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Verletzung der Mitteilungspflicht

Mitteilungspflicht besteht, sobald Gespräche zum Verfahrensergebnis in Verbindung mit dem prozessualen Verhalten geführt werden.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 15.12.2021 – 6 StR 558/21

I. Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Dagegen erfolgte die Revision des Angeklagten, mit der eine Verletzung der Mitteilungspflichten nach § 243 Abs. 4 S. 1 StPO gerügt wird. Die Revision hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Der Verfahrensrüge lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung hatte der Verteidiger in Abwesenheit des Angeklagten um ein Gespräch mit der Vorsitzenden der Strafkammer gebeten. Er fragte sie, ob für das Gericht im Falle eines Geständnisses eine Verständigung über die Verurteilung des Angeklagten zu einer Bewährungsstrafe denkbar sei. Während der ebenfalls anwesende Staatsanwalt sich ablehnend äußerte, weil er trotz der abweichenden rechtlichen Wertung im Eröffnungsbeschluss (noch) von der täterschaftlichen Beteiligung des Angeklagten ausging, teilte die Vorsitzende zwar ihre Bedenken mit, sagte aber gleichwohl zu, diese Frage mit den weiteren Mitgliedern der Strafkammer zu erörtern. Dies geschah. Noch vor Verhandlungsbeginn informierte die Vorsitzende den Verteidiger und den Staatsanwalt, dass nach Rücksprache mit der Strafkammer eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe auch bei einem Geständnis nicht in Betracht komme. Nach Verlesung der Anklageschrift stellte die Vorsitzende fest, dass bisher keine Verständigungsgespräche stattgefunden hätten, was entsprechend protokolliert wurde. Sie hatte die Erörterungen nicht als mitteilungspflichtig gewertet, weil aus ihrer Sicht eine Verständigung wegen der ‒ ihr auch aus Parallelverfahren bekannten ‒ ablehnenden Haltung der Staatsanwaltschaft von vorneherein nicht in Frage gekommen wäre.

Auf dieser Tatsachengrundlage rüge der Angeklagte mit Erfolg – so der BGH –, dass die Vorsitzende ihrer Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 S. 1 StPO nicht genügt habe. Nach dieser Vorschrift sei über Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Davon sei auszugehen, sobald bei den Gesprächen ausdrücklich oder konkludent Fragen des prozessualen Verhaltens in Verbindung zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliege (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2017, 363; StRR 2/2020, 13).

An diesen Grundsätzen gemessen haben die Verfahrensbeteiligten nach Auffassung des BGH vor Beginn der Hauptverhandlung ein mitteilungspflichtiges Verständigungsgespräch geführt. Denn die Vorsitzende habe auf das Ansinnen des Verteidigers zwar ihre Bedenken hinsichtlich einer Verständigung mitgeteilt, zugleich aber zugesagt, die Frage des Verteidigers nach einer Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe für den Fall des Geständnisses mit den anderen Strafkammermitgliedern zu erörtern. Dass der Staatsanwalt sich sogleich ablehnend geäußert habe, beseitige die Mitteilungspflicht nicht. Der Umstand und der Inhalt des Verständigungsgesprächs seien auch dann mitzuteilen, wenn die Bemühungen erfolglos geblieben sind (st. Rspr.; vgl. BGH StraFo 2021, 207; NStZ 2002, 54). Auch dass an dem Gespräch lediglich die Vorsitzende der Strafkammer teilgenommen habe, nehme ihm nicht den Charakter einer die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO auslösenden Erörterung über die Möglichkeit einer Verständigung nach §§ 2021, 212 StPO (vgl. BGH NStZ 2016, 221, 222, 222; StraFo 2018, 528).

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des BGH zur Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 S. 1 StPO (dazu eingehend Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2022, Rn 2228), deren Grenzen der BGH sehr weit zieht. Als Faustregel insoweit dürfte gelten: Wenn Gespräche geführt werden – egal von wem und mit wem vom Gericht –, in denen oder nach denen man Äußerung zur Straferwartung erwarten kann, greift die Mitteilungspflicht.

2. Der BGH hat die Entscheidung wegen des Verfahrensfehlers aufgehoben. Er kann es sich dann aber nicht verkneifen zu formulieren: „… führt zur Aufhebung des materiell-rechtlich fehlerfreien Urteils. Unter Berücksichtigung der ‒ strafprozessual freilich nicht bedenkenfreien ‒ Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Urt. v. 19.3.2013 ‒ 2 BvR 2628/10, NJW 2013, 1058, 1067; Beschl. v. 15.1.2015 ‒ 2 BvR 2055/14, NStZ 2015, 172, 173 f.) kann der Senat nicht ausschließen, dass der Schuldspruch auf der Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 S. 1 StPO beruht (vgl. BGH, Beschl. v. 5.7.2018 ‒ 5 StR 180/18).“ Das liest sich ein wenig wie „Nachkarten“. Muss m.E. nicht sein.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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