichere Weg der Zustellung (jedenfalls auch parallel) direkt an den Betroffenen.

RiAG Patrick Hecken, Dillingen/Donau

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