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Abrechnung der Tätigkeiten für einen Zeugen im Bußgeldverfahren

1. Sowohl bei der Einreichung eines Antrages auf gerichtliche Entscheidung als auch bei einzelnen Beistandsleistungen für einen Zeugen handelt es sich um Einzeltätigkeiten i.S.v. Nr. 5200 VV RVG.

2. Eine Grundgebühr für das Bußgeldverfahren nach Nr. 5100 VV RVG entsteht für den mit einer Einzeltätigkeit in einer Bußgeldsache beauftragten Rechtsanwalt nicht.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Bielefeld,Beschl. v.1.10.2019–10 Qs 276/19

I. Sachverhalt

Mit dem Pkw einer GmbH soll eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen worden sein. Zum Zwecke der Fahrzeugführerermittlung schreibt die zuständige Stadt als Verwaltungsbehörde die eingetragene Halterin, die GmbH, an und bittet um Mitteilung der Personalien der verantwortlichen Person. Geschäftsführer der Gesellschaft war der „Betroffene“. Da das Anschreiben wie auch Erinnerungen unbeantwortet blieben, wurde der „Betroffene“ mit Schreiben vom 21.3.2019 als Zeuge vorgeladen. Hierauf meldete sich dann am 27.3.2019 der Rechtsanwalt K. für die GmbH. Er teilte mit, dass das in Rede stehende Fahrzeug auch den Organen der vorgenannten Gesellschaft zur Nutzung überlassen sei, sodass diese als mögliche Betroffene in Betracht kämen. Insofern mache seine Mandantschaft vorerst von ihrem Schweigerecht Gebrauch. Der „Betroffene“/Geschäftsführer werde auf anwaltliches Anraten der Vorladung keine Folge leisten. Weiter benannte er drei Personen, darunter auch den Betroffenen, die als Fahrer in Betracht kämen.

In der Folge setzte die Stadt ein Ordnungsgeld i.H.v. 100 EUR gegen den Betroffenen/Geschäftsführer fest, mit der Begründung, dass dieser trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt zum Vorladungstermin nicht erschienen sei. Hierauf meldete sich erneut der Rechtsanwalt K., zeigte die Vertretung des Betroffenen an und beantragte gegen den Ordnungsgeldbeschluss die gerichtliche Entscheidung. Der Antrag hatte beim AG Erfolg (vgl. AG Herford, Beschl. v. 11.4.2019 – 11 OWi 895/19 [b]). Das AG hat den Kostenfestsetzungsbeschluss aufgehoben. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen sind der Stadtkasse auferlegt worden.

Auf Grundlage dieses Beschlusses beantragte der Rechtsanwalt die Kostenfestsetzung, wobei er u.a. die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 5103 und die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG geltend machte. Das AG hat diesem Antrag voll entsprochen. Gegen den entsprechenden Beschluss hat die Stadt sofortige Beschwerde eingelegt, die beim LG teilweise Erfolg hatte.

II. Entscheidung

Das LG hat lediglich eine Gebühr nach Nr. 5200 VV RVG festgesetzt. Klarzustellen sei zunächst, dass sich die Kostengrundentscheidung aus dem Beschluss des AG vom 11.4.2019 lediglich auf das Ordnungsgeldverfahren beziehe, das sich vorliegend als eigenständige Angelegenheit aus dem Bußgeldverfahren entwickelt hat. Er bilde dagegen keine Grundlage für die Festsetzung notwendiger Auslagen, die durch die Vertretung im Bußgeldverfahren entstanden seien. Insofern sei es in Bezug auf die festzusetzenden Kosten unerheblich, ob der Betroffene im Bußgeldverfahren als Zeuge von einem Rechtsanwalt umfassend vertreten worden sein sollte. Abgesehen davon sei auch nicht ersichtlich, wieso die Kosten für die Tätigkeit als Beistand eines Zeugen im Bußgeldverfahren überhaupt der Staatskasse bzw. Stadtkasse zur Last fallen sollten. Weiter ergibt sich aus dem Schreiben des Rechtsanwalts vom 27.3.2019 gerade die Vertretung der GmbH und nicht des Betroffenen im Bußgeldverfahren. Für diesen sei eine Meldung erstmalig als Reaktion auf den Ordnungsgeldbeschluss, d.h. im Ordnungsgeldverfahren, mit Schreiben vom 8.4.2019 erfolgt.

