Zum Tötungsvorsatz beim verbotenen Alleinrennen.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Revision der StA wegen fehlender Mordverurteilung
Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die unterbliebene Verurteilung wegen Mordes und versuchten Mordes wendet. Der BGH hat die Revision als zulässig angesehen (vgl. dazu StRR 7/2024, 16, in dieser Ausgabe), dann aber als unbegründet zurückgewiesen.
Tatsächliche Feststellungen
Nach den Feststellungen des LG war der Angeklagte am 7.7.2022 gegen 23:18 Uhr mit einem hochmotorisierten Fahrzeug durch die Innenstadt von Worms gefahren. Um die Schnelligkeit des Fahrzeugs durch das Erreichen der situativ höchstmöglichen Geschwindigkeit auszutesten, beschleunigte er es unter Missachtung der geltenden Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h auf dem vor ihm liegenden Straßenabschnitt auf bis zu 123 km/h. Währenddessen begaben sich zwei Fußgänger unter Missachtung des für sie geltenden Rotlichts einer Fußgängerampel auf die Fahrspur, um diese zu überqueren. Trotz einer von dem Angeklagten noch eingeleiteten Vollbremsung kam es zu einer tödlichen Kollision mit einem der beiden Passanten. Der andere Geschädigte, der kurz vor der Kollision „zurückgezuckt“ war, wurde nicht von dem Fahrzeug erfasst. Bei seinem Fahrmanöver nahm der Angeklagte die Gefahr einer tödlichen Kollision billigend in Kauf, er vertraute aber darauf, dass sich Fußgänger im letzten Moment aus dem Gefahrenbereich würden retten können oder er selbst noch rechtzeitig würde ausweichen können, sodass sich die Gefahr nicht in einer tatsächlichen Kollision realisieren würde.
II. Entscheidung
Die Annahme des LG, der Angeklagte habe mit bedingtem Gefährdungsvorsatz i.S.d. § 315d Abs. 2 und Abs. 5 StGB, aber nicht mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Bedingter Tötungsvorsatz
Bedingter Tötungsvorsatz sei gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement) (vgl. BGH, Urt. v. 16.2.2023 – 4 StR 211/22; v. 18.6.2020 – 4 StR 482/19, BGHSt 65, 42, 49 f.; v. 1.3.2018 – 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88, 93). Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen.
Beweiswürdigung nicht zu beanstanden
An der vom LG vorgenommenen Beweiswürdigung (§ 261 StPO), die das Revisionsgericht auch dann hinzunehmen habe, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urt. v. 7.9.2022 – 6 StR 52/22; Urt. v. 16.8.2012 – 3 StR 237/12, NStZ-RR 2012, 369, 370), sei von Rechts wegen nichts zu beanstanden. Das LG habe alle maßgeblichen vorsatzrelevanten objektiven und subjektiven Tatumstände in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt und ist auf dieser Grundlage nachvollziehbar und widerspruchsfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das voluntative Vorsatzelement nicht zweifelsfrei festgestellt werden könne.
