Zur Zueignung i.S.d. § 246 Abs. 1 StGB.
(Leitsatz des Gerichts)
I. Sachverhalt
Sicherungsübereigneter Tieflader
Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Unterschlagung eines sicherungsübereigneten Tiefladers verurteilt. Diesbezüglich war seine Revision erfolgreich.
II. Entscheidung
Manifestation des Zueignungswillens genügt nicht
Der Angeklagte habe sich den im Eigentum der T-AG stehenden Tieflader nicht zugeeignet. Eine Zueignung i.S.d. § 246 Abs. 1 StGB setze nach der von der bisherigen Rechtsprechung abweichenden Auffassung des Senats voraus, dass der Täter sich die Sache oder den in ihr verkörperten wirtschaftlichen Wert wenigstens vorübergehend in sein Vermögen einverleibt und den Eigentümer auf Dauer von der Nutzung ausschließt (im Ausgangspunkt ebenso BGHSt 24, 115, 119). Eine bloße Manifestation des Zueignungswillens genüge nicht, könne aber ein gewichtiges Beweisanzeichen für den subjektiven Tatbestand sein.
Auslegung
Gestützt werde dieses Verständnis durch den Wortlaut des § 246 StGB, wonach derjenige eine Unterschlagung begeht, der sich oder einem Dritten eine Sache rechtswidrig zueignet. Mit dieser Formulierung schreibe der Gesetzgeber fest, dass eine Zueignung tatsächlich eingetreten sein muss; die Vorschrift sei als Erfolgsdelikt ausgestaltet. Auch die Gesetzgebungsgeschichte spreche für eine rechtsgutbezogene Auslegung des Begriffs der Zueignung. So sei der Anwendungsbereich des § 246 StGB mit dem Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26.1.1998 (BGBl 1998 I, 164), das den Wegfall des Gewahrsamserfordernisses vorsah, erheblich ausgeweitet worden. Um nach der Gesetzesänderung die Tathandlung und den Vollendungszeitpunkt unter Wahrung des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) zu konkretisieren und die Grenze zur Versuchsstrafbarkeit (§ 246 Abs. 3 StGB) konturieren zu können, sei der Unterschlagungstatbestand – und damit notwendigerweise das Tatbestandsmerkmal „zueignet“ – auf tatsächliche Eigentumsbeeinträchtigungen zu beschränken. Für dieses Ergebnis sprächen zudem gesetzessystematische Erwägungen. So setze die Zueignungsabsicht beim Diebstahl voraus, dass sich der Täter unter dauerhaftem Ausschluss der Nutzungsmöglichkeit des Berechtigten die Sache oder den in ihr verkörperten Wert seinem Vermögen zumindest vorübergehend einverleiben will. Der in § 242 Abs. 1 StGB verwendete Begriff der Zueignung entspreche demjenigen des § 246 Abs. 1 StGB (BGHSt a.a.O.); der Unterschied bestehe (lediglich) darin, dass diese bei der Unterschlagung in die Tat umgesetzt sein muss, während beim Diebstahl die Absicht hierzu genügt. Der Umstand, dass sich der Täter zivilrechtlich eine fremde Sache nicht erfolgreich „zueignen“, sondern an ihr allenfalls im Wege der §§ 946 ff. BGB Eigentum erwerben kann („scheinbare Eigentümerstellung“), stehe einem – strafrechtsautonom zu beurteilenden – Zueignungserfolg nicht entgegen. Schließlich sei dieses Begriffsverständnis auch aus teleologischer Sicht geboten. So sei bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „zueignet“ die Begrenzung des Strafrechts als Ultima Ratio zu beachten. Eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung müsse somit in jedem Fall zum Schutz des Eigentums erforderlich sein; dieser Vorgabe sei durch eine präzise Beschreibung des Unrechts des § 246 StGB – die nach dem 6. StrRG nur durch das (einzige) Tatbestandsmerkmal „zueignet“ erfolgen könne – Rechnung zu tragen. Eine Zueignung setze demnach mindestens voraus, dass die Befugnisse des jeweiligen Eigentümers – also sein Nutzungs- oder sein Ausschlussrecht aus § 903 BGB – beeinträchtigt werden. Hingegen würde eine vom Rechtsgut des § 246 StGB losgelöste Interpretation den zulässigen Anwendungsbereich des Strafrechts überdehnen, denn der Unterschlagungstatbestand könnte infolge des Wegfalls des Gewahrsamserfordernisses Konstellationen erfassen, in denen Eigentümerinteressen nicht einmal abstrakt gefährdet würden.
Abweichende Rechtsprechung
Soweit es hingegen die Rechtsprechung (BGHSt 1, 262, 264; 24, 115, 119; 34, 309, 311 f.; BGH NStZ-RR 2006, 377) bisher für eine Zueignung i.S.d. § 246 Abs. 1 StGB habe ausreichen lassen, dass sich der Zueignungswille des Täters in einer nach außen erkennbaren Handlung manifestiert („weite Manifestationstheorie“, für eine Beschränkung auf „eindeutige“ Handlungen Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl., § 246 Rn 4), überzeuge dies aus den zuvor ausgeführten Gründen nicht. Auch wenn ein solcher Manifestationsakt häufig mit einer Eigentumsbeeinträchtigung einhergehen dürfte und als Beweisanzeichen für den subjektiven Tatbestand gewertet werden kann, so seien doch Fälle denkbar, in denen der jeweilige Täter sich als Eigentümer „geriert“, gleichwohl aber keinerlei Verkürzung der Positionen des Berechtigten droht. Eine Bestrafung wegen vollendeter Unterschlagung würde zu einem Wertungswiderspruch zu den allgemeinen Grundsätzen der – nach §§ 246 Abs. 3, 22, 23 Abs. 1 StGB möglichen – Versuchsstrafbarkeit führen, die regelmäßig voraussetzt, dass das geschützte Rechtsgut (bereits) durch den Tatplan unmittelbar gefährdet wird.
