1. Die Bezeichnung einer Frau als „Schlampe“ stellt regelmäßig eine Formalbeleidigung dar, bei der die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten hinter den Ehrenschutz der Verletzten zurücktritt, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf.
2. Eine Schmähung des Opfers, die ebenfalls eine Einzelfallabwägung entbehrlich macht, ist dann anzunehmen, wenn die Äußerung keinen nachvollziehbaren Bezug zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es dem Angeklagten nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht.
(Leitsätze des Gerichts)
I. Sachverhalt
Frau am Telefon als „Schlampe“ bezeichnet
Das AG und das LG haben den Angeklagten wegen Beleidigung verurteilt. Der Angeklagte war mit der Mutter der Verletzten liiert. Weil die Mutter dem Angeklagten nach der Trennung für einen Antrag beim Arbeitsamt benötigte Unterlagen nicht zur Verfügung stellte, wollte der Angeklagte diese unter Druck setzen und zur Herausgabe der Unterlagen bewegen. Zu diesem Zweck veröffentlichte er auf Facebook eine Fotocollage unter Nennung ihres Namens. Nachdem die Verletzte in einem Telefonat von dem Angeklagten verlangt hatte, den Beitrag bei Facebook zu löschen, äußerte der Angeklagte ihr gegenüber: „Ich mach euch fertig, ihr Schlampen!“. Seine Revision blieb erfolglos.
II. Entscheidung
Grundlagen
Die Berufungskammer sei zutreffend von der Erfüllung des Beleidigungstatbestands nach § 185 Var. 1 StGB ausgegangen. Die Bezeichnung als „Schlampe“ stelle durch die darin zum Ausdruck gekommene Missachtung einen Angriff auf die persönliche Ehre der Verletzten dar. Die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten trete hinter das Recht der Verletzten auf Achtung ihrer persönlichen Ehre wegen der Besonderheiten des Tatgeschehens zurück. Nach gefestigter verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung erfordere das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB regelmäßig auf der Grundlage der konkreten Umstände einer Äußerung und ihrer Bedeutung eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen. Nur in Ausnahmefällen trete bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf (BVerfG NJW 2020, 2622, 2629, 2631, 2636; vgl. BayObLG NJW 2022, 3236 m.w.N.). Die inkriminierte Äußerung des Angeklagten sei sowohl als Schmähkritik als auch als Formalbeleidigung einzustufen, was eine Abwägung der gegenseitigen Rechte des Angeklagten einerseits und der Verletzten andererseits entbehrlich macht.
Schmähkritik
Allerdings rechtfertige selbst eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik noch nicht die Einschätzung als Schmähung (BVerfG NJW 2022, 1523 = StRR 4/2022, 34 [Urbanczyk]). Eine solche sei erst dann anzunehmen, wenn die Äußerung keinen nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Dies sei hier der Fall. Der Beschimpfung sei ein Anruf der Verletzten vorausgegangen, die den Angeklagten aufforderte, die Veröffentlichung ihres Namens im Internet zu löschen. Auf dieses Verlangen habe der Angeklagte mit den Worten: „Ich mach euch fertig, ihr Schlampen!“ reagiert, ohne dass auch nur im Ansatz der an ihn herangetragene Wunsch bei verständiger Würdigung einen Anlass bieten würde, mit einer derartigen Verunglimpfung zu reagieren. Ein Sachzusammenhang zwischen der Titulierung als „Schlampe“, die in gewissen Kreisen gegenüber einer Person verwendet wird, der in sexual-ethischer Hinsicht tatsächliche oder vermeintliche Verfehlungen nachgesagt werden oder deren Lebensführung nicht den von der Gesellschaft gestellten Minimalanforderungen an sozialadäquates Verhalten gerecht wird, und deren vorher geäußerten Anliegen habe nicht bestanden. Eine Auseinandersetzung in der Sache sei in der Verbalinjurie in Anbetracht des von der Verletzten vorher geäußerten Anliegens nicht zu finden. Es sei dem Angeklagten ersichtlich nur darum gegangen, seiner Gesprächspartnerin und deren Mutter, mit der er vorher liiert gewesen war, mit der Bezeichnung den persönlichen Achtungsanspruch, der jeder Person kraft ihres Menschseins zukommt, von vornherein abzusprechen und sie „niederzumachen“ (vgl. hierzu BVerfG NJW 2019, 2600; NJW 2022, 1523 = = StRR 4/2022, 34 [Urbanczyk]).
Formalbeleidigung
Überdies sei die inkriminierte Äußerung auch als Formalbeleidigung zu werten. Hiervon sei bei der Verwendung besonders krasser, aus sich heraus herabwürdigender Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – auszugehen, bei denen die gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit dazu führt, dass sie in aller Regel von vornherein nicht dem grundrechtlichen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit unterliegt. Die Bezeichnung einer Gesprächspartnerin als „Schlampe“ erfülle diese Anforderungen, zumal nicht ansatzweise eine Konnexität zwischen dem vorangegangenen Verhalten der Verletzten und deren Verunglimpfung durch den Angeklagten bestand.
Hilfsweise: Abwägung
Ungeachtet dessen trete aber selbst bei Vornahme einer Abwägung der widerstreitenden Interessen die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles hinter den Schutz der persönlichen Ehre der Verletzten zurück. Zwar spreche einerseits zugunsten des Angeklagten, dass die Äußerung anlässlich eines Telefonats mit der Verletzten gefallen ist, sodass keine Wahrnehmung durch Dritte erfolgte und deshalb der Integritätsangriff keine erhebliche Wirkung entfalten konnte. Auch handele es sich um eine spontane Entgleisung des Angeklagten, der aufgrund der vorangegangenen Trennung von der Mutter der Verletzten offensichtlich aufgebracht war. Dagegen sei andererseits auf Seiten der Verletzten aber zu berücksichtigen, dass es bei dem Gespräch nicht etwa um eine die Öffentlichkeit berührende Angelegenheit oder dergleichen ging, bei welcher der Meinungsäußerungsfreiheit ein besonderes Gewicht zukäme. Vielmehr habe es sich um eine reine Privatfehde gehandelt, bei der es dem Angeklagten darauf ankam, seine Gesprächspartnerin, deren Verhalten nach den tatrichterlichen Feststellungen nicht im Geringsten einen Anlass für die Äußerung des Angeklagten geboten hat, ohne jeden Kontext zu der vorangegangenen Unterhaltung in übler Art zu beschimpfen. Bei einer wertenden Gegenüberstellung und Abwägung der genannten Gesichtspunkte habe aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten hinter das Persönlichkeitsrecht des Verletzten zurückzutreten, sodass sein Verhalten nicht nach § 193 StGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gerechtfertigt sei.
III. Bedeutung für die Praxis
Plausibel
Eine Verurteilung wegen Beleidigung ist heutzutage vielfach schwerer und umfänglicher zu begründen als eine solche wegen Raubes. Das BayObLG zeigt hier die Grundsätze von Meinungsfreiheit einerseits und Schmähkritik sowie Formalbeleidigung andererseits plastisch auf und betreibt sogar eine nach seiner Einschätzung gar nicht erforderliche Abwägung der Interessen. Das ist alles plausibel. Bei einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen macht einen der betriebene Aufwand (drei Instanzen, umfangreich begründete Revisionsentscheidung) aber doch nachdenklich, zumal der Begriff „Schlampe“ in einigen Kreisen, etwa in der Jugendsprache, nicht zwingend eine Beleidigung darstellt.