Das Steuerstrafrecht ist eine sehr spezielle Rechtsmaterie, in der sich nur wenige Spezialisten richtig auskennen. Allerdings spielt die Steuerhinterziehung in der Praxis eine große Rolle, wobei festzustellen ist, dass andere Straftaten oftmals mit Steuerdelikten einhergehen. So stellt sich beispielsweise oftmals bei Korruptionsdelikten nach § 299 StGB die Frage, ob nicht auch eine Steuerhinterziehung begangen wurde, wenn entgegen dem Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 10 EStG ggf. i.V.m. § 8 KStG entsprechende Zahlungen als Betriebsausgaben bei der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer geltend gemacht wurden. Der folgende Beitrag möchte schwerpunktmäßig einen Überblick zum Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 AO geben, Fragen des Verfahrensrechts treten demgegenüber in den Hintergrund.
Straftatbestand der Steuerhinterziehung
1. Allgemeines
Der Straftatbestand der Steuerhinterziehung ist in § 370 AO geregelt. Bei § 370 AO handelt es sich nach h.M. um einen Blankett-Tatbestand, der der jeweiligen Ausfüllung durch die Einzelsteuergesetze bedarf (BGH NJW 2014, 325). So kann etwa nur durch die Einzelsteuergesetze beantwortet werden, was die steuererheblichen Tatsachen i.S.v. § 370 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AO sind bzw. es beurteilt sich nach § 3 Abs. 1 AO, ob als Tatobjekt tatsächlich eine Steuer vorliegt.
Wie sich aus § 369 Abs. 2 AO bzw. Art. 1 EGStGB ergibt, gelten hier die Regeln des allgemeinen Teils des StGB. Insofern ist dann beispielsweise, weil nach § 370 Abs. 2 AO die versuchte Steuerhinterziehung strafbar ist, auf §§ 23ff. StGB zurückzugreifen, wenn es um die Frage geht, ob das Versuchsstadium bereits erreicht bzw. ein Rücktritt vom Versuch gegeben ist. Dies gilt auch im Fall der besonders schweren Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 AO (BGH NStZ 2011, 167). Auch finden insoweit die Vorschriften über die Einziehung nach §§ 73ff. StGB im Steuerstrafverfahren vermehrt Anwendung.
§ 370 AO ist ein Vermögens- und ein Erfolgs- sowie ein (konkretes) Gefährdungsdelikt, nicht notwendig jedoch ein Verletzungsdelikt (BGH wistra 2011, 186), weshalb es für die Strafzumessung weitgehend unerheblich ist, ob die Steuerschuld auch bei steuerehrlichem Verhalten nicht hätte beglichen werden können (BGH wistra 2009, 315; NJW 2013, 1750). Dass es sich bei § 370 AO um ein konkretes Gefährdungsdelikt in Bezug auf den Steueranspruch des Fiskus handelt, wird bei der zeitlichen Verkürzung i.S.v. § 370 Abs. 4 S. 1 AO deutlich, die als Taterfolg ausreichend ist (BGH NJW 2009, 1979; NJW 2013, 1750; Bilsdorfer, NJW 2010, 1431, 1433).
Daraus, dass die Steuerhinterziehung ein Erfolgsdelikt ist, ergibt sich auch, dass das Strafgericht die hinterzogene Steuer im Urteil durch Gegenüberstellung von Ist-Steuer (aufgrund der entsprechenden Erklärung bzw. Nichterklärung des Täters festgesetzte respektive nicht festgesetzte Steuer) zur Soll-Steuer (gesetzlich geschuldete Steuer) darzustellen hat (BGH wistra 2009, 398).
Auch wenn Steuererklärungen teilweise eine eigenhändige Unterschrift erfordern, ist § 370 AO aber kein eigenhändiges Delikt (Bülte, NZWiSt 2015, 237, 239).
Nach h.M. geht § 370 AO dem Betrugstatbestand des § 263 StGB vor (LG Koblenz NZWiSt 2023, 350 m. Anm. Rolletschke). Allerdings wird auch die gegenteilige Rechtsauffassung vertreten, so erachtete im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften das OLG Frankfurt a.M. neben Steuerhinterziehung gewerbsmäßigen Bandenbetrug für einschlägig (OLG Frankfurt a.M. NZWiSt 2021, 229). Sofern aber keine Steuer verkürzt bzw. kein steuerlicher Vorteil erlangt wurde i.S.v. § 370 Abs. 1 AO, wie früher im Fall der unberechtigten Erlangung von Eigenheimzulagen, kommt nach unstrittiger Meinung nur § 263 StGB und nicht § 370 AO in Betracht (BGH wistra 2007, 388; wistra 2013, 270). Ungeklärt ist, nachdem in keinem der Kirchensteuergesetze der Länder nunmehr eine Hinterziehung von Kirchensteuer als nach § 370 AO strafbar bestimmt wird, ob § 263 StGB in Bezug auf Kirchensteuerhinterziehung greift (offengelassen BGH NStZ-RR 2021, 111; ablehnend Gehm, AO-StB 2021, 373).
§ 370 AO ist dabei nicht die einzige Regelung, die einen steuerlichen Straftatbestand beinhaltet; so kann die Nichtzahlung von Umsatzsteuer unter gewissen weiteren Voraussetzungen nach § 26c UStG eine Straftat darstellen oder § 121 EStG regelt die Strafbarkeit im Zusammenhang mit der Energiepauschale als Steuerhinterziehung und § 50e Abs. 6 EStG qualifiziert eine Steuerhinterziehung in eine bloße Steuerordnungswidrigkeit nach § 378 AO (leichtfertige Steuerverkürzung) um.
2. Objektiver Tatbestand
a) Tatobjekt
Tatobjekt der Steuerhinterziehung sind Steuern nach § 3 Abs. 1 AO, die durch Bundesrecht oder Recht der EU geregelt sind, sofern sie von Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden (§ 1 Abs. 1 AO).
Was steuerliche Nebenleistungen i.S.v. § 3 Abs. 4 AO anbelangt, so werden zumindest Zinsen nach § 233a AO, die auf Steuererstattungen entfallen, als erfasst betrachtet (BGH NJW 2007, 2864; a.A. Jäger, in: Klein, AO Komm., 17. Aufl. 2023, § 370 Rn 20).
