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Bemessung der Rahmengebühr im Bußgeldverfahren

Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten, die auf einem Geschwindigkeitsverstoß beruhen, können wegen ihrer statistischen Häufigkeit in der Regel routinemäßig und ohne wesentlichen Zeitaufwand vom Rechtsanwalt bearbeitet werden, so dass Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit i.d.R. als unterdurchschnittlich anzusehen sind.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Halle,Beschl. v.18.12.2019–3 Qs 117/19

I. Sachverhalt

Gegen die Betroffene war ein Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 40 km/h mit einer Geldbuße in Höhe von 120 EUR ergangen. Nach Einspruch der Betroffenen stellte das AG das Verfahren auf Kosten der Staatskasse ein und legte die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse auf.

Der Verteidiger hat Kostenfestsetzung beantragt. Er hat Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG und die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG geltend gemacht. Angesetzt worden ist jeweils die Mittelgebühr. Das AG hat den Ansatz der Mittelgebühr als unangemessen hoch angesehen. Es hat bei der Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG nur 60 EUR, bei der Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG nur 100 EUR und bei den Verfahrensgebühren nach Nr. 5109 und 5115 VV RVG nur jeweils 120 EUR festgesetzt. Die sofortige Beschwerde des Verteidigers hatte teilweise Erfolg.

II. Entscheidung

Das LG stellt noch einmal die Grundsätze der Bemessung der Rahmengebühren dar. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimme der Verteidiger die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen selbst. Hierzu zählen vor allem Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Seien die Gebühren von einem Dritten, wie hier von der Landeskasse, zu erstatten, sei die Bestimmung durch den Rechtsanwalt jedoch unverbindlich, wenn sie unbillig sei (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Das sei in der Regel dann der Fall, wenn die beantragte Gebühr um 20 % oder mehr über der angemessenen Höhe liegt. Um zu bestimmen, wann eine Gebührenfestsetzung unbillig sei, werde nach gefestigter Rechtsprechung in den „Normalfällen“, in denen sämtliche nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art seien, von der Mittelgebühr ausgegangen. Maßgeblich für die Frage, ob eine Gebühr oberhalb oder unterhalb der Mittelgebühr gerechtfertigt ist, ist die Bewertung und Gewichtung der vorgenannten Kriterien nach § 14 RVG. Die Ober- und Untergrenzen stellen dabei lediglich Richtwerte dar, sodass sich eine schematische Bewertung verbiete.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sieht das LG hinsichtlich der Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG sowie der Verfahrensgebühr Nr. 5103 und Nr. 5109 VV RVG nur jeweils ein Ansatz deutlich unterhalb der Mittelgebühr als angemessen an. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien hier als unterdurchschnittlich anzusehen. Dabei geht die Kammer davon aus, dass Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten, die auf einem Geschwindigkeitsverstoß beruhen, wegen ihrer statistischen Häufigkeit in der Regel routinemäßig und ohne wesentlichen Zeitaufwand vom Rechtsanwalt bearbeitet werden. Berücksichtigt man, dass der Gebührenrahmen alle Arten von Ordnungswidrigkeiten, also auch solche aus den Bereichen des Bau-, Gewerbe-, Umwelt- oder Steuerrechts, die häufig mit Bußgeldern im oberen Bereich des Bußgeldrahmens geahndet werden und oft mit rechtlichen Schwierigkeiten und/oder umfangreicher Sachaufklärung verbunden sind, erfasse, sei der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit hier als unterdurchschnittlich anzusehen (vgl. auch LG Osnabrück, Beschl. v. 21.3. 2012 – 15 Qs 12/12; LG Duisburg, Beschl. v. 15.5. 2014 – 69 Qs 10/14; LG Hannover, Beschl. v. 3.2.2014 – 48 Qs 79/13). Neben dem Einarbeitungsaufwand habe es keiner tiefergehenden Sachaufklärung bedurft, da es hier lediglich um die Frage der Verfolgungsverjährung ging, die kurz vor der Hauptverhandlung geltend gemacht worden sei; schwierigere tatsächliche oder rechtliche Fragen hätten sich nicht gestellt. Die vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung sei eine häufig vorkommende Ordnungswidrigkeit. Die Schwierigkeit der Angelegenheit sei als unterdurchschnittlich einzuordnen.

Auch die Bedeutung der Angelegenheit für die Betroffene sei als unterdurchschnittlich zu werten: Der Verfahrensgegenstand sei eine Geschwindigkeitsüberschreitung, die mit einer geringen Geldbuße in Höhe von 120 EUR und einer Eintragung von einem Punkt im Verkehrszentralregister geahndet werden sollte. Ein Fahrverbot drohte nicht. Der vorgegebene Gebührenrahmen für die Grundgebühr, mit der die Verteidigertätigkeit für die Ersteinarbeitung sowie die Beschaffung der Erstinformation vergütet werde, gelte für die Verteidigertätigkeit in allen Instanzen unabhängig von der Höhe der Geldbuße und der Art der Ordnungswidrigkeit. Der vorgegebene Gebührenrahmen für die Verfahrensgebühr gelte für Geldbußen zwischen 60 EUR und 5.000 EUR, sodass sich die angedrohte Geldbuße auch nur im unteren Bereich des Gebührenrahmens bewegte.

Das LG hat vor diesem Hintergrund eine Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG in Höhe von 70 EUR und eine Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG in Höhe von 110 EUR für angemessen. Für die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG hat sich die Kammer dem AG angeschlossen und eine Gebühr in Höhe von 120 EUR als angemessen angesehen, da der Verteidiger sich vertieft mit der Frage der Verfolgungsverjährung auseinandersetzen musste.

Die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG hatte das AG nach Auffassung des LG jedoch zu gering angesetzt, da nach Nr. 5115 Abs. 3 Satz 2 VV RVG sich bei einem Wahlanwalt die Gebühr nach der Rahmenmitte bestimmt. Es handele sich um eine versteckte Festgebühr. Der Gebührenrahmen sei hier von 30 EUR bis 290 EUR vorgegeben, so dass eine Mittelgebühr in Höhe von 160 EUR, wie beantragt, anzusetzen war.

III. Bedeutung für die Praxis

Das ist mal wieder eine dieser gebührenrechtlichen Entscheidungen, bei denen man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Weinen, weil mal wieder ein LG die Gebühren im Bußgeldverfahren wohl grundsätzlich unterhalb der Mittelgebühr ansetzen will, was dann zu so absurden Beträgen von 70 EUR bei der Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG führt. Und weinen auch deshalb, weil das LG sich zur Stützung seiner Auffassung dann drei ältere Entscheidungen anderer Landgerichte heraussucht, die es genauso falsch machen, ohne sich mit den vielen anderen Entscheidungen anderer Landgerichte und/oder Amtsgerichte auseinanderzusetzen, die es anders, aber eben richtig machen. Auf Einzelheiten einzugehen, lohnt nicht mehr. Dazu ist schon so viel geschrieben, was aber offenbar nicht ankommt, im Zweifel weil man es nicht lesen will (eingehend zur Gebührenbemessung im Bußgeldverfahren Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur).

Und lachen? Nun lachen deshalb, weil das LG die vom AG festgesetzten Gebühren der Nrn. 5100, 5103 VV RVG um jeweils 10 EUR anhebt. Man fragt sich, was das soll? Oder: Warum sind 70 EUR bzw. 110 EUR angemessener als die vom AG (zu niedrig) angesetzten 60 EUR oder 100 EUR? Das kann man nicht begründen. Und das LG hat es dann auch lieber erst gar nicht versucht.

RADetlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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