Beitrag

Anwendung der Differenztheorie

1. Die Erstattung nach der Differenzmethode erfordert, dass der Verteidiger sowohl die Auslagen insgesamt als auch den „fiktiven“ erstattungsfähigen Teil im Rahmen seiner Kompetenz nach § 14 RVG bestimmt.

2. Die Differenztheorie gilt auch dann, wenn weitere Tatvorwürfe vor Erhebung der Anklage nach § 170 Abs. 2 StPO oder nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt wurden.

(Leitsatz des Gerichts)

LG Köln, Beschl. v. 24.9.2020 – 120 Qs 60/20

I. Sachverhalt

Der Rechtsanwalt war von Anfang an Verteidiger des Beschuldigten, dem mehrere Betrugstaten zur Last gelegt worden sind. Vor Anklageerhebung hat das AG einen Teil der Taten nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt. Anklage ist dann noch wegen 21 Betrugstaten erhoben worden. Nach Nichteröffnung des Hauptverfahrens hat der Verteidiger seine Kosten gegenüber der Staatskasse geltend gemacht. Diese sind nur zum Teil festgesetzt worden. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel hatte beim LG keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Das LG führt aus: Von den geltend gemachten Gebühren seien die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG und die Pauschale für Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG dem Verteidiger nicht zu erstatten, da er – trotz Aufforderung und mehrfacher Stellungnahme der Bezirksrevisorin – anhand der Differenztheorie keine Gebührenbestimmung zur Gesamtverteidigervergütung und fiktivem Honorar vorgenommen habe. Die Erstattung nach der Differenzmethode erfordere, dass der Verteidiger sowohl die Auslagen insgesamt als auch den „fiktiven“ erstattungsfähigen Teil im Rahmen seiner Kompetenz nach § 14 RVG bestimme. Unterbleibe trotz gerichtlicher Aufforderung eine solche Gebührenbestimmung durch den Verteidiger, sei die Kostenfestsetzung nach der Differenztheorie als undurchführbar abzulehnen. (LG Koblenz NStZ-RR 1998, 256; Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 464b Rn 8). Vorliegend sei der Verteidiger seitens der Bezirksrevisorin mehrmals auf die Anwendung der Differenztheorie hingewiesen und zu einer entsprechenden Gebührenbestimmung aufgefordert worden. Dieser Aufforderung sei er nicht nachgekommen. Er vertrete vielmehr die Ansicht, dass die Differenztheorie vorliegend keine Anwendung finde.

Entgegen der Ansicht des Verteidigers komme die Differenztheorie im vorliegenden Fall hinsichtlich der zuvor genannten Gebühren zur Anwendung. Differenztheorie (oder eine Quotelung, dies stehe im pflichtgemäßen Ermessen des Rechtspflegers) komme immer dann zum Tragen, wenn unterschiedliche Entscheidungen innerhalb eines Verfahrens unterschiedliche Kostenträger nach sich ziehen. Hauptanwendungsfall sei der Teilfreispruch. In der Rechtsprechung anerkannt sei jedoch auch, dass die Differenztheorie auch dann gilt, wenn weitere Tatvorwürfe vor Erhebung der Anklage nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurden. Denn in diesem Fall fehle es an einer Vorschrift, die der Staatskasse die Auslagen des Beschuldigten aufbürdet, gegen den letztlich erfolglos ein Ermittlungsverfahren geführt wurde. In einem solchen Fall bestehe in begrenztem Umfang und losgelöst von dem Kostenfestsetzungsverfahren eine Erstattungsmöglichkeit lediglich in der Form eines Schadensersatzanspruchs nach den Vorschriften des StrEG. Nichts anderes könne gelten, wenn hier vor Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft einzelne Tatvorwürfe gem. § 154 Abs. 1 StPO eingestellt wurden. Auch in diesem Fall gelte, dass die Kostentragungspflicht dem Beschuldigten obliege (Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 467a Rn 2). Die im vorliegenden Fall vom AG im Nichteröffnungsbeschluss getroffene Kostengrundentscheidung beziehe sich nur auf die angeklagten Tatvorwürfe, da das Gericht mit den weiteren, eingestellten Tatvorwürfen nicht befasst war.

Die geltend gemachten Verfahrensgebühren Nr. 4106 und Nr. 4141 VV RVG seien jedoch in der beantragten Höhe von 290 EUR und 165 EUR festzusetzen. Insbesondere halte sich die Gebühr Nr. 4106 VV RVG in der beantragen Höhe – obwohl die Festsetzung des Höchstbetrags beantragt wurde – angesichts des Umfangs der Anklage vor dem Schöffengericht mit 21 Betrugstaten und der Beweisführung durch Indizienbeweise noch im Rahmen des dem Verteidiger zustehenden Ermessens zur Bestimmung der Höhe der Rahmengebühr gem. § 14 RVG: Da die Gebühr nicht unbillig hoch bestimmt worden sei, sei die Bestimmung gegenüber der Staatskasse verbindlich.

Bei der Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG handele es sich um eine Festgebühr, die sich anhand der jeweiligen Mittelgebühr bemisst (Gerold/Schmidt/Burhoff, 24. Aufl. 2019, VV 4141 Rn 50), so dass diese vorn Verteidiger zutreffend in Höhe von 165 EUR angesetzt wurde. Der Verteidiger habe auch an der Nichteröffnung des Hauptverfahrens mitgewirkt, indem er unter dem eine schriftliche Einlassung für den ehemals Angeschuldigten abgegeben habe.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Frage, ob in den Fällen, in denen der Verteidiger zur Anwendung der Differenztheorie nicht den „fiktiven“ erstattungsfähigen Teil seiner Gebühren bestimmt, die Kostenfestsetzung vollständig abgelehnt werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur nicht unbestritten. Das LG Hildesheim (StRR 2015, 199 = RVGreport 215, 194; ihm folgend Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Teil A Rn 1486) hat das abgelehnt und zutreffend darauf hingewiesen, dass vom Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren eine eigenständige Tätigkeit bei der Bescheidung des Kostenfestsetzungsantrags zu erwarten ist. Allerdings: Wenn die „Aufforderung“ des Kostenbeamten zur Spezifizierung kommt, sollte man als Verteidiger – schon im eigenen Interesse – dieser „Bitte“ nachkommen. Warum der Verteidiger das hier nicht getan hat, ist nicht ersichtlich. Die Gründe des Beschlusses des LG geben dafür nichts her.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…