Überdies wird durch § 1 Abs. 2 Nr. 7 AO der Anwendungsbereich des § 370 AO auf Realsteuern (Grund- und Gewerbesteuer – vgl. § 3 Abs. 2 AO) in der Verwaltung der Kommunen ausgedehnt. Für andere kommunale Abgaben enthalten die Kommunalabgabengesetze der Länder eigene Straftatbestände (Abgabenhinterziehung), die dem § 370 AO angenähert sind – vgl. etwa § 15 KAG Rheinland-Pfalz oder Art. 14 KAG Bayern (BGH NStZ 2016, 42; VGH Mannheim PStR 2024, 32 m. Anm. Gehm).
Tatobjekt kann nach § 370 Abs. 6 AO beispielsweise auch EU-ausländische Umsatzsteuer sein (Hörster, NWB 2010, 4260, 4267). Allerdings tendiert in diesen Fällen die Rechtsprechung zu einem Vorgehen nach §§ 154, 154a StPO (BGH NStZ 2010, 644).
Des Weiteren sind von § 370 Abs. 1 und Abs. 4 S. 2 AO Steuervorteile wie z.B. Stundung (§ 222 AO) oder Erlass (§ 227 AO) umfasst.
Durch Einzelgesetze wie z.B. § 96 Abs. 7 S. 1 EStG wird der Tatbestand des § 370 AO auf andere Tatobjekte – Altersvorsorgezulage – für entsprechend anwendbar erklärt.
b) Taterfolg
Der Tatbestand des § 370 AO setzt folgende zwei Arten des Taterfolges für eine vollendete Steuerhinterziehung voraus:
Eintritt einer Steuerverkürzung, wobei eine zeitliche Verkürzung genügt, wie etwa bei Umsatzsteuer-Voranmeldungen (§ 370 Abs. 1 Alt. 1 und Abs. 4 S. 1 AO). Hier ist nach h.M. auf die Vorstellung des Täters abzustellen. Wollte er etwa auch von vornherein die Umsatzsteuerjahreserklärung entsprechend falsch oder gar nicht abgeben, so ist bereits mit den Umsatzteuer-Voranmeldungen eine Steuerverkürzung auf Dauer zu bejahen (BGH NStZ 2009, 510). Zudem hat der BGH entschieden, dass bei der Lohnsteuer im Regelfall eine Hinterziehung auf Dauer vorliegt (BGH NJW 2011, 2526). Insofern wird der Anwendungsbereich für eine zeitliche Verkürzung von der Rechtsprechung immer enger gezogen. Allein die Nichtzahlung einer – festgesetzten – Steuer ist jedoch keine Verkürzung. Die Steuerhinterziehung ist mithin ein Erklärungsdelikt (BGH, Beschl. v. 22.7.2014 – 1 StR 189/14, NStZ-RR 2014, 310). Bei der zeitlichen Verkürzung wird der Taterfolg in Anlehnung an die steuerlichen Verzinsungsvorschriften (§§ 233 ff. AO) mit einem Zinsnachteil für den Fiskus bestimmt (Grötsch, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 370 Rn 135). Der objektive Tatbestand einer Hinterziehung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen kann bereits dann erfüllt sein, wenn der Steuerpflichtige durch unrichtige Angaben in der Jahressteuererklärung bewirkt, dass neben der Jahreseinkommensteuer für den vergangenen Veranlagungszeitraum auch die Einkommensteuer-Vorauszahlungen für einen nachfolgenden Veranlagungszeitraum (§ 37 Abs. 3 S. 2 EStG) vom Finanzamt nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (BFH BStBl II 1997, 600). Für den diesbezüglichen Vorsatz ist erforderlich, dass gegenüber dem Steuerpflichtigen regelmäßig Einkommensteuervorauszahlungen festgesetzt wurden und ihm bekannt ist, dass Einkünfte, die in der Einkommensteuererklärung für einen früheren Veranlagungszeitraum nicht angegeben werden, auch für die Festsetzung der Vorauszahlungen nicht berücksichtigt werden (BFH/NV 2022, 156). Des Weiteren liegt nach § 370 Abs. 4 S. 1 Hs. 2 AO auch eine Steuerverkürzung vor, wenn die Steuerfestsetzung vorläufig ist (§ 165 AO) oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) steht bzw. eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Letzteres ist bei den Steueranmeldungen wie der Umsatzsteuer der Fall (§§ 150 Abs. 1 S. 3, 168 1 AO i.V.m. § 18 Abs. 1 und Abs. 3 UStG).
Eintritt einer Steuervorteilserschleichung z.B. bei der Erschleichung einer Stundung nach § 222 AO. Dabei ist der nicht gerechtfertigte Steuervorteil erlangt, soweit er zu Unrecht gewährt oder belassen wird (§ 370 Abs. 1 Alt. 2 und Abs. 4 S. 2 AO). Auch die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO kann einen ungerechtfertigten Steuervorteil darstellen (BGH wistra 2009, 114; BGH NZWiSt 2024, 271 m. Anm. Gehm; Blesinger, wistra 2009, 294; Weidemann, wistra 2009, 354). Letzteres soll auch im Fall der Verlustfeststellung nach § 10d EStG gelten (BFH/NV 2014, 290; Gehm, NWB 2013, 2786). Der erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil aufgrund einer unrichtigen Feststellungserklärung bei der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung sowie die hierauf aufbauende unrichtige Einkommensteuererklärung mit der verbundenen Steuerverkürzung bilden eine Bewertungseinheit und somit eine einzige materiell-rechtliche wie auch prozessuale Tat (BGH wistra 2023, 340; BGH NZWiSt 2024, 271 m. Anm. Gehm). Eine Steuervergütung gemäß § 370 Abs. 4 S. 2 AO ist z.B. die Ziehung von Vorsteuer nach § 15 UStG oder das Auszahlen von Kindergeld nach § 31 S. 3 EStG (Jäger, in: Klein, AO Komm., 17. Aufl. 2023, § 370 Rn 120).
