Besteht nicht die Gefahr eines Beweismittelverlustes, führt die staatsanwaltliche Anordnung der Durchsuchung einer Wohnung zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn zuvor nicht versucht wurde, eine Entscheidung durch den zuständigen Ermittlungsrichter während dessen Dienstzeit einzuholen.
(Leitsatz des Verfassers)
Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge aufgrund eines angenommenen Beweisverwertungsverbotes freigesprochen. Die Betäubungsmittel waren bei einer Durchsuchung in seinem Zimmer gefunden worden, das von dem bestehenden Durchsuchungsbeschluss nicht umfasst war, nachdem der Angeklagte im Wohnzimmer angetroffen wurde und sich neben ihm ein Grinder sowie ein Glas mit Marihuana befand. Die Wohnung wird von drei Personen unangemeldet bewohnt. Bei einer ersten Durchsicht des Zimmers des Angeklagten wurde dort ein weiterer Grinder gesichtet. Von der StA wurde um 10.39 Uhr auf polizeiliche Benachrichtigung wegen Gefahr im Verzug mündlich die Durchsuchung des Zimmers des Angeklagten angeordnet. Es wurde nicht versucht, die zuständige Ermittlungsrichterin zu erreichen. Die Berufung der StA blieb erfolgslos
Die im Rahmen der Zimmerdurchsuchung aufgefundenen Gegenstände könnten aufgrund eines Beweisverwertungsverbotes nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden. Die erfolgte Durchsuchung sei rechtswidrig. Eine gem. § 105 Abs. 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung habe nicht vorgelegen. Die Anordnung der Durchsuchung durch die StA habe auch nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme der Eilkompetenz beruht. Es habe keine Gefahr im Verzug vorgelegen, da ein Beweismittelverlust nicht zu befürchten war. Gefahr im Verzug liege vor, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte (BVerfGE 103, 142 = NJW 2001, 1121; BGHSt 51, 285 = NJW 2007, 2269). Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder auf Alltagserfahrungen gestützte fallunabhängige Vermutungen reichten nicht aus, Gefahr im Verzug zu begründen. Regelmäßig sei daher der Versuch zu unternehmen, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Das Zimmer sei gesichert gewesen, der Angeklagte habe keinerlei Anstalten gemacht, sein Zimmer betreten zu wollen.
Das Fehlen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung führe im vorliegenden Fall auch zu einem Beweisverwertungsverbot. Ein Beweisverwertungsverbot sei zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen geboten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen wurden (BGHSt 61, 266 = NJW 2017, 1332 = StRR 4/2017, 9 [Deutscher]). Ein solcher schwerwiegender Verfahrensverstoß liege hier vor. Der BGH (BGHSt 51, 285) habe in einem anderen Fall, in dem ein Angeklagter nachmittags wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln festgenommen wurde, eine Durchsuchung aber erst um 20 Uhr auf Gefahr im Verzug von der Staatsanwaltschaft angeordnet wurde, einen vergleichbar schwerwiegenden Verstoß angenommen. Danach habe der Staatsanwalt eine Stunde vor Beginn der Nachtzeit nicht einmal erwogen, einen Ermittlungsrichter zu kontaktieren, und auch nicht die ihm obliegende Pflicht erfüllt, für die Rechtmäßigkeit des Ermittlungsverfahrens und damit für die Einhaltung des Richtervorbehalts durch die Polizei Sorge zu tragen, nämlich möglichst frühzeitig auf den Erlass eines Beschlusses hinzuwirken. Das hier vorliegende Geschehen sei mit dem Verhalten der Staatsanwaltschaft in den vom BGH entschiedenen Fällen vergleichbar, sogar schwerwiegender. Vorliegend habe die StA noch nicht einmal versucht, einen Ermittlungsrichter zu erreichen, sondern die Gefahr im Verzug auf eine hypothetische Annahme gestützt. Im vorliegenden Fall habe die Polizeibeamtin entweder unvollständige oder unklare Angaben zur Situation gemacht, sodass hierin ein erheblicher Verstoß liegen würde, oder die Staatsanwältin habe es versäumt, zur konkreten Situation und einem drohenden Beweismittelverlust nachzufragen, was ihr als „Herrin des Verfahrens“ oblegen hätte. Bereits bei Nachfrage zur aktuellen Situation wäre der Staatsanwältin von der Beamtin erklärt worden, dass keine Gefahr im Verzug vorlag, sodass die Annahme von Gefahr in Verzug nicht erfolgt wäre. Damit sei die konkrete Situation nicht ausreichend aufgeklärt gewesen, was einen erheblichen Verstoß gegen die notwendige Aufklärungspflicht darstelle.
Soweit der BGH (NStZ 2016, 551 = StRR 6/2016, 11 [Hillenbrand]) angenommen hat, dass trotz Verstoßes gegen den Richtervorbehalt bei einer Durchsuchung kein Verwertungsverbot vorliege, bestehe der wesentliche Unterschied darin, dass es hier nicht um die grundgesetzlich geschützte Durchsuchung einer Wohnung ging, sondern um die Durchsuchung eines in einem sichergestellten und zuvor entwendeten Auto befindlichen Rucksacks und einer darin befindlichen Geldkassette zur Identitätsfeststellung. In dem Beschluss des BGH (StraFo 2016, 338 = StRR 7/2016, 11 [Burhoff]) wurde wiederum ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Der BGH habe in diesem Verfahren deutlich gemacht, dass es auf die Frage einer etwaigen Fehlvorstellung des Staatsanwalts nicht ankomme, da diese auf nicht nachzuvollziehender unvollständiger Information beruhte und diese auch nicht rechtfertige, dass es an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten nicht einmal versucht wurde, eine richterliche Entscheidung zu erlangen.
Insoweit komme es auch auf die Tatsache, ob bei einem hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlauf ein Durchsuchungsbeschluss erlassen worden wäre, nicht an.
Dem Aspekt des möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufes komme bei wie hier grober Verkennung des Richtervorbehaltes keine Bedeutung zu. Würde man in solchen Fällen stets anerkennen, dass der hypothetisch rechtmäßige Ersatzeingriff eine Rolle spielen dürfte, würde dadurch der Richtervorbehalt unterlaufen und auf eine nachträgliche Überprüfung beschränkt werden, was vom Gesetzgeber gerade nicht gewollt war.
Das LG Hamburg setzt hier konsequent die Vorgaben von BVerfG und BGH zur Annahme eines Beweisverwertungsverbots bei schwerwiegenden Verfahrensverstößen in solchen Fällen um. Das wird insbesondere der Fall sein, wenn seitens der StA zu den Einsatzzeiten des richterlichen Eildienstes (i.d.R. 6.00 bis 21.00 Uhr) nicht einmal versucht wird, eine richterliche Entscheidung einzuholen, sofern kein Beweismittelverlust tatsächlich zu befürchten ist. Es bleibt abzuwarten, ob das OLG Hamburg das in der Revision auch so sehen wird.
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