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Vernehmung eines Auslandszeugen

Zur Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines sog. Auslandszeugen.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 24.11.20224 StR 263/22

I. Sachverhalt

Antrag auf Vernehmung von „Auslandszeugen“

Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und seine Ehefrau wegen Beihilfe verurteilt. Nach den Feststellungen des LG hatte sie ein Erbbaurecht an einer unbewohnten Doppelhaushälfte erworben, damit ihr Ehemann dort in Absprache mit ihr eine Cannabisplantage anlegen konnte. Durch zwei Ernten habe der Ehemann insgesamt 279.000 EUR eingenommen. Das Erbbaurecht hat das LG als Tatmittel eingezogen. Die Revision der Angeklagten hatte mit der Verfahrensrüge Erfolg. Diese war darauf gestützt worden, dass das LG einen Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen abgelehnt hat. Nach Darstellung des Angeklagten will er das Haus lediglich von 2016 bis 2019 renoviert haben. Anfang 2019 habe sein Schwager das Haus gemietet und dann wohl an Niederländer untervermietet. Diese hätten wohl die Plantage anlegt. Die Polizei hatte in dem Haus DNA-Spuren von drei Personen gefunden, die in einer niederländischen Datenbank erfasst waren. Eine von ihnen war wegen Btm-Delikten vorbestraft. Der Antrag auf Vernehmung dieser Zeugen in Deutschland oder dem Nachbarland hatte das LG abgelehnt.

II. Entscheidung

Nach Auffassung des BGH hat das LG den Beweisantrag mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt und dadurch seine Aufklärungspflicht verletzt.

Antrag ist Beweisantrag

Entgegen der Auffassung des LG sei der Antrag als Beweisantrag i.S.d. § 244 Abs. 3 S. 1 StPO zu qualifizieren. Zur bestimmten Bezeichnung konkreter Tatsachen reiche es hier aus, die unter Beweis gestellten Tätigkeiten der Zeugen als „Aufbauen“ der Plantage sowie als „Einbringen“ der Cannabis-Pflanzen zu benennen. Angesichts eines unter Beweis gestellten komplexen, mehraktigen Tuns der Zeugen seien solche schlagwortartigen Verkürzungen zulässig, wenn sie – wie hier – den zu beweisenden Vorgang in seinen entscheidungserheblichen Umrissen hinreichend deutlich werden lassen (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.2007 – 4 StR 100/07; Becker, in: LR-StPO, 27. Aufl., § 244 Rn 98; Bachler, in: BeckOK-StPO, 45. Ed., § 244 Rn 17). Eine umfangreiche Beschreibung der Tätigkeiten sei damit ebenso wenig erforderlich wie die – hier ohnehin kaum mögliche – Zuordnung einzelner Teilakte zu bestimmten Zeugen. Einer genaueren zeitlichen Eingrenzung der Tätigkeiten als auf den im Beweisantrag angegebenen Zeitraum zwischen dem 1.2. und 30.6. habe es nicht bedurft, da sie von anderen Lebenssachverhalten bereits dadurch unterschieden werden konnten, dass sie sich auf den Aufbau einer bestimmten, im Beweisantrag bezeichneten und durch die in Bezug genommenen Lichtbilder näher dokumentierten Plantage bezogen.

Grundsätze zur Ablehnung eines „Auslandsbeweisantrags“

Die – vom LG hilfsweise ausgeführte – Ablehnung des Antrags als Beweisantrag hat der BGH ebenfalls als rechtsfehlerhaft angesehen. Nach § 244 Abs. 5 S. 2 StPO könne ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach pflichtgemäßer Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei. Ob die Ladung und Vernehmung eines Auslandszeugen geboten sei, richte sich mithin – insoweit nicht anders als bei Annahme eines bloßen Beweisermittlungsantrags – nach der Aufklärungspflicht des Gerichts i.S.d. § 244 Abs. 2 StPO (BGH NStZ 2017, 96; Beschl. v. 19.1.2010 – 3 StR 451/09, jeweils m.w.N.). Ob das Gebot des § 244 Abs. 2 StPO, die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit auf alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, es gebiete, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen, könne nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls beurteilt werden. Allgemein gelte lediglich der Grundsatz, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden könne. Dagegen werde die Vernehmung des Auslandszeugen umso eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten seien und je mehr Zweifel hinsichtlich des Werts der bisher erhobenen Beweise überwunden werden müssen.