Nach Auffassung des LG könnten vorliegend als notwendige Auslagen nur die Gebühren geltend gemacht werden, die für die anwaltliche Tätigkeit im Ordnungsgeldverfahren abgerechnet werden können. Diese beschränkten sich – so das LG – auf die Beantragung der gerichtlichen Entscheidung gegen den streitgegenständlichen Ordnungsgeldbescheid gem. § 62 OWiG. Sowohl bei der Einreichung eines Antrages auf gerichtliche Entscheidung als auch bei einzelnen Beistandsleistungen für einen Zeugen handele es sich aber um Einzeltätigkeiten i.S.v. Nr. 5200 VV RVG (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 5200 VV Rn 12 ff.). Zwar sei die Frage, ob eine Einzeltätigkeit oder eine umfassende Vertretung vorliegt, danach zu beantworten, welcher konkrete Auftrag dem Rechtsanwalt erteilt wurde. Allerdings sei vorliegend im Hinblick auf das Ordnungsgeldverfahren eine weitergehende Beauftragung nicht ersichtlich und auch nicht ohne weiteres denkbar. Abgesehen davon sei aber im VV RVG auch kein entsprechender Gebührentatbestand für eine unterstellte „Vollvertretung im Ordnungsgeldverfahren“ vorgesehen. Insofern verbleibt es dabei, dass die Beantragung einer gerichtlichen Entscheidung gegen den Ordnungsgeldbescheid als Einzeltätigkeit abzurechnen sei.

Da das LG keine Anhaltspunkte dafür gesehen hat, dass eine abweichende Bemessung der Rahmengebühr angebracht wäre, hat es bei der Ermittlung der konkreten Gebührenhöhe für die Einzeltätigkeit nach § 14 Abs. 1 RVG i.V.m. Nr. 5200 VV RVG die Mittelgebühr angesetzt.

Den Ansatz einer Grundgebühr nach Nr. 5100 VV RVG hat das LG abgelehnt. Die entstehe für den mit einer Einzeltätigkeit in einer Bußgeldsache beauftragten Rechtsanwalt nicht (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, Nr. 5200 VV RVG Rn 10). Allerdings könne eine Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG beansprucht werden (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, Nr. 5200 VV RVG Rn 13).

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung ist m.E. falsch. Denn das LG setzt sich nicht mit dem Umstand auseinander, dass der Rechtsanwalt im Ordnungsgeldverfahren als Zeugenbeistand des Geschäftsführers tätig geworden ist und somit Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG Anwendung findet. Danach entstehen die Gebühren wie bei einem Verteidiger, also nach Teil 5 Abschnitt 1 VV RVG (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 5 VV Rn 26). Die Diskussion, die zu Teil 4 VV RVG geführt wird – Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG oder nur eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4302 Nr. 2 VV RVG? – muss zu Teil 5 VV RVG nicht geführt werden. Denn Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG ist anders formuliert als Teil 4 Abs. 1 VV RVG. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom LG angeführten Kommentarstelle „Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 5200 VV Rn 12 ff.“. Denn das LG hat offenbar übersehen, dass es dort heißt: „…. wenn der Rechtsanwalt nicht voller Vertreter i.S.v. Teil 5 Abschnitt 1 VV ist“. Das war hier aber der Fall.

Damit hätten die Nr. 5100 VV RVG und die Nr. 5103 VV RVG festgesetzt werden müssen. Die vom Verteidiger auch noch beantragte Nr. 5109 VV RVG war hingegen nicht festzusetzen. Denn der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG hat das Verfahren nicht in das Stadium des gerichtlichen Verfahrens überführt (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 5.1.2 VV Rn 10).

2. Auf der Grundlage der Auffassung des LG ist es im Übrigen aber richtig, dass eine Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG nicht entstanden ist. Die entsteht in den Fällen der Einzeltätigkeit des Rechtsanwalts nämlich nicht (vgl. Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Vorbem. 4.3 VV Rn 43 m.w.N.).

RADetlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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