Der BGH hat entschieden, dass die vollendete Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO keine gelungene Täuschung des zuständigen Finanzbeamten voraussetzt. Vielmehr genüge es, dass die unrichtigen oder unvollständigen Angaben über steuererhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch Täuschung für die Steuerverkürzung oder die Erlangung des unrechtmäßigen steuerlichen Vorteils ursächlich würden. Der BGH führt wörtlich aus: „Darüber hinaus greift § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO selbst dann ein, wenn der zuständige Veranlagungsbeamte von allen für die Veranlagung bedeutsamen Tatsachen Kenntnis hat und zudem sämtliche Beweismittel (§ 90 AO) bekannt und verfügbar sind (…)“ (BGH wistra 2011, 186). Im entschiedenen Fall ging es um eine betrügerische Umsatzsteuerkette, wegen der die Steuerfahndung bereits Ermittlungen aufgenommen, aber aus ermittlungstaktischen Gründen noch nicht eingegriffen hatte. Der Täter vertrat letztlich die Ansicht, dass bei den unrichtigen Voranmeldungen nur eine versuchte Steuerhinterziehung vorliege, da der für die Umsatzbesteuerung zuständigen Finanzbehörde die Hintergründe bekannt waren bzw. bekannt gewesen wären, wenn die Steuerfahndung ihr Wissen rechtzeitig weitergeleitet hätte. Auch weist der BGH darauf hin, dass es keinen Rechtsanspruch des Täters gibt, dass die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen ihn einschreiten, um die Tatverwirklichung zu verhindern. Daher kann er bei der Strafzumessung aus entsprechenden Umständen keine Strafmilderung verlangen. Anders verhält es sich nur bei vorwerfbarem Fehlverhalten der Strafverfolgungsbehörden. Daraus, dass § 370 AO keine Täuschung voraussetzt, ergibt sich auch, dass der für die Steuerfestsetzung zuständige Finanzbeamte selbst eine Steuerhinterziehung begehen kann, wie dies etwa in der Vergangenheit bei fingierten Steuerfällen zwecks Abgreifens von Steuererstattungen mehrmals vorgekommen ist (BGH NJW 2007, 2864; NJW 2011, 1299; BFH BStBl II 2006, 356; Gehm, StW 2021, 150).
Im Zuge der Feststellung des Umfangs des Taterfolges hat, da die Steuerhinterziehung ein Blankett-Tatbestand ist, das erkennende Strafgericht die verkürzte deutsche Steuer selbst zu berechnen, denn hierbei handelt es sich um die Anwendung deutschen Rechts, was Sache des erkennenden Gericht ist. Dieses darf sich nicht auf die Feststellungen der Finanzverwaltung ungeprüft zurückziehen (BGH wistra 2014, 486; NStZ 2007, 595, 69; wistra 2010, 228; NStZ-RR 2010, 376; OLG Brandenburg wistra 2010, 197). Die Berechnung muss auch nachvollziehbar in den Urteilsgründen dargelegt sein (BGH, Beschl. v. 14.10.2020 – 1 StR 616/19). Hiergegen wird in der Praxis oftmals verstoßen, indem die unteren Gerichte vielfach den entsprechenden Steuerbeamten diesbezüglich als (sachverständigen) Zeugen vernehmen.
c) Kompensationsverbot
Das Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO behandelt die Frage, inwieweit Gegenrechnung bei der Bestimmung des Umfangs des Hinterziehungserfolgs möglich ist. In diesem Zusammenhang hat sich eine Kasuistik in der Rechtsprechung des BGH herausgebildet, die teilweise nicht widerspruchsfrei ist.
In folgenden Fällen greift das Kompensationsverbot:
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Vorsteuer aus Gemeinkosten, wenn Ausgangsumsätze wie auch Gemeinkosten verschwiegen wurden, denn die Vorsteuer auf die Gemeinkosten bezieht sich nicht auf dasselbe Wirtschaftsgut wie die ausgeführten und verschwiegenen Ausgangsumsätze, damit ist kein entsprechender unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den die Steuer auslösenden und den die Steuer ermäßigenden Umständen gegeben, der eine Ausnahme vom Kompensationsverbot zulassen würde (BGH NZWiSt 2023, 313 m. Anm. Gehm).
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Bei Betriebseinnahmen im Verhältnis zum vorzunehmenden Verlustrücktrag bzw. auch zum Verlustvortrag (strittig; a.A. FG Niedersachsen NZWiSt 2012, 478 mit Anm. Rolletschke).
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Vorlage von Scheinrechnungen zur Verschleierung von Schwarzlohnzahlungen und Schmiergeldzahlungen bzw. wenn Abdeckrechnungen verwandt werden, um Kosten über den tatsächlich angefallenen Betriebsausgaben geltend zu machen, insofern sind die tatsächlichen Betriebsausgaben vom Kompensationsverbot erfasst (BGH NStZ 2021, 295).
In folgenden Fällen greift das Kompensationsverbot nicht:
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Bei Betriebseinnahmen bzw. Einnahmen im Verhältnis zu den damit zusammenhängenden Betriebsausgaben und Werbungskosten (BGH NZWiSt 2024, 370 m. Anm. Bittmann).
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Im Verhältnis nicht erklärte Umsätze zu ebenfalls nicht geltend gemachten Vorsteuern, wenn ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz besteht, denn hiernach richtet sich auch das Recht zum Vorsteuerabzug (BGH DStR 2018, 2696; BGH, Beschl. v. 9.7.2020 – 1 StR 567/19; wistra 2020, 114; NStZ-RR 2019, 346; NStZ 2022, 52 bezüglich Einfuhrumsatzsteuer; Wenzel, NWB 2019, 879).
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Bei der Berechnung der verkürzten Einkommen- und Gewerbesteuer sind bisher nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge gewinnmindernd zu berücksichtigen, da dieser Vorteil dem Steuerpflichtigen als Arbeitgeber bei wahrheitsgemäßen Angaben ohne Weiteres von Rechts wegen zugestanden hätte (BGH NStZ 2021, 304).
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Bei der Ermittlung des durch die Einkommensteuerhinterziehung entstandenen Schadens ist die nachzuzahlende Umsatzsteuer bei nach §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 EStG bilanzierenden Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, die der Täter bei wahrheitsgemäßer Angabe zu entrichten gehabt hätte (BGH NStZ-RR 2024, 19).