Trotz Divergenz kein Anfrageverfahren
Trotz der Divergenz sei ein Anfrageverfahren gem. § 132 Abs. 3 S. 1 GVG nicht veranlasst. Denn nach beiden Auffassungen liege in Bezug auf den Tieflader weder ein Zueignungserfolg noch ein Manifestationsakt vor. So liege in dem bloßen Unterlassen der geschuldeten Rückgabe sicherungsübereigneter Gegenstände keine vollendete Zueignung, denn dies beeinträchtige die Eigentümerbefugnisse nicht weitergehend, als bereits durch die im Rahmen des Miet- oder Leasingvertrags erfolgte Gebrauchsüberlassung geschehen. Verbirgt oder verkauft der Täter allerdings Gegenstände, die sich in seinem Besitz befinden, oder gebraucht er sie in einer Weise, mit der ein erheblicher Wertverlust einhergeht, liege ein nach der Ansicht des Senats notwendiger Zueignungserfolg vor, denn der Täter verleibe sich hierdurch die jeweiligen Sachen bzw. deren Sachwert wenigstens vorübergehend in sein Vermögen ein und schließe den Berechtigten – hier der jeweilige Sicherungsnehmer – insoweit von seinen Nutzungsmöglichkeiten aus. In Bezug auf den Tieflader habe der Angeklagte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens weder den Insolvenzverwalter über die Existenz und den Standort in Kenntnis gesetzt noch gegenüber der T-AG vorbehaltlos die Herausgabe angeboten, sondern diesen weiterhin in Besitz behalten, wobei die Sicherstellung erst ein knappes Jahr später durch einen für die T-AG tätigen Sichersteller gelang. Eine Beeinträchtigung der Eigentümerbefugnisse der T-AG, die einen Zueignungserfolg i.S.d. § 246 Abs. 1 StGB begründen könnte, ergebe sich aus diesem „bloßen“ Unterlassen der Herausgabe nicht. Auch nach Ansicht der bisherigen Rechtsprechung sei für eine Unterschlagung sicherungsübereigneter Gegenstände erforderlich, dass der Täter – über ihr „Behalten“ hinaus – ein Verhalten an den Tag legt, aus dem geschlossen werden kann, dass er sich als Eigentümer „geriert“, wobei ein Verbergen, ein Verkauf (BGH NJW 1962, 116, 117), aber auch ein Gebrauch der Gerätschaften ausreichen kann, wenn mit ihm ein erheblicher Wertverlust einhergeht (BGHSt 34, 309, 311 f.). Insbesondere ergibt sich ein solches nicht aus der E-Mail des Angeklagten, in der er mit der T-AG über die Herausgabe des Tiefladers verhandelte, weil er zu diesem Zeitpunkt – das Insolvenzverfahren wurde erst später eröffnet – seine Verfügungsbefugnis noch nicht verloren hatte (§ 80 Abs. 1 InsO). Auf das ihm unterbreitete Angebot einer Ablösesumme habe der Angeklagte nicht mehr reagiert.
III. Bedeutung für die Praxis
Wenig praxisrelevantes obiter dictum für BGHSt
1. § 246 StPO ist eine praktisch wenig bedeutsame, aber theoretisch anspruchsvolle und problematische Strafvorschrift (so treffend LK-StGB/Vogel/Brodowski, 13. Aufl. 2023, § 246 Rn 2). Das belegt der Beschluss, in dem sich der 6. Senat umfänglich in einem obiter dictum mit dem Begriff der Zueignung abweichend von der bisherigen Handhabung des BGH auseinandersetzt und die bloße Manifestation des Zueignungswillens nicht genügen lassen will, eindrucksvoll.
2. Nostalgischer Rückblick: Bei meinem ersten Staatsexamen 1982/83 galt noch die a.F. des § 246 StGB mit dem Besitz- oder Gewahrsamserfordernis, wobei der sich hieraus ergebende Theorienstreit in Abgrenzung zum Diebstahl (große und kleine berichtigende Auslegung, strenge Wortlauauslegung) zum Grundkanon des Wissens gehörte, schon damals zwar große theoretische, aber wenig praktische Relevanz aufwies. Daran fühle ich mich hier erinnert, denn es dürfte nur wenige Fälle in der Praxis geben, bei denen die umfängliche Begründung, zu der sich der 6. Senat hier für seine abweichende Ansicht bemüßigt sah, im Ergebnis durchschlagen wird. Dann wird ein Anfrageverfahren und ggf. eine Divergenzvorlage an den Großen Senat angezeigt sein. Bis dahin wird die Praxis mit der Abweichung bei entsprechenden Feststellungen leben können.