Außergewöhnliche Gefährlichkeit des Fahrverhaltens
Das LG habe als ein (auch) auf das voluntative Vorsatzelement hindeutendes Indiz die außergewöhnliche Gefährlichkeit des Fahrverhaltens des Angeklagten gewertet, der die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als das Doppelte überschritten habe. Es habe bedacht, dass dieses Fahrverhalten angesichts der Dunkelheit eine besondere Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer, insbesondere für Fußgänger begründete. Demgegenüber habe das LG weder in der Persönlichkeit noch in seiner Motivation Gesichtspunkte festzustellen vermocht, die für das voluntative Vorsatzelement sprechen könnten. Die äußeren Tatumstände ließen darauf schließen, dass der Angeklagte das Beschleunigungs- und Fahrverhalten des ihm nur kurzzeitig verfügbaren Fahrzeugs habe austesten wollen. Angesichts seiner Ausbildung als Kraftfahrzeug-Mechatroniker und seiner Fahrerfahrung liege die Annahme nicht fern, dass er sich – in Selbstüberschätzung – für fähig gehalten habe, etwaige kritische Situationen im letzten Moment noch zu beherrschen, was ausweislich des unfallanalytischen Gutachtens auch nicht ohne tatsächliche Grundlage gewesen sei. Als gegen das Vorliegen des voluntativen Vorsatzelements sprechende Beweisanzeichen habe das LG insbesondere berücksichtigt, dass – wovon es sich auf der Grundlage der Ausführungen des verkehrstechnischen Sachverständigen überzeugt habe – eine Kollision bei zutreffender Geschwindigkeitsabschätzung durch die beiden Fußgänger ohne Weiteres hätte vermieden werden können; die Einlassung des Angeklagten, darauf vertraut zu haben, dass sein Fahrzeug angesichts der gerade verlaufenden Fahrtstrecke rechtzeitig optisch und aufgrund der gefahrenen Geschwindigkeit auch akustisch für Fußgänger „gut wahrnehmbar“ gewesen sei, und sein Vertrauen darauf, dass die Fußgänger sich im letzten Moment aus dem Gefahrenbereich würden retten können, sei daher nicht lebensfremd, wie auch die Reaktion des Geschädigten D zeige. Weiterhin hat das LG in dem Umstand, dass der ortskundige Angeklagte sich auf einer gerade und eben verlaufenden, gut ausgeleuchteten Fahrtstrecke ohne Querverkehr bei für ihn Grünlicht zeigendem Ampelsignal zu dem Alleinrennen entschlossen habe, ein Indiz dafür gesehen, dass er zwar den Eintritt einer Gefahr, nicht aber eine Kollision mit tödlichem Erfolg gebilligt habe.
Eigengefahr
Zudem habe das Schwurgericht die vom Angeklagten erkannte Eigengefahr als gegen einen Tötungsvorsatz sprechenden Umstand gewertet. Das LG habe ferner zu Recht das der Vermeidung einer Kollision dienende Verhalten des Angeklagten nach Erkennen der Gefahr des Zusammenstoßes (Bremsung und Ausweichbewegung) als ein vorsatzkritisches Indiz angesehen.
Spannungsverhältnis zu § 315c Abs. 1 StGB gesehen
Die Beweiserwägungen, mit denen das Landgericht das voluntative Element eines bedingten Tötungsvorsatzes verneint habe, stehen nach Auffassung des BGH auch nicht in einem Spannungsverhältnis zu den – auch ihrerseits rechtsfehlerfreien – Erwägungen, mit denen das Schwurgericht einen auf die Herbeiführung eines Beinaheunfalls i.S.v. §§ 315c Abs. 1, 315d Abs. 2 und 5 StGB gerichteten Gefährdungsvorsatz des Angeklagten bejaht hat (vgl. zum Verhältnis von Tötungs- und Gefährdungsvorsatz BGH, Urt. v. 18.8.2022 – 4 StR 377/21 und. v. 31.1.2019 – 4 StR 432/18 m.w.N.). Der vom LG insoweit aus dem festgestellten äußeren Tatgeschehen – insbesondere der hochgefährlichen Fahrweise des mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten Angeklagten – gezogene Schluss, dass er „den Reiz des Gefährlichen“ gesucht und im Zeitpunkt des Tatentschlusses den Eintritt einer kritischen Situation billigend in Kauf genommen habe, in der ein Schaden (insbesondere durch sein vorgestelltes eigenes fahrerisches Können) erst im letzten Moment würde abgewendet werden können, sei möglich und deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 30.3.2023 – 4 StR 234/22 m.w.N.).
III. Bedeutung für die Praxis
Ständige Rechtsprechung des BGH
Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des BGH zu Beweiswürdigungsfragen und zur Frage des Tötungsvorsatzes beim verbotenen Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB), hier in der Form des Alleinrennens (vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 18.6.2020 – 4 StR 482/19 und. Urt. v. 1.3.2018 – 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88, 91).