Beim Eingreifen des Kompensationsverbots können allerdings die entsprechenden Beträge unter dem Gesichtspunkt der verschuldeten Auswirkung der Tat bei der Strafzumessung gemäß § 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigt werden (BGH NStZ-RR 2005, 209; wistra 2008, 153; NStZ 2021, 295; Bilsdorfer, NJW 2010, 1431, 1432). Ggf. kann sich auch die Frage stellen, wenn der Täter um die entsprechenden Steuerminderungen wusste, wieweit sein Hinterziehungsvorsatz reicht (BGH wistra 1991, 107).
d) Tathandlung und Täter
Für das klassische Steuerstrafverfahren sind vornehmlich die Tatbestandsvarianten nach § 370 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AO von Relevanz, wobei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ein aktives Tätigwerden und § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ein Unterlassen als Tathandlung beinhalten.
Insofern ist nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO sanktioniert, unrichtige oder unvollständige Angaben zu machen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO), eine gelungene Täuschung mit hervorgerufenem Irrtum ist jedoch im Unterschied zu § 263 StGB wie erwähnt nicht Voraussetzung (BGH NJW 2007, 2864). Diese Erklärungen müssen gegenüber der Finanzverwaltung oder sonstigen Behörden i.S.v. § 6 AO gemacht werden, wobei aber auch entsprechende Erklärungen vor dem FG genügen, wie sich aus § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB ergibt (OLG München NZWiSt 2013, 31 mit Anm. Rolletschke). Die Angaben können auch im Vollstreckungsverfahren erfolgen (BGH NStZ-RR 2012, 372).
Dabei müssen sich die Angaben auf steuererhebliche Tatsachen beziehen. Was steuererheblich ist, ergibt sich aus den Einzelsteuergesetzen.
Probleme ergeben sich insbesondere in diesem Zusammenhang bei abweichender Rechtsauffassung. D.h. wenn der Steuerpflichtige der ihm bekannten Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, wie sie in Verwaltungsanweisungen ihren Niederschlag gefunden hat, nicht folgt, so ändert dies nichts daran, dass der entsprechende Sachverhalt erst einmal steuererheblich ist.
Unerheblich ist, ob bei einer Steuerklärung die Unterschrift vergessen wurde, wenn ein entsprechender Steuerbescheid ergeht (BGH NZWiSt 2015, 263 m. Anm. Gehm).
Bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO handelt es sich um ein Jedermannsdelikt (Jäger, in: Klein, AO Komm., 17. Aufl. 2023, § 370 Rn 25a), hingegen ist § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ein Sonderdelikt, sodass hier nur derjenige Täter durch Unterlassen sein kann, den die entsprechenden steuerlichen Erklärungspflichten nach § 149 AO i.V.m. den Einzelsteuergesetzen wie z.B. § 56 EStDV oder § 18 UStG treffen und der mithin pflichtwidrig handelt. Bei juristischen Personen wie einer GmbH sind dies die Geschäftsführer, welche nach § 34 AO die steuerlichen Pflichten dieser zu erfüllen haben (Wendt/Elicker, wistra 2009, 329). Demnach kann grundsätzlich nicht ein Dritter Täter einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO sein, sondern nur Teilnehmer (BGH NZWiSt 2013, 311 mit Anm. Gehm; Madauß, NZWiSt 2016, 268; Wulf, Stbg 2014, 64, 70). Bei den Erklärungspflichten handelt es sich nach neuer Rechtsprechung des BGH um ein besonderes persönliches Merkmal i.S.v. § 28 StGB (BGH NStZ 2020, 493; NStZ-RR 2019, 347; NZWiSt 2020, 191 m. Anm. Höft).
Pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bedeutet somit eine Unterlassung in der Form, dass der Steuerpflichtige eine geeignete, erforderliche und ihm mögliche wie zumutbare Erklärungshandlung in Bezug auf steuererhebliche Tatsachen gegenüber der Finanzverwaltung nicht vornimmt, dabei sind nach § 150 Abs. 2 S. 1 AO wahrheitsgemäße Angaben in Steuererklärungen zu machen. Wenn dem Steuerpflichtigen im Nachhinein klar wird, dass er eine unrichtige Erklärung abgegeben hat, trifft ihn nach § 153 AO eine Berichtigungspflicht, kommt er dieser nicht nach, so greift § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO (BGH NStZ 2008, 411). Die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO besteht auch dann, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben bei Abgabe der Steuererklärung nicht kannte, aber billigend in Kauf genommen hat, und er später zu der sicheren Erkenntnis gelangt, dass die Angaben unrichtig sind (BGH wistra 2009, 312; Wessing/Biesgen, NJW 2010, 2689, 2691 ff.; Leipold/Beukelmann, NJW-Spezial 2009, 422; Weidemann, wistra 2010, 5; Bilsdorfer, NJW 2010, 1431; Klindt/Pelz/Theusinger, NJW 2010, 2385, 2390). Es sei auch darauf hingewiesen, dass ein Erbe über § 153 Abs. 1 S. 2 AO als Gesamtrechtsnachfolger gemäß § 45 AO zur Berichtigung von falschen Angaben des Erblassers verpflichtet ist und dieser Pflicht nachkommen muss, wenn er sich nicht nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO einer Steuerhinterziehung schuldig machen will (BFH BStBl II 2018, 223; Steinhauff, NWB 2018, 774). Ebenso trifft die Berichtigungspflicht über § 153 Abs. 1 S. 2 AO gesetzliche Vertreter i.S.v. § 34 AO und Verfügungsbefugte gemäß § 35 AO (Müller, StBp 2005, 195, 196; Müller, StBp 2005, 298). Dies gilt gerade für Insolvenzverwalter auch für Zeiträume vor der Insolvenzeröffnung (Gehm, NWB Sanieren und Restrukturieren 2024, 15).
Mangels eigener Berichtigungspflicht nach § 153 AO kann sich ein Steuerberater insofern keiner Steuerhinterziehung schuldig machen bei versehentlich falschen Angaben – eine Strafbarkeit ist auch nicht über § 13 StGB gegeben (Harms, Stbg 2005, 12, 13; Müller, StBp 2005, 195; El Mourabit, NWB 2016, 3407). Auch die elektronische Datenübermittlung durch Dritte gemäß § 93c AO sowie die Fiktion nach § 150 Abs. 7 2 AO ändert nichts an einer Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO (Rolletschke, NZWiSt 2018, 185). Die Finanzbehörden können zudem ungeachtet anderweitig erlangter Kenntnisse gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Unkenntnis gelassen werden (LG Aurich NZWiSt 2018, 190 mit Anm. Krug). Weiter ist im Hinblick auf § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu beachten, dass hinsichtlich der Frage des Eintritts des Taterfolgs kein hypothetisches Verhalten Dritter eine Rolle spielt bzw. Beachtung findet (BGH NStZ 2011, 643).
