Im Ergebnis sind die aus der Überwachung der Kommunikation über den Krypto-Messengerdienst EncroChat durch französische Behörden gewonnenen Erkenntnisse im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung im deutschen Strafverfahren verwertbar (vgl. etwa KG NStZ-RR 2021, 353 m.w.N.).
BGH, Beschl. v. 8.2.2022 – 6 StR 639/21
Die Entscheidung, ob Auskünfte nach § 474 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO zu versagen oder zu erteilen sind, unterliegt unbeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung. Für ein Finanzamt ergibt sich gegenüber der Staatsanwaltschaft ein Anspruch auf Auskunfterteilung gemäß § 474 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO i.V.m. § 13 Abs. 1 Ziffer 1 EGGVG aus §§ 105 Abs. 1, 111 Abs. 1 S. 1, 393 Abs. 3 AO.
BayObLG, Beschl. v. 20.12.2021 – 203 VAs 389/21
Zentrale Voraussetzung für die Bestellung eines Sicherungspflichtverteidigers nach § 144 Abs. 1 StPO ist, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erfordert. Eine solche Bestellung ist nicht schon dann geboten, wenn sie eine das weitere Verfahren sichernde Wirkung hat; vielmehr muss sie zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zur Sicherung der zügigen Verfahrensdurchführung notwendig sein
KG, Beschl. v. 12.1.2022 – 4 Ws 4/22
Im Falle einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO bestimmt sich die Entschädigungspflicht nach dem StrEG, da es sich nicht um eine Ermessensentscheidung handelt, nur nach § 2 StrEG und nicht auch nach § 3 StrEG, so dass sie unabhängig von einer Abwägung der Umstände des Einzelfalls und von Billigkeitsgründen besteht.
LG Mainz, Beschl. v. 11.1.2022 – 3 Qs 79/21
Von der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO ist auszugehen, wenn eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr im Raum steht. Drohen einem Beschuldigten dabei in mehreren Parallelverfahren Strafen, die gesamtstrafenfähig sind und von denen anzunehmen ist, dass ihre Summe voraussichtlich eine Höhe erreichen werde, die das Merkmal der „Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge“ i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO, mithin mindestens eine (Gesamt-)Freiheitsstrafe von einem Jahr, erfüllt, ist die Verteidigung in jedem Verfahren notwendig. Darauf, ob die in Frage stehenden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung verbunden werden oder nicht, kommt es bei der Beurteilung nicht an.
LG Halle, Beschl. v. 18.1.2022 – 3 Qs 1/22
Ein Fall der notwendigen Verteidigung unter dem Gesichtspunkt der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage kann aufgrund der zu erwartenden umfangreicheren Beweisaufnahme durch Vernehmung einer Vielzahl von Polizeizeugen anzunehmen sein.
LG Düsseldorf, Beschl. v. 24.2.2022 – 18 Qs-82Js 1483/19-9/22
Zwar gelten die starren Überprüfungsfristen des § 111b Abs. 3 StPO a.F. durch deren ersatzlose Streichung nicht mehr. Dennoch ist auch weiterhin bei der Frage nach der Fortdauer einer Arrestmaßnahme eine allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, bei der das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit gegen das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 14 Abs. 1 GG abzuwägen ist.
AG Bremen, Beschl. v. 18.1.2021 – 91b Gs 1694/21 (710 Js 62699/17)
Da der Gesetzgeber mit dem Verweis in § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO auf Abs. 1 der Vorschrift auch auf die Erforderlichkeit eines „besonderen“ Hinweises, also eines ausdrücklichen Hinweises, Bezug genommen hat und aus den Gesetzesmaterialien nicht erkennbar wird, dass er lediglich die entsprechende Rechtsprechung zu § 265 StPO a.F. in Gesetzesform bringen wollte, reicht die bloße Information des Angeklagten bzgl. der veränderten Sachlage durch den Gang der Hauptverhandlung regelmäßig nicht aus. Hinweispflichten auf eine geänderte Sachlage bestehen bei einer wesentlichen Veränderung des Tatbildes beispielsweise betreffend die Tatzeit, den Tatort, das Tatobjekt, das Tatopfer, die Tatrichtung, eine Person des Beteiligten oder bei der Konkretisierung einer im Tatsächlichen ungenauen Fassung des Anklagesatzes. Anwendungsvoraussetzung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO ist (u.a.), dass der Hinweis auf die veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten „erforderlich“ ist. Damit eine Rüge der Verletzung der Hinweispflicht den Begründungsanforderungen von § 344 Abs. 2 StPO genügt, ist daher Vortrag dazu erforderlich, warum der Angeklagte durch das Unterlassen des Hinweises in seiner Verteidigung beschränkt war und wie er sein Verteidigungsverhalten nach erfolgtem Hinweis anders hätte einrichten können, es sei denn, dies versteht sich von selbst.