Bedeutung und Beweiswert der Aussage

In die gebotene Abwägung habe das Tatgericht – vor dem Hintergrund der bisherigen Beweislage – des Weiteren die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen einzustellen. Dabei komme der Aussage ein besonderes Gewicht zu, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden solle, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung seien (vgl. zum Ganzen BGH, Beschl. v. 16.2. 2022 – 4 StR 392/20; v. 12.7.2018 – 3 StR 144/18; Urt. v. 13.3.2014 – 4 StR 445/13, Becker, a.a.O., § 244 Rn 357). Bei der Bemessung des Beweiswerts der Aussage sei das Tatgericht von dem Verbot der Beweisantizipation befreit und dürfe seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten seien und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären. Komme es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen sei, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, sei eine Ablehnung des Beweisantrags rechtlich nicht zu beanstanden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 16.2.2022 – 4 StR 392/20; Beschl. v. 12.7.2018 – 3 StR 144/18; Urt. v. 13.3.2014 – 4 StR 445/13; Urt. v. 18.1.1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62; vgl. näher Thörnich, Der Auslandszeuge im Strafprozess, 2020, S. 547 ff.).

Unergiebigkeit der Aussage

Neben der antizipierenden Würdigung des Inhalts einer Aussage des Zeugen könne die Ablehnung eines auf Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteten Beweisantrags im Einzelfall auch dadurch gerechtfertigt sein, dass der Beweiswert des Zeugen wegen der voraussichtlichen Unergiebigkeit seiner Aussage oder der Unerreichbarkeit des Zeugen gering sei. Hierzu zählen nach Auffassung des BGH grundsätzlich auch solche Fallgestaltungen, in denen der Aufenthalt eines Zeugen zwar bekannt, aber damit zu rechnen sei, dass er entweder einer Ladung nicht folgen oder im Falle seines Erscheinens keine Angaben zur Sache machen werde. Dies gelte insbesondere für Zeugen, die der Beteiligung an der Tat verdächtig seien und denen deswegen ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zustehe (BGH, Beschl. v. 16.2.2022 – 4 StR 392/20; v. 23.10.2013 – 5 StR 401/13; v. 25.4.2002 – 3 StR 506/01; Becker, a.a.O., § 244 Rn 357).

Gesamtabwägung

Auch hierbei handele es sich aber um Gesichtspunkte, die nicht isoliert gewürdigt werden dürfen, sondern lediglich im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung im Einzelfall unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Berücksichtigung finden können, wobei der Bedeutung und dem Beweiswert des Zeugenbeweises vor dem Hintergrund der bisherigen Beweisaufnahme der zeitliche und organisatorische Aufwand einer Aufklärungsmaßnahme und die damit verbundenen Nachteile durch die Verzögerung des Verfahrens gegenüberzustellen sind (vgl. zuletzt BGH NStZ 2014, 469, 471; zur Abwägung bei besonderer Beweislage auch BGH NStZ 2014, 51).

III. Bedeutung für die Praxis

Zusammenfassung der Rechtsprechung

1. Alle Jahre wieder gibt es einen Beschluss des BGH zum Auslandszeugen (dazu auch Hirsch, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2022, Rn 482 ff.). Die vorliegende Entscheidung fasst die Rechtsprechung des BGH zu der Problematik zusammen und zeigt dem Verteidiger, worauf er achten und zu welchen Punkten er sich in seinem Beweisantrag, der ja unter erleichterten Umständen zurückgewiesen werden kann, ggf. äußern muss. Es ist vor allem auch darauf zu achten, dass das Gericht in dem für die Ablehnung eines auf die Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteten Beweisantrags erforderlichen Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 S. 1 StPO) die maßgeblichen Erwägungen so umfassend darlegt, dass es dem Antragsteller/Verteidiger möglich wird, seine Verteidigung auf die neue Verfahrenslage einzustellen, und das Revisionsgericht überprüfen kann, ob die Antragsablehnung auf einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls erkennbar berücksichtigenden Argumentation beruht (u.a. BGH, Beschl. v. 16.2.2022 – 4 StR 392/20).

Begründung des LG reichte nicht

2. Den vom BGH aufgestellten Maßstäben ist im Übrigen der Ablehnungsbeschluss des LG nicht gerecht geworden. Der BGH hat es als ermessensfehlerhaft beanstandet, weil das LG die Ablehnung allein auf die Annahme gestützt hat, eine Vernehmung der Zeugen wäre voraussichtlich unergiebig, jedenfalls aber nicht beweiskräftig. Die erforderliche Gesamtwürdigung, ob es die Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses gebot, trotz eines möglicherweise geringen Beweiswerts ihrer Aussagen die Aussagebereitschaft der Zeugen freibeweislich zu ermitteln und sie gegebenenfalls zu vernehmen, fehlt vollständig. Beanstandet hat der BGH zudem die Erwägungen, mit denen das LG etwaigen Aussagen der Zeugen eine erhebliche Beweisbedeutung abgesprochen hatte.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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