Da bei § 370 AO keine eigene Bereicherungsabsicht erforderlich ist, kann sich – bis auf die Fälle des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO – auch ein Steuerberater oder Bankmitarbeiter der (Mit-)Täterschaft schuldig machen. Hier gewinnt auch die Problematik der berufstypischen Handlungen und Beihilfe zur Steuerhinterziehung an Bedeutung (BGH wistra 2003, 385; wistra 2001, 215; 2000, 340; 1999, 459; Harms, Stbg 2005, 12, 16 ff; Wenzel, NWB 2012, 905).
Weil es sich bei der Steuerhinterziehung um ein Erklärungsdelikt handelt, ist auf den Inhalt der relevanten Erklärung abzustellen. Ein Ehegatte, der lediglich bei der Zusammenveranlagung die gemeinsame Einkommensteuererklärung mitunterschreibt, wird allein deshalb noch nicht zum Beteiligten an der Steuerhinterziehung seines Ehepartners, der bezüglich seiner Einkünfte falsche Angaben macht, denn der Inhalt seiner Erklärung bezieht sich lediglich darauf, dass die Voraussetzungen für die Zusammenveranlagung nach §§ 26, 26b EStG erfüllt sind (BFH BStBl II 2002, 501; BFH, Beschl. v. 30.3.2005 – IV B 161/03). Auch ein Eigeninteresse des mitunterzeichnenden Ehegatten an der Steuerhinterziehung macht ihn allein noch nicht zum Mittäter oder Teilnehmer (OLG Karlsruhe NJW 2008, 162; FG München EFG 2019, 1731; BGH NStZ 2009, 157; BFH/NV 2008, 1158; BFH BStBl II 2002, 501; BFH/NV 2010, 2239; BFH/NV 2020, 698; VGH München NJW 2012, 2293). Er ist weiterhin nicht über § 153 AO zur Berichtigung falscher Angaben, die der andere Ehegatte hinsichtlich seines Einkommens gemacht hat, verpflichtet (Müller, StBp 2005, 195, 196). Anders verhält es sich, wenn der eine Ehegatte mit der Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten des anderen betraut ist, z.B. wenn er dessen Buchhaltung führt (FG Münster EFG 2006, 1799).
Schließlich ist nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO das pflichtwidrige Unterlassen der Verwendung von Steuerzeichen/-stemplern strafbar, dabei handelt es sich um ein Sonderdelikt, das im Hinblick auf § 17 TabStG Relevanz hat (Jäger, in: Klein, AO Komm., 17. Aufl. 2023, § 370 Rn 75ff).
e) Subjektiver Tatbestand
Bei § 370 AO ist Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz genügt. Allerdings muss der Täter die genaue Höhe der hinterzogenen Steuer oder die Art der Steuer nicht erfasst haben. Es genügt in diesem Zusammenhang, dass der Steuerpflichtige im Zuge einer Parallelwertung in der Laiensphäre sich des sozialen Sinngehalts seines Verhaltens bewusst war. Damit ist es ausreichend, wenn der Täter es für möglich hält, dass der Steuergläubiger die ihm zustehenden Steuern nicht rechtzeitig, nicht in voller Höhe oder überhaupt nicht festsetzt bzw. dass er einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil erlangt und er diese Möglichkeit billigt oder sie zumindest billigend in Kauf nimmt (Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 2017, 77 ff.). Auch ein „bewusstes Wegsehen“ stellt dolus eventualis dar (BFH/NV 2009, 1783). Unterlässt der Steuerpflichtige es, eine diesbezüglich ausdrücklich in dem Steuererklärungsformular gestellte Frage wahrheitsgemäß zu beantworten, so handelt er zumindest mit bedingtem Vorsatz (FG Düsseldorf EFG 2007, 1485). Eine Absicht ist mithin bei der Steuerhinterziehung nicht erforderlich (Wulf, Stbg 2014, 64f.).
Ein den Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB liegt vor, wenn der Steuerpflichtige aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erkennt, dass seine Angaben unrichtig oder unvollständig sind oder ein Verkürzungserfolg bzw. ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil eintreten kann. Hat der Steuerpflichtige dagegen das Bewusstsein der steuerlichen Relevanz eines Sachverhalts oder ist davon auszugehen, dass er dieses Bewusstsein aufgrund seiner individuellen Fähigkeiten und Vorbildungen entwickeln konnte, ist der Tatbestandsirrtum zu verneinen. In Zweifelsfällen hat nämlich ein nicht beratener Steuerpflichtiger entsprechenden fachkundigen Rat einzuholen. Wird diese Verpflichtung hartnäckig missachtet, soll auch eine der Steuerpflicht entgegenstehende irrige Rechtsüberzeugung den Vorsatz nicht ausschließen (FG München EFG 2007, 161). Der BFH geht allerdings davon aus, dass kein bedingter Vorsatz beim Steuerpflichtigen anzunehmen ist, wenn er einen Steuerberater beauftragt hatte und davon ausging, dass insofern alles ordnungsgemäß erklärt würde (BFH/NV 2012, 1455).
Der BGH hat zudem entschieden, dass der Vorsatz bei Hinterziehung von Umsatzsteuer nicht entfällt, wenn der Täter von einem anderen Tatbeteiligen darüber getäuscht wurde, dass trotz unrichtiger Umsatzsteuererklärungen dem Fiskus kein Schaden entstünde, weil die Umsatzsteuer auf anderem Wege beglichen werde. Dies sei nur bei der Strafzumessung strafmildernd zu berücksichtigen (BGH, Beschl. v. 14.1.2020 – 1 StR 446/19).