OLG Hamm, Beschl. v. 13.1.2022 – 5 RVs 4/22
Einem Prozessbevollmächtigten ist es nicht als Verschulden vorzuwerfen, dass er nicht mit dem automatischen Windows-Update rechnet und es deshalb nicht rechtzeitig verhindert, was zur Folge hat, dass ein fristgebundener Schriftsatz nicht mehr fristgemäß über das besondere elektronische Anwaltspostfach versandt werden kann.
OLG Schleswig, Urt. v. 20.1.2022 – 11 U 19/21
Spätestens in der mündlichen Anhörung i.S.d. § 454 Abs. 1 S. 3 StPO sind dem Verurteilten die Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt und der Staatsanwaltschaft bekanntzugeben, dies insbesondere dann, soweit sie belastende und entscheidungserhebliche Umstände enthalten.
KG, Beschl. v. 29.12.2021 – 2 Ws 147/21
Dem Verurteilten ist im Strafvollstreckungsverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn sich die Strafvollstreckungskammer eingehend mit dem aktuellen Gesundheitszustand des Verurteilten und bereits vorhandenen ärztlichen Stellungnahmen auseinandersetzen und diese in Beziehung zu den begangenen Straftaten setzen muss und zudem der Vollstreckungsfall in rechtlicher Hinsicht Fragen aufwirft, die sowohl die Strafvollstreckungskammer als auch die Generalstaatsanwaltschaft zunächst verkannt haben.
OLG Braunschweig, Beschl. v. 3.2.2022 – 1 Ws 280/21
Bedienstete dürfen den Haftraum eines Strafgefangenen während eines Toilettengangs des Gefangenen nur bei konkreter Gefahr im Verzug oder nach Ankündigung und angemessenem Abwarten betreten.
LG Regensburg, Beschl. v. 20.1.2022 – SR StVK 245/21
Entgegen der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB kann von der Entziehung der Fahrerlaubnis nur dann abgesehen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die den seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß in einem anderen Licht erscheinen lassen als den Regelfall oder die nach der Tat die Eignung günstig beeinflusst haben. Der bloße Zeitablauf vermag ein Absehen von der Anordnung einer Entziehung der Fahrerlaubnis nicht zu begründen.
KG, Urt. v. 10.12.2021 – 3 Ss 56/21
Der Schluss vom Wissens- auf das Willenselement des bedingten Vorsatzes darf grundsätzlich nicht ohne Weiteres gezogen werden. Das gilt selbst dann, wenn das Handeln mit einer hohen oder gar äußersten Gefahr der Tatbestandsverwirklichung (des Erfolgseintritts) verbunden ist und der Täter dies erkannt hat.
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 13.1.2022 – 1 OLG 2 Ss 66/21
Eine Verurteilung nach § 4 S. 1 GewSchG setzt voraus, dass das Strafgericht die materielle Anordnung nach § 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG überprüft und deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt; an die Entscheidung des Familiengerichts ist es dabei nicht gebunden.
KG, Beschl. v. 18.11.2021 – (2) 121 Ss 134/21 (27/21)
Verfügt ein Angeklagter über verschiedene Einzelmengen von Betäubungsmitteln, die teilweise dem Eigenverbrauch und teilweise dem gewinnbringenden Weiterverkauf zu dienen bestimmt sind, kommt eine Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nur dann in Betracht, wenn die Handelsmenge den Grenzwert der nicht geringen Menge erreicht. Wird der Grenzwert der nicht geringen Menge erst durch die Gesamtmenge aus Handelsmenge und Eigenverbrauchsmenge erreicht, die ihrerseits jeweils unter dem Grenzwert liegen, liegt nur Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben gem. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG vor.
OLG Hamm, Beschl. v. 20.1.2022 – III-2 RVs 60/21
Der für Kraftfahrer ermittelte Grenzwert für die Anwendung des § 316 StGB ist auch auf Führer von E-Scootern anzuwenden.
LG Wuppertal, Beschl. v. 2.2.2022 – 25 Qs 63/21
Der Umstand, dass die Geschädigte nur wenige Jahre von der Schutzaltersgrenze der §§ 176, 176a StGB entfernt ist, darf durch das Tatgericht nicht zu Lasten des Angeklagten gewertet werden (46 Abs. 3 StGB).
BGH, Beschl. v. 23.11.2021 – 2 StR 373/21
Wird die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen nur mit der Formulierung begründet, dass diese „zur Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich“ seien, ist durch diese Formulierung die Unerlässlichkeit der Verhängung von Kurzfreiheitsstrafen i.S.d. § 47 StGB nicht belegt.
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 13.1.2022 – 1 OLG 2 Ss 66/21
Der Wahlverteidiger des Angeklagten kann nur dann Erstattung von Gebühren für Tätigkeiten im Adhäsionsverfahren aus der Staatskasse verlangen, wenn er dem Angeklagten im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden ist.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.1.2022 – 1 Ws 108/21 (S)
§ 21 GKG erfasst ausschließlich Gerichtskosten. Ein Anspruch gegen die Staatskasse auf Erstattung von notwendigen Auslagen ergibt sich hieraus nicht.
LG Hagen, Beschl. v. 19.12.2021 – 31 Ks 2/20
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