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Tötung im „Trennungsfall“

Zum Mordmerkmal eines Handelns aus niedrigen Beweggründen in den „Trennungsfällen“.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 6.12.20225 StR 479/22

I. Sachverhalt

Verurteilung wegen Mordes

Das LG Kiel hatte den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie Einziehungs- und Adhäsionsentscheidungen getroffen. Hiergegen wandte sich der Angeklagte mit der Revision zum BGH.

II. Entscheidung

Ergänzende Ausführungen des BGH

Der BGH verwirft die Revision des Angeklagten zunächst kurz und knapp, und damit in enger Orientierung am Wortlaut des § 349 Abs. 2 StPO, als unbegründet.

Anschließend macht der BGH-Senat – ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts – einige Bemerkungen. Kern dieser Ausführungen ist: Das LG Kiel habe das Mordmerkmal eines Handelns aus niedrigen Beweggründen rechtsfehlerhaft mit folgenden Erwägungen abgelehnt: „Dies gilt umso mehr, als die Trennung von der Geschädigten ausgegangen war, die dem Angeklagten zuletzt unmissverständlich deutlich gemacht hatte, dass ihre Beziehung zu Ende sei (‚Es ist aus und vorbei!‘), was als Indiz weiterhin gegen die Annahme niedriger Beweggründe spricht.“

Insofern stelle der Umstand, dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, entgegen der Auffassung des LG für sich gesehen kein gegen die Annahme niedriger Beweggründe sprechendes Indiz dar. Mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und den Werten des durchweg auf Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und gegenseitige personelle Achtung angelegten deutschen Rechts sei es aus Sicht des Senats unvereinbar, der legitimen Inanspruchnahme des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben eine derartige Relevanz für die sozialethische Bewertung des Tötungsmotivs zuzusprechen.

III. Bedeutung für die Praxis

Ergänzende Bemerkungen nicht ungewöhnlich

Dass der 5. Strafsenat einige ergänzende Bemerkungen macht, ist für sich genommen nichts Ungewöhnliches. Vielmehr besteht mit Blick auf das Institut der Revision und dessen Sinn und Zweck ein Potpourri an Möglichkeiten, die Beschlussgründe anzureichern (ausführlich Rosenau, ZIS 2012, 195, 203). So entspricht es etwa einer ständigen Übung der BGH-Senate, in Fällen, in denen die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ergänzungsbedürftig erscheint, selbst noch Erwägungen im Verwerfungsbeschluss beizusteuern. Eine Grenze wird weiterhin dort zu ziehen sein, wo es – wie Dahs schreibt (NStZ 1981, 205, 207) – um „Reglementierung des Tatrichters“ geht; diese sei nicht nur „stilwidrig“, sondern sie könne auch „den Verdacht des Missbrauches der Beschlussverwerfung erwecken“ (a.A. Knauer, NStZ 2016, 1, 10 und Rosenau, ZIS 2012, 195, 203; jeweils m.w.N.).

Grenzfall

Vor diesem Hintergrund kann man die vorliegende Entscheidung als Grenzfall bezeichnen. Denn: Erstens handelt es sich, wie der Schlusssatz der Entscheidung („beschwert den Angeklagten indes nicht“) verrät, bei den ergänzenden Bemerkungen des Senats nicht um Erwägungen, die den Beschluss tragen. Zweitens drängt sich – Qualitätskontrolle hin oder her – der Verdacht auf, dass der Senat den Fehler des LG vor allem für die eigene Wissenspräsentation nutzt. Und wenngleich diese lehrbuchartigen Ausführungen zur Bestimmung des Mordmerkmals „niedrige Beweggründe“ zutreffend und aus wissenschaftlicher Sicht durchaus wertvoll sind, so fragt man sich als Leser dennoch, welche Notwendigkeit für den BGH bestand, der Kammer des LG Kiel einen solch belehrenden Hinweis zu erteilen.

Richter Dr. Lorenz Bode, LL:M., Magdeburg

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