In der Praxis wird, wenn der Vorsatz nicht nachweisbar ist, schnell auf § 378 AO zurückgegriffen, dieser Bußgeldtatbestand erfordert jedoch leichtfertiges Handeln, wofür einfache Fahrlässigkeit nicht ausreichend ist (Gehm, KP 2016, 170).
f) Regelbeispiele nach § 370 Abs. 3 AO
§ 370 Abs. 3 AO enthält Regelbeispiele mit einem erhöhten Strafrahmen. Sofern die Merkmale eines Regelbeispiels nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1–6 AO erfüllt sind, gilt regelmäßig auch der höhere Strafrahmen (BGH NStZ 2012, 162).
Von besonderer Praxisrelevanz ist § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO, wobei Steuern in großem Ausmaß ab einem Volumen von über 50.000 EUR pro Tat im materiellen Sinn hinterzogen sind (BGH NJW 2016, 965).
Selbstanzeige nach § 371 AO sowie das Absehen von der Strafverfolgung gemäß § 398a AO
Bei der Selbstanzeige gemäß § 371 AO handelt es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund bei begangener Steuerhinterziehung (Kemper, ZRP 2008, 105). Mit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28.4.2011 (BGBl I 2011, S. 676) wurde dieses Instrumentarium quasi gesplittet, insoweit neben § 371 AO die Regelung des § 398a AO hinzutrat (Gehm, JURA 2012, 531).
Bei § 398a AO handelt es sich im Unterschied zur klassischen Selbstanzeige um eine Einstellung gegen Auflage, die § 153a StPO nachempfunden ist (BT-Plenarprotokoll 17/96, S. 10954, 10959; BT-Drucks 17/5067, S. 22; Roth, NZWiSt 2012, 23, 24).
Durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014 (BGBl I, S. 2415) wurde § 398a AO verändert, insbesondere besteht nunmehr ein gestaffelter Tarif für den Zuschlag (entspricht der Auflagenzahlung nach § 153a StPO) je nach Verkürzungsvolumen – 10 bis 20 % (§ 398a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO). Insofern ist beispielsweise nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO bei einem Hinterziehungsvolumen über 25.000 EUR, wobei sich diese Grenze nach Steuerart und Veranlagungszeitraum bestimmt, eine Selbstanzeige ausgeschlossen und nur noch eine Einstellung nach § 398a AO möglich. Dabei handelt es sich um eine Art Freigrenze; ist der Betrag von 25.000 EUR überschritten, greift § 398a AO ab dem ersten Cent (Hunsmann, NJW 2011, 1482). Nach strittiger Meinung ist auf den Nominalbetrag der Hinterziehung und nicht auf den für die Strafzumessung zugrunde zu legenden Steuerschaden abzustellen (AG Stuttgart PStR 2013, 310 m. Anm. Roth).
Beispiel 1
A hat seine Einkommensteuer 2001–2005 in noch nicht strafrechtlich verjährter Zeit hinterzogen. Dabei beträgt das Verkürzungsvolumen in den Jahren 2001–2004 je 20.000 EUR und in 2005 70.000 EUR.
Lösung: Der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO greift nur im Jahr 2005, denn die Höhe des Hinterziehungsbetrages von 25.000 EUR ist auf den jeweiligen Veranlagungszeitraum bezogen.
Zusätzlich ist zu beachten, dass § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO i.V.m. § 398a AO keine Hinterziehung zu eigenen Gunsten erfordert. D.h., zwar muss gemäß § 398a AO für die Erlangung der Einstellung in diesem Fall die hinterzogene Steuer nicht nachentrichtet, wohl aber der Zuschlag an die Staatskasse gezahlt werden. Die Zinsen nach §§ 235, 233a AO bzw. Art. 114 UZK i.V.m. § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO sind aber nicht in diesem Fall nachzuentrichten (Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, 2015, Rn 457, 553).
Beispiel 2
Steuerberater A hat zugunsten seines Mandanten Einkommensteuer 2001 in Höhe von 100.000 EUR hinterzogen.
Lösung: Um eine Einstellung des Verfahrens gegen sich selbst zu erlangen, müsste er nach erfolgter Anzeige des Sachverhalts zwar nicht die verkürzten Steuern in Höhe von 100.000 EUR und die Zinsen nach §§ 235, 233a AO, wohl aber den Zuschlag von 10.000 EUR gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO entrichten.
Die Selbstanzeige ist ein sehr komplexes Instrumentarium, weshalb im Zuge eines Kurzüberblicks nur einige Eckpunkte dargestellt werden können.
Grundsätzlich ist nach § 371 Abs. 1 AO die Teilselbstanzeige nicht möglich, d.h. es kann nicht eine Salamitaktik derart gefahren werden, dass man nur das offenbart, von dem man befürchtet, dass die Finanzverwaltung selbst darauf stoßen könnte. Eine unwirksame Teilselbstanzeige liegt aber nur vor, wenn strafrechtlich noch nicht verjährte Hinterziehungen mindestens aber der letzten zehn Jahre (Mindestberichtigungsverbund) nicht aufgedeckt werden. Zusätzlich ist nach Steuerarten differenziert die Wirksamkeit der Selbstanzeige zu prüfen (sogenannte „Spartenlebensbeichte“). Eine unwirksame Teilselbstanzeige liegt überdies nur vor bei bewusstem (weiterem) Verschweigen – dolose Teilselbstanzeige (BT-Drucks 17/5067, S. 22; Hunsmann, NJW 2011, 1482).
§ 371 Abs. 2 AO enthält Ausschlussgründe für die Selbstanzeige. Wichtige Ausschlussgründe sind in diesem Zusammenhang neben dem bereits benannten § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO, dass eine Prüfungsanordnung nach § 196 AO bekannt gegeben wurde, wobei sich die Sperrwirkung für die Selbstanzeige dann auf den sachlichen und zeitlichen Umfang dieser Anordnung beschränkt, also welche Steuerarten und Besteuerungszeiträume hiernach geprüft werden sollen (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. a und 2 AO). Des Weiteren ist die Selbstanzeige ausgeschlossen, wenn die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben wurde (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. b), wobei es ausreicht, dass wegen einer entsprechenden noch nicht verfolgungsverjährten Tat eingeleitet wurde, dann bezieht sich die Sperrwirkung auf alle unverjährten Straftaten dieser Art (Jäger, in: Klein, AO Komm., 17. Aufl. 2023, § 371 Rn 151; Hunsmann, NJW 2011, 1482).
Nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO ist die Selbstanzeige ausgeschlossen, wenn die Tat bereits entdeckt ist und dies der Täter wusste bzw. wissen musste. Bei diesem Ausschlussgrund ist es ausreichend, dass eine unverjährte Tat entdeckt war, dabei ist bei den Kapitalanlegerfällen die Tat (regelmäßig) nicht bereits mit dem Bekanntwerden eines ausländischen Kontos entdeckt, sondern erst nach dem erfolgten Abgleich mit der individuellen Steuerakte (Hunsmann, NJW 2011, 1482; Külz/Tottmann, NWB 2012, 3299). Nach Verwaltungsmeinung muss nicht nur ein Tatverdacht vorliegen, sondern der Entdecker muss zumindest Teile des verwirklichten Tatgeschehens oder Taterfolges selbst unmittelbar wahrgenommen haben. Dies bezieht sich auch auf den subjektiven Tatbestand, sodass die Wahrnehmung als Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO nicht ausreicht (S. 6.3 Abs. 3 DA-KG; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, 2015, Rn 309 ff.).
Scheitert eine Selbstanzeige an einem Ausschlussgrund, so wirkt sie sich regelmäßig noch strafmildernd gemäß § 46 Abs. 2 StGB – Nachtatverhalten – aus (Müller/Fischer, PStR 2015, 200, 202).
Beispiel 3
Für die Jahre 2001–2005 hat A Einkommensteuer hinterzogen. Alle Taten sind noch nicht strafverfolgungsverjährt. Aufgrund Kontrollmaterials geht die Finanzverwaltung davon aus, dass eine Steuerhinterziehung im Jahr 2001 gegeben ist.
Lösung: Der A wird entsprechend hiermit konfrontiert. Die Tat ist im Hinblick auf 2001 entdeckt, was A auch bewusst ist. Dies genügt, um auch für die Jahre 2002–2005 einen Ausschluss für die Erstattung einer strafbefreienden Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO herbeizuführen (Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, 2015, Rn 335).
Variante zu Beispiel 3
Die Steuerhinterziehung 2001 betreffend ist bereits strafrechtlich verjährt.
Lösung: Da sich die Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO nur auf strafrechtlich unverjährte Taten beziehen – wie sich m.E. aus einer Gesamtschau mit § 371 Abs. 1 und § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. a–c AO ergibt – kann A noch für 2002–2005 eine wirksame Selbstanzeige abgeben. Anders ist es natürlich, wenn sich zwangsläufig aus dem Geschehensablauf ergibt, dass auch die Taten 2002–2005 entdeckt sein müssen.
Ist die Steuerverkürzung bereits eingetreten, so hängt die Wirksamkeit der Selbstanzeige in dem Fall, dass die Steuern zu eigenen Gunsten hinterzogen wurden, davon ab, dass die Steuer nachentrichtet wird und Zinsen nach § 235, 233a AO bzw. Art. 114 UZK entrichtet werden (§ 371 Abs. 3 AO).
Zur Verdeutlichung der Regelung der Selbstanzeige sollen folgende Beispielsfälle dienen.
Beispiel 4
A hat in den Jahren 2001–2005 Einkommensteuer in Höhe von je 15.000 EUR hinterzogen. Ebenso hat er in den Jahren 2001–2005 Umsatzsteuer in Höhe von je 5.000 EUR hinterzogen. Es soll unterstellt werden, dass die entsprechenden nacherklärten Verkürzungsbeträge fristgerecht nachentrichtet werden und dass alle Taten im Zehnjahreszeitraum des § 371 Abs. 1 S. 2 AO liegen. Der Fall hat sich nach dem 31.12.2014 ereignet. Da bei keinem Veranlagungsjahr bzw. Steuerjahr die Grenze je Steuerart betrachtet von 25.000 EUR überschritten ist, greift die Einschränkung des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 i.V.m. § 398a AO nicht.
A erklärt nun wie folgt nach:
a) Korrekt die Einkommensteuer 2001–2005 sowie die Umsatzsteuer 2001–2005. Dabei waren sowohl die Steuerstraftaten hinsichtlich der Einkommensteuer 2001 wie der Umsatzsteuer 2001 strafverfolgungsverjährt.
b) Korrekt die Einkommensteuer 2001–2005.
c) Korrekt die Einkommensteuer 2002–2005. Die unterlassene Richtigstellung bezüglich 2001 erfolgte absichtlich. Die Umsatzsteuer 2001-2005 erklärt er korrekt nach.
d) Bei der Einkommensteuer erklärt A nur mit einer Berichtigungswirkung von je 10.000 EUR für 2001–2005 nach. Dies war ihm auch bewusst. Bei der Umsatzsteuer erklärt er für 2001–2005 wiederum korrekt nach.
e) Wie Fall d), jedoch stellte er aufgrund einer unzutreffenden Kapitaleinkünfteaufstellung seiner Bank seine Einkunftsverhältnisse im Zuge der Selbstanzeige nicht zutreffend dar.
f) Im Fall d) rührt die nur teilweise Offenbarung seiner Einkunftsverhältnisse im Zuge einer Selbstanzeige daher, dass A nur seine Kapitaleinkünfte korrekt nacherklärte, nicht jedoch seine Schwarzeinkünfte aus Gewerbebetrieb offenbarte. Insofern taktiert A also.
Lösung:
a) Da alle noch nicht strafverfolgungsverjährten Zeiträume – je Steuerart betrachtet (Spartenlebensbeichte) –, mindestens aber der letzten zehn Jahre offengelegt werden müssen, um Straffreiheit zu erlangen, hat A sowohl im Hinblick auf die Einkommensteuer als auch im Hinblick auf die Umsatzsteuer eine wirksame Selbstanzeige abgegeben. Dass die Taten das Jahr 2001 betreffend strafverfolgungsverjährt waren, ist wegen des Mindestberichtigungsverbundes von zehn Jahren nach § 371 Abs. 1 S. 2 AO unerheblich, auch diese Taten muss A offenlegen, um Straffreiheit zu erlangen.
b) Weil nach Steuerarten zu differenzieren ist, erlangt A im Hinblick auf die Einkommensteuer Straffreiheit, nicht jedoch im Hinblick auf die Umsatzsteuer. Insofern ist im Zuge einer Spartenlebensbeichte also eine Teilselbstanzeige möglich.
c) Da sich aus dem Gesetzestext klar ergibt, dass alle unverjährten Hinterziehungen einer Steuerart mindestens aber der letzten zehn Kalenderjahre offenbart werden müssen, hat A in Bezug auf die Hinterziehung der Einkommensteuer 2001–2005 keine umfassende Selbstanzeige abgegeben. A handelte insoweit auch absichtlich, sodass eine dolose unwirksame Teilselbstanzeige hinsichtlich der Jahre 2002–2005 bei der Einkommensteuer vorliegt (Rolletschke, NZWiSt 2015, 97). Für die Umsatzsteuer 2001–2005 erlangt er aber Straffreiheit.
d) Hinsichtlich der Umsatzsteuer erlangt A Straffreiheit, nicht jedoch bezüglich der Einkommensteuer, da insofern eine unwirksame dolose Teilselbstanzeige vorliegt.
e) Weil nur die dolose – also die absichtliche – Teilselbstanzeige gänzlich unwirksam ist, liegt hier eine ausnahmsweise teilweise wirksame Selbstanzeige vor. D.h. in Höhe der jeweils nacherklärten 10.000 EUR erzielt A bei der Einkommensteuer Straffreiheit. Da auch keine Bagatellabweichung vorliegt (BT-Plenarprotokoll 17/96, 10953), die nach Ansicht des BGH ggf. bei bis zu 5 % (BGH wistra 2011, 428; Geuenich, NWB 2011, 4024) noch angenommen werden kann, wird man m.E. davon auszugehen haben, dass insoweit noch keine Straffreiheit gegeben ist. Ggf. wird A aber seine Selbstanzeige nachbessern können.
f) Da es nur eine Hinterziehung von Einkommensteuer, aber nicht eine Hinterziehung von Einkunftsarten nach der Rechtsprechung des BGH gibt – BGH NStZ-RR 2009, 340 –, liegt eine unwirksame Teilselbstanzeige hinsichtlich der Jahre 2001–2005 bei der Einkommensteuer vor.
Konkurrenzverhältnis
Der BGH geht seit einigen Jahren davon aus, dass auch dann, wenn die Abgabe von Steuererklärungen im äußeren Vorgang zusammenfällt – Abgabe in einem Briefumschlag beim Finanzamt –, im Grundsatz mehrere Taten (§ 53 StGB) vorliegen, anders ist dies nur bei Zuschlagsteuern wie dem Solidaritätszuschlag im Hinblick auf Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer. Hier liegt zwischen der Hinterziehung von Haupt- und Zuschlagsteuer Tateinheit vor (BGH NZWiSt 2019, 28 m. Anm. Gehm; NZWiSt 2020, 109 m. Anm. Gehm).
Bei der Hinterziehung von Einkommensteuer liegt hinsichtlich eines Veranlagungszeitraums materiellrechtlich und somit prozessual eine einheitliche Tat vor, daran ändert sich auch nichts, wenn im Rahmen der Steuerverkürzung verschiedene Einkunftsarten betroffen sind (BGH NStZ-RR 2009, 340).
Hinsichtlich der Umsatzsteuerhinterziehung bilden die Umsatzsteuervoranmeldungen eines Jahres und die anschließende Umsatzsteuerjahreserklärung des nämlichen Jahres eine einheitliche Tat i.S.d. § 264 StPO (Bilsdorfer, NJW 2006, 657, 658, 661; BGH wistra 2013, 430). Der BGH sieht aber in den Voranmeldungen mitbestrafte Vortaten (BGH wistra 2018, 43; wistra 2019, 203; wistra 2019, 458).
Verjährung
Nach § 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB beträgt die Verfolgungsverjährung bei Steuerhinterziehung grundsätzlich gemäß § 370 AO fünf Jahre, in den Fällen des § 370 Abs. 3 S. 2 Nrn. 1–6 AO beträgt aber die Strafverfolgungsverjährung nach § 376 Abs. 1 AO 15 Jahre. § 376 Abs. 3 AO bestimmt zudem, dass die absolute Verjährung in den Fällen des § 370 Abs. 3 S. 2 Nrn. 1–6 AO das Zweieinhalbfache der Verjährungsfrist beträgt, somit kann die Verjährung dann insgesamt maximal 37,5 Jahre betragen.
Die Verfolgungsverjährung beginnt (grundsätzlich) mit Beendigung der Tat bzw. Eintritt des Taterfolgs (§ 78a StGB). Der Beendigung der Steuerhinterziehung steht nicht entgegen, dass ein Steuerbescheid vorläufig (§ 165 AO) oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) ergangen ist, vgl. § 370 Abs. 4 S. 1 AO. Im Fall der Hinterziehung durch Handeln ist die Tat mit Bekanntgabe des (ersten) unrichtigen Steuerbescheides beendet. Für die Lohn- bzw. Umsatzsteuer gelten hier unter Beachtung von §§ 167, 168 AO Besonderheiten. Deshalb kann auch schon bei Eingang der Anmeldungen beim Finanzamt die Tat vollendet sein. Materielle Beendigung tritt allerdings bei der Umsatzsteuer erst im Zusammenhang mit der Umsatzsteuerjahreserklärung ein (BGH NJW 2009, 1979). Bei der Lohnsteuer fallen Vollendung und Beendigung zusammen. Für den Fall der Hinterziehung durch Unterlassen (z.B. Nichtabgabe der Steuererklärung) ist auf die Vollendung der Tat abzustellen. Im Fall der Umsatzsteuer (Anmeldungsverfahren) wird nach h.M. hinsichtlich der Tatvollendung darauf abgestellt, ob die Abgabefrist verstrichen ist, bei den Voranmeldungen auf die sich jeweils aus § 18 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 UStG ergebende Abgabefrist (BGH BFH/NV 2009, 698). Allerdings gilt wiederum die Besonderheit, dass die Tat bei den Voranmeldungen letztlich erst als beendet angesehen wird, wenn die Abgabe zur Umsatzsteuerjahreserklärung verstrichen ist. Bei der Einkommensteuer (Veranlagungsteuer) ist darauf abzustellen, wann im jeweiligen Finanzamt im Großen und Ganzen (90 bis 95 %) die Veranlagung für das entsprechende Jahr abgeschlossen ist, wobei der Grundsatz in dubio pro reo gilt (BGH wistra 2012, 484).