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Ablehnung eines Beweisantrags im Bußgeldverfahren

Die beantragte Vernehmung eines Entlastungszeugen kann regelmäßig nicht mit der Begründung abgelehnt werden, durch die Aussagen der bisherigen Belastungszeugen sei das Gegenteil der behaupteten und unter Beweis gestellten Tatsache bereits erwiesen.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.9. 2020 – 1 Rb 37 Ss 437/20

I. Sachverhalt

Das AG hat den Betroffenen zu einer Geldbuße verurteilt, weil er seine beiden 14- und 7-jähren Söhne in seinem Pkw auf der Rückbank befördert hat, wobei der 7-jährige Sohn mit einer Körpergröße von höchstens 135,5 cm weder in einem Kindersitz noch auf einer Sitzerhöhung gesessen habe. Dagegen hatte der Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 80 OWiG) beantragt, die er damit begründet hat, dass das AG in der Hauptverhandlung zu Unrecht einen Beweisantrag des Betroffenen abgelehnt habe, der darauf gerichtet gewesen sei, zum Beweis der Tatsache, dass beide Kinder angeschnallt gewesen seien und der jüngere Sohn auf einer Sitzerhöhung gesessen habe, den älteren Sohn als Zeugen zu vernehmen. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Das OLG führt aus: Durch die Ablehnung des Beweisantrags nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG mit der Begründung, dass die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich gewesen sei, da der kontrollierende Polizeibeamte bereits vernommen worden sei, sei das rechtliche Gehör verletzt. Insoweit sei das Gericht dazu verpflichtet, die Ausführungen des Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Insoweit sei anerkannt, dass keine Gehörsverletzung vorliegt, soweit das AG Beweisanträge des Betroffenen zur Kenntnis genommen sowie – entsprechend § 77 Abs. 3 OWiG – mit einer Kurzbegründung verbeschieden hat, wenn es sich in den Urteilsgründen mit dem Vorbringen des Betroffenen näher auseinandergesetzt hat (BeckOK-OWiG/Bär, 27. Ed. 1.7.2020, OWiG § 80 Rn 23a) und die Ablehnung des Beweisantrags so begründet, dass dies für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar ist (so grundsätzlich auch KG, Beschl. v. 6.6.19 – 3 Ws (B) 150/19). Das sei hier nicht der Fall.

Zudem sei die Ablehnung in der Sache auch zu Unrecht erfolgt. Die beantragte Vernehmung eines Entlastungszeugen könne regelmäßig nicht mit der Begründung abgelehnt werden, durch die Aussagen der bisherigen Belastungszeugen sei das Gegenteil der behaupteten und unter Beweis gestellten Tatsache bereits erwiesen (KG VRS 102, 125 = NZV 2002, 416; OLG Jena VRS 108, 219). Ausnahmen hiervon können vorliegen, wenn die Möglichkeit der Wahrnehmung der behaupteten Tatsache zweifelhaft und daher mit einer Erschütterung einer als verlässlich einzustufenden Aussage nicht zu rechnen sei, was beispielsweise der Fall sein könne, wenn durch die Aussage eines Fahrzeuginsassen hinsichtlich einer zu einem bestimmten Zeitpunkt gefahrenen Geschwindigkeit die als verlässlich einzustufende Aussage des Beamten, der die Geschwindigkeitsmessung vorgenommen habe, widerlegt werden solle (OLG Düsseldorf NZV 1999, 260). Damit sei der vorliegende Fall unter Berücksichtigung der Wahrnehmungsmöglichkeiten des benannten Zeugen und des vernommenen Zeugen jedoch nicht vergleichbar.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung macht noch einmal deutlich, dass die AG im Bußgeldverfahren nicht selten Beweisanträge der Betroffenen vorschnell ablehnen. Das muss in der Rechtsbeschwerde mit einer Verfahrensrüge oder in den Zulassungsfällen mit der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend gemacht werden. In beiden Fällen ist § 344 Abs. 2 S. 2 StPO zu beachten (vgl. u.a. KK-OWiG/Hadamitzky, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn 26, 41b). Die Rüge genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO nur dann, wenn der Beschwerdeführer den Inhalt seines Antrags und des Ablehnungsbeschlusses mitteilt und wenn er die Tatsachen bezeichnet, welche die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses ergeben (KK-StPO/Gericke, StPO, 8. Aufl. 2019, § 344 Rn 54).

2. Und der Verteidiger muss natürlich darauf achten, dass er einen i.S.d. § 244 Abs. 3 StPO ordnungsgemäßen Beweisantrag stellt. Erforderlich ist also zunächst, dass die Beweistatsache und das Beweismittel hinreichend konkret bezeichnet werden (vgl. dazu Niehaus, in: Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021 Rn 527). Nach den Änderungen des § 244 StPO durch das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019“ (BGBl I, S. 2121) muss außerdem die Konnexität dargelegt werden. Dem Antrag muss also grundsätzlich unmittelbar zu entnehmen sein, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Das hatte der Verteidiger hier übersehen. Das OLG hat die Darlegung dieser Konnexität hier aber nicht für erforderlich gehalten, da sich aus dem bisherigen Verfahrensstand ergab, dass beide Söhne auf der Rückbank gesessen haben sollen und damit das Beweisbegehren auf die Vernehmung eines unmittelbaren Tatzeugen abzielte, der sich im zeitlichen Zusammenhang mit der Tat am Tatort aufhielt und dessen Wahrnehmungsmöglichkeiten zum Zeitpunkt der Antragsstellung nicht zweifelhaft sind (vgl. zum früheren Recht BGH NStZ 2014